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(1) Grundgesetz: Von den Vorschriften des Grundgesetzes ist für die Besteuerung insbesondere die Finanzverfassung von Bedeutung, dh die Regelungen über die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungshoheit (Art. 105 – Art. 108 GG). Darüber hinaus sind die allgemeinen Grundsätze eines Rechtsstaates (zB Gewaltenteilung, Gesetzesbindung, Art. 20 GG) sowie die Grundrechte (zB Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 GG, Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG, Eigentumsgarantie nach Art. 14 GG) zu beachten.
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(2) Völkerrechtliche Normen: Bei den völkerrechtlichen Normen ist zwischen den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und Doppelbesteuerungsabkommen zu unterscheiden. Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind zwar gegenüber dem innerstaatlichen Recht vorrangig anzuwenden (Art. 25 GG). Sie entfalten aber für die Besteuerung nur eine geringe Wirkung. Als Beispiel kann die Freistellung der Bezüge von ausländischen Diplomaten von der Besteuerung im Inland angeführt werden.
Wesentlich bedeutsamer sind Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Dies sind bilaterale völkerrechtliche Verträge zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den wichtigsten ausländischen Staaten. Doppelbesteuerungsabkommen werden in innerstaatliches Recht transformiert und gehen als spezielle Regelung den allgemeinen nationalen Steuergesetzen vor (§ 2 AO). Doppelbesteuerungsabkommen dienen in erster Linie dazu, bei grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit eine internationale Doppelbesteuerung zu vermeiden oder zumindest abzuschwächen. Sie enthalten Regelungen, in denen die beiden beteiligten Staaten ihre nationale Steuerhoheit durch die Vereinbarung von gegenseitigen Steuerverzichten begrenzen, sodass grenzüberschreitend tätige Unternehmer nicht höher belastet werden als Steuerpflichtige, die ihre unternehmerischen Aktivitäten ausschließlich in einem Staat ausüben. Der Hauptanwendungsfall von Doppelbesteuerungsabkommen liegt im Bereich der Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer. Spezielle Doppelbesteuerungsabkommen bestehen für Erbschaften und Schenkungen, die Luft- und Schifffahrt sowie die gegenseitige Amts- und Rechtshilfe (insbesondere Informationsaustausch zwischen den in- und ausländischen Finanzbehörden). Zur Umsetzung der Ergebnisse des BEPS-Projekts (Base Erosion and Profit Shifting), das die Zielsetzung der Verhinderung von internationaler Steuergestaltung verfolgt, soll ein multilaterales Doppelbesteuerungsabkommen (Multilaterales Instrument) Anwendung finden. Dieses soll eine einheitliche und effiziente Anpassung des bestehenden Doppelbesteuerungsnetzwerks ermöglichen.
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(3) Europarecht: Beim Europäischen Gemeinschaftsrecht handelt es sich um eine neben dem Völkerrecht bestehende supranationale Rechtsquelle, die gleichfalls dem innerstaatlichen Recht grundsätzlich vorgeht. Die Europäische Union besitzt als zwischenstaatliche Organisation eine eigenständige Rechtsetzungskompetenz. Diese wurde ihr im Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der in Maastricht unterzeichnet und durch die Verträge von Amsterdam und Nizza reformiert wurde, übertragen. Durch den Vertrag von Lissabon (EUV, AEUV) wurde die Europäische Gemeinschaft in die Europäische Union überführt (primäres Gemeinschaftsrecht, Art. 23 Abs. 1 GG). Bei den vom Rat der Europäischen Union und der Europäischen Kommission erlassenen Rechtsakten handelt es sich um sekundäres Gemeinschaftsrecht. Hierzu gehören insbesondere Verordnungen und Richtlinien.[13]
Vom primären Gemeinschaftsrecht sind für die Besteuerung in erster Linie die Grundfreiheiten der Gemeinschaftsbürger sowie das Beihilfeverbot bedeutsam. Die Grundfreiheiten umfassen folgende Rechte der Bürger der EU:
– | allgemeines Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) |
– | allgemeines Freizügigkeitsrecht, dh das Recht eines jeden Bürgers der EU, sich innerhalb der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Art. 21 AEUV) |
– | Warenverkehrsfreiheit, dh das Verbot von mengenmäßigen und verschleierten Beeinträchtigungen sowie vergleichbarer Maßnahmen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 34 – Art. 37 AEUV) |
– | Arbeitnehmerfreizügigkeit, dh das Recht eines jeden Arbeitnehmers auf Erwerbstätigkeit in jedem Mitgliedstaat, wobei hinsichtlich Beschäftigung, Entlohnung und den sonstigen Arbeitsbedingungen Gleichbehandlung zu gewährleisten ist (Art. 45 – Art. 48 AEUV) |
– | Niederlassungsfreiheit, dh das Recht zur Aufnahme und Ausübung einer Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat sowie das Verbot einer Behinderung bei der Gründung und Leitung eines Unternehmens (Art. 49 – Art. 55 AEUV) |
– | Dienstleistungsfreiheit, dh das Recht eines jeden Anbieters von Dienstleistungen auch in den anderen Mitgliedstaaten tätig zu sein (Art. 56 – Art. 62 AEUV) |
– | Kapitalverkehrsfreiheit, dh das Verbot zur Behinderung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten (Art. 63 – Art. 66 AEUV). |
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Die Grundfreiheiten sind unmittelbar anwendbares Recht. Jeder Bürger und jedes Unternehmen der Europäischen Union kann sich auf sie berufen, soweit grenzüberschreitende Sachverhalte betroffen sind. Die Grundfreiheiten beinhalten ein Diskriminierungsverbot und ein Behinderungsverbot: (a) Ausländische Steuerpflichtige dürfen bei ihrer Betätigung im Inland nicht höher belastet werden als inländische Steuerpflichtige, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden. (b) Grenzüberschreitende Aktivitäten eines inländischen Steuerpflichtigen dürfen nicht schlechter behandelt werden als vergleichbare rein nationale Vorgänge.
Nach dem Beihilfeverbot besteht grundsätzlich das Verbot von staatlichen Beihilfen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen, die durch Begünstigung ausgewählter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107, Art. 108 AEUV). Als Begünstigung wird eine Minderung der üblicherweise anfallenden Belastung verstanden. Dazu gehören überhöhte Abschreibungen (zB Sonderabschreibungen), Bildung von überhöhten Passiva (zB steuerfreie Rücklagen), außerbilanzielle Abzüge von der Bemessungsgrundlage (zB Investitionsabzugsbetrag), Steuerbefreiungen, Steuergutschriften (Steuerermäßigungen), Zahlungsaufschub (Stundung) oder sonstige außergewöhnliche Vereinbarungen. Eine Maßnahme gilt als Beihilfe, wenn sie zu einem Einnahmeverzicht des Staates und zu einer Verbesserung der Stellung des begünstigten Unternehmens gegenüber Konkurrenten führt und sie auf bestimmte Unternehmen oder Branchen beschränkt ist. Bestimmte Beihilfen (zB sozialer Art, Beseitigung von Schäden einer Naturkatastrophe oder Förderung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung ungewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht) sind ausnahmsweise zulässig.
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Verordnungen sind, wie nationales Recht, für jedermann verbindlich. Sie gelten in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union unmittelbar (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Verordnungen dienen der Rechtsvereinheitlichung.