1. Wirksamer Kaufvertrag
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Die Primärleistungspflichten der Kaufvertragspartner richten sich nach deren vertraglichen Vereinbarungen. Notwendige Voraussetzung für die Entstehung der kaufvertraglichen Primäransprüche ist der Abschluss eines wirksamen Kaufvertrages. Sie nehmen dazu die oben unter Rn. 4 ff. besprochen Prüfungsschritte vor.
Hinweis
Anspruchsvoraussetzung für einen vertraglichen Primäranspruch ist die vertragliche Vereinbarung, die auf Herbeiführung des gewünschten Anspruchs gerichtet ist. Die im Gesetz aufgeführten Normen zur Typisierung der verschiedenen Vertragstypen sind also keine Anspruchsgrundlagen – es handelt sich ja eben gerade nicht um ein gesetzliches Schuldverhältnis. Der Anspruch folgt „aus Vertrag“ und nicht „aus § X“. Die Regelung in § 433 dient (nur) der Festlegung des Vertragstyps, auf den die §§ 434 ff. Anwendung finden sollen. Außerdem kann § 433 als Auslegungshilfe verstanden werden: Wenn die Parteien sich in ihrer Vereinbarung zur Festlegung ihrer Leistungspflichten mit den Begriffen „Kauf“ oder „(ver-)kaufen“ begnügt haben, wollen sie im Zweifel die in §§ 433 ff. (§ 453) typisierten Pflichten begründen.
Haben Sie einen Vertrag, der unproblematisch einem Vertragstyp des BGB entspricht, empfiehlt sich regelmäßig folgende Formulierung (am Beispiel eines Kaufvertrages): Anspruch „aus Kaufvertrag gem. § 433 Abs. 1 BGB“.[1]
2. Weitere Anspruchsvoraussetzungen
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Wie immer kann die Entstehung des Anspruches neben dem wirksamen Kaufvertrag in bestimmten Fällen noch weitere Punkte erfordern, etwa die Voraussetzungen einer Abtretung oder Schuldübernahme, wenn es in der Person des Gläubigers oder Schuldners einen Wechsel gegeben hat[2] oder den Eintritt einer aufschiebenden Bedingung (vgl. bereits oben unter Rn. 19 ff.).
3. (Keine) Anfängliche Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1)
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Die anfängliche Unmöglichkeit stellt eine besondere rechtshindernde Einwendung gegen die Entstehung des Primäranspruches aus einem wirksamen Kaufvertrag dar. Die allgemeinen Grundsätze zu § 275 Abs. 1 haben wir uns bereits an anderer Stelle angesehen.[3] Wir wollen hier nur die Fallkonstellationen hervorheben, die sich typischerweise im Kaufrecht stellen:
a) Nichtexistenz/Untergang des verkauften Gegenstandes
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Es ist denkbar, dass der verkaufte Gegenstand bei Abschluss des Kaufvertrages nicht mehr existiert oder nie existieren kann. Die Fälle unterscheiden sich von den noch nicht existierenden Sachen, die wir uns oben unter Rn. 19 ff. angesehen haben.
Beispiel 1
V verkauft dem K seine Kaufpreisforderung gegen X, die in Wahrheit nie bestand oder bei Vertragsschluss – etwa wegen Rücktritts des X – nicht mehr besteht.
Beispiel 2
Der angestellte Verkäufer A verkauft dem K nach zahlreichen Besichtigungsterminen im Namen des Antiquitätenhändlers V einen von K ausgesuchten antiken Schreibtisch nebst passendem antikem Stuhl, die sich bei Vertragsschluss in einem Zwischenlager des V befinden sollen. Bei Vertragsschluss war jedoch der Schreibtisch infolge eines Brandes bereits zerstört – alternativ: gestohlen – worden.
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Im Beispiel 1 kann der Verkäufer die verkaufte Forderung mangels Existenz nicht auf den Käufer im Wege der Abtretung (§§ 398 ff.) übertragen. Er kann die nicht existente Forderung auch nicht alleine (neu) zur Entstehung bringen. Er braucht dazu den X, der freiwillig mit dem Verkäufer die gegen ihn gerichtete Kaufpreisforderung neu begründen müsste. Die Nichtexistenz eines verkauften, aber nur theoretisch noch begründbaren Rechts führt im Zweifel dazu, dass der Anspruch auf Verschaffung dieses Rechts wegen Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 ausgeschlossen ist.[4]
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Im Beispiel 2 haben wir den Fall einer Zerstörung oder des unauffindbaren Verlusts eines geschuldeten Stücks.
Ist die Verschaffung des Eigentums an einem Teil des Kaufgegenstands unmöglich (sog. „quantitative Teilunmöglichkeit“) und ist dieser Teil wirtschaftlich als selbständige Einheit anzusehen, wird die Primärleistungspflicht des Verkäufers nach § 275 Abs. 1 nur „insoweit“ ausgeschlossen.[5] Der Verkäufer schuldet dann noch die Eigentumsverschaffung am restlichen Kaufgegenstand. Der Käufer ist im Fall der Teilunmöglichkeit nicht nach § 266 berechtigt, die restliche, noch mögliche Teilleistung zurückzuweisen – andernfalls gerät er nach §§ 293 ff. in Annahmeverzug.[6] V schuldet im Beispiel 2 (nur) noch den – vorhandenen – Stuhl, so dass die Lieferung dieses Stuhls die Gesamtlieferung der möglichen Leistung darstellt. Allerdings kann K unter den Voraussetzungen der §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 5 S. 1 und Abs. 6 auch schon vor Lieferung des Stuhls vom ganzen Vertrag zurücktreten und dann wegen Rücktritts die Abnahme der noch möglichen Leistung (Stuhl ohne passenden Schreibtisch) verweigern.[7] Dass der Käufer auch schon vor Lieferung des Stuhls zurücktreten kann, ergibt sich aus §§ 326 Abs. 5, 323 Abs. 4, da schon vor Lieferung feststeht, dass der V von der Restleistung wegen Unmöglichkeit befreit ist.[8]
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Anders liegt es, wenn die Parteien die Leistungspflicht nicht von vorneherein auf ein konkretes Stück fixiert, sondern nur der Gattung nach bestimmt haben.
Beispiel
V verkauft dem Sammler K einen noch zu beschaffenden antiken Schreibtisch, den er dem K liefern soll. K sind Farbe und Form gleichgültig. Er legt nur Wert darauf, dass der Schreibtisch aus der Werkstatt von David Roentgen (1743–1807) stammt. Befand sich nun im Lager des V ein Schreibtisch der geschuldeten Art, der bei Vertragsschluss bereits zerstört oder gestohlen worden war, hat dies mangels Konkretisierung keinen Einfluss auf die Leistungspflicht des Verkäufers.[9]
Eine anfängliche Unmöglichkeit kann bei Gattungsschulden bzw. Vorratsschulden nur bestehen, wenn die gesamte Gattung (bzw. der Vorrat) bei Vertragsschluss nicht (mehr) existiert.
Hinweis
Hier zeigt sich deutlich, dass § 275 die „Leistungsgefahr“ und nicht die „Sachgefahr“ regelt. Der zufällige Verlust einer Sache trifft ihren Eigentümer (Sachgefahr)[10]. Die Leistungspflicht des Schuldners – der noch nicht einmal der Eigentümer zu sein braucht – kann hingegen vom Verlust der Sache unberührt bleiben (Frage der Verteilung der Leistungsgefahr). Das ist bei der unbeschränkten Gattungsschuld und der Vorratsschuld gegeben: Der Verlust eines Stücks aus der Gattung bedeutet eben nicht automatisch, dass der Verkäufer nicht mehr leisten müsste.
b) Rechtliches Unvermögen des Verkäufers
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Verkauft jemand einen Gegenstand (Sache, Recht), über den er nicht verfügen darf, hat er ein Problem: Schließlich hat er sich verpflichtet, dem Käufer den Gegenstand zu verschaffen, was ohne Zustimmung des Berechtigten grundsätzlich