Auch am nächsten Tag gab es ein Rennen, bei dem Ali souverän gewann. Es gab zwei weitere Rennen, da spurteten die Pferde Kopf an Kopf mit einem anderen Reiter durch das Ziel. Es war kaum auszumachen, wer gewonnen hatte.
„Das ist Mustafa“, flüsterte Leyla. Er ist der jüngste Enkel des Herrschers von Algerien. Er ist kein wirklicher Prinz. Sein Großvater ist ein früherer Oberst und er herrscht seit vielen Jahren über dieses Land. Man erzählt sich, dass Mustafa in diesem Jahr die Prämie unbedingt gewinnen will.
Théra ließ sich das Fernglas geben und sie erkannte in Mustafa den jungen Mann, bei dem sie vor kurzem drei Nächste verbracht hatte. Sie stöhnte leise.
Leyla kicherte. „Meine Mutter hat mir erzählt, dass er deine Gunst erkauft hat, um für die erste Nacht mit Cennet gewappnet zu sein.“ Théra sah erschrocken auf, und Leyla fuhr fort. „Cennet heißt soviel, wie Das Paradies. Ich habe sie nie gesehen, aber alles was man über sie erzählt, ist wundervoll. Es ist eine Ehre, dass du diese Nacht mit Mustafa verbringen durftest“, flüsterte Leyla.
„Bezahlung“, raunte Théra. „Wieso hat Mustafa für mich bezahlt?“ „Sieh das nicht durch deine amerikanischen Augen“, bat Leyla. „Er hat eine sehr hohe Summe bezahlt und das ist eine sehr große Ehre. Er hat dafür bezahlt, dass er eine ehrbare Jungfrau von Stand in sein Bett nehmen durfte. Es gibt nicht viele, die da zur Verfügung stehen. Die Töchter der Herrscher sind tabu. Das macht die Auswahl etwas kompliziert. Wir haben Glück gehabt. Dein Verlangen und das Verlangen des jungen Mannes standen ganz zufällig in derselben Zeit zum Gebot.“
Théra war entrüstet. „Ich bin verkauft worden?“. Leyla schüttelte energisch den Kopf. „Nein. Unsere Frauen haben dich als ein Geschenk des Himmels vermittelt, und Mustafa hat sich für dieses Geschenk anschließend reichlich bedankt. Meine Mutter hat kein Geld verlangt, und Mustafa hat mit seinem Geschenk ausgedrückt, dass er hoch zufrieden war. Das ist eine sehr edle Geste. Du kannst dich glücklich schätzen. Ich wäre froh, wenn ich das erleben dürfte. Als Königstochter ist mir das untersagt. Ich spare mich für Ali auf.“
Leyla legte die Hand beruhigend auf Théras Arm. Sie überlegte einen Moment, dann fuhr sie verschwörerisch und sehr leise fort: „Du musst eins wissen. Die Frauen, die dich in ihrem Haus aufgenommen haben, sind eine besondere Kaste von ehrenwerten Liebesdienerinnen. Sie gelten als rein. Sie sind hoch gebildet und sie könnten Königinnen sein, wenn sie nicht alle ein besonderes Schicksal verbinden würde, das sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Glaube mir. Es sind edle Frauen, die viele Geschicke unserer Länder beeinflussen. Sie haben einen sehr hohen Ehrenkodex. Sie haben sehr viel Macht. Vielleicht viel mehr, als ein Herrscher alleine und viel mehr, als die Frauen in unserem Harem. Sie kennen alle Herrscher der Islamischen Welt zwischen Afrika und Indonesien und sie teilen mit ihnen von Zeit zu Zeit das Bett, so wird erzählt.“
Leyla ergänzte leise: „Théra, du musst das wirklich für dich behalten. Diese Frauen sind geschickte Diplomaten und die Männer unserer Welt benutzen sie für Geheimbotschaften und für den Gedankenaustausch zwischen den einzelnen Staaten.
Völlig ohne Telefon und völlig unerkannt. Diese Frauen sind verschwiegen, wie der Tod. Es ist ein Geheimbund ausgesuchter Frauen. Es ist eine hohe Ehre, sich ihrer bedienen zu dürfen. Du wirst einige von Ihnen hier in diesem Lager wiederfinden, wenn du deine Augen ein wenig aufmachst. Wenn du sie einmal brauchst, dann können sie mehr für dich tun, als jeder andere in unserer Welt, und sicher auch viel mehr, als jeder in eurer Welt, und das sogar bei radikalen Islamisten, die ihr Gesicht verlieren würden, wenn das öffentlich bekannt werden würde. Namen kenne ich aber auch nicht.“
Dann bekräftigte sie noch einmal: „Versprich mir, dass du das für dich behältst. Ich erzähle dir das, weil du meine Freundin bist. Die Herrscher in unseren Ländern wissen davon. Die Haremsfrauen wissen das. Das einfache Volk weiß das nicht. Es ist ein Geheimbund und ich riskiere mein Leben, weil ich dir davon erzähle.“
Théra war erschrocken und völlig verblüfft. Was Leyla da eben erzählte, klang unglaublich. Mit dem Geschick, das Ihnen als Liebhaberinnen und Diplomaten zur Verfügung stand, waren diese Frauen die heimlichen Herrscherinnen zweier Kontinente? Théra fragte bei Leyla noch einmal nach und Leyla nickte ernsthaft.
„Das behältst du aber wirklich für dich“, flüsterte sie noch einmal. „Es ist ein Geheimnis, und es würde die Ehre unserer Männer verletzen, wenn darüber öffentlich gesprochen würde. Du müsstest diesen Palast sofort verlassen. Ich weiß nicht einmal, ob du das überleben würdest. Du bist meine Freundin. Nur deshalb habe ich dich eingeweiht. Zeige dich als ehrenvoll. Vater hat mir gesagt, dass du in deinem Land auch so etwas bist, wie eine zukünftige Königin.“
Théra blickte überrascht auf. „Wieso das? Ich bin doch nur eine kleine Indianerin, die gut mit Pferden umgehen kann.“ Leyla lachte leise. „Dein Bruder hat ein wenig geplaudert. In dir steckt viel mehr, als deine Fähigkeit mit Pferden. Genaues weiß ich nicht. Darüber hat Papa nicht mit mir gesprochen, und er weiß auch nichts genaues, aber Papa ist ein weiser Mann. Manche Dinge spürt er instinktiv. Er hat so etwas wie Ahnungen, und er kann in andere Menschen hineinsehen. Er sieht Dinge, die andere nicht einmal spüren.“
Das hatte Théra allerdings auch schon bemerkt. Solche Fähigkeiten verstand sie nur zu gut. Sie nickte, und begann sich ihre Gedanken zu machen. Eine letzte Frage hatte sie noch. „Wenn du verheiratet bist. Darf ich dich dann besuchen kommen?“ Leyla hakte sich bei Théra ein, was wegen der wallenden Gewänder gar nicht so einfach war. „Aber klar doch. Wir sind doch Freundinnen. Wir finden einen Weg.“
In diesem Moment spürte Théra so etwas wie einen warmen Strahl von Energie, der sich von ihr zu ihrer Freundin Leyla hinbewegte, und sie spürte, wie Leyla diesen Energiestrahl überrascht und fast erschrocken zur Kenntnis nahm.
Was die Frauen nicht öffentlich bewerkstelligen könnten, das würden sie im Geheimen tun. Plötzlich verstand Théra Leylas Welt um vieles besser. Sie dachte an die Geschichten mit den Ratten, die Papa ihr schon oft erzählt hatte. Diese wunderbaren Geschöpfe, die im Verborgenen leben und dort die ungekrönten Könige des Untergrunds sind. Diese Frauen hatten mindestens so viele Geheimnisse wie Théras Familie. Nur durch ihre geheimen Kenntnisse hatten sie eine fast unermessliche Macht, die sie nach außen nie zeigten.
Das Geheimnis bewahren zu können, war eines der wesentlichen Bestandteile dieser Macht. So und nicht anders war es auch in Théras Familie. Plötzlich verstand Théra ihre Freundin um vieles besser und sie war den Frauen noch dankbarer als zuvor. Es war eine Art Geistesverwandtschaft, das ihre Familie mit Leylas Familie verband, und es war ein gewaltiges Privileg, das Théra da genoß. Sie war Teil dieser Gruppe geworden. Vielleicht noch nicht ganz, aber sie war als Freundin akzeptiert worden. Als Freundin, die für Wert erachtet worden war, ein Geheimnis von enormer Tragweite ganz für sich zu behalten.
13.
Am Dritten Tag hatte sich die Erregung der Zuschauer und Teilnehmer gesteigert. An diesem entscheidenden Tag ging es um den höchsten Preis des Turniers.
Die Rennen am Vormittag schon zeigten eine Vorauswahl für die Teilnehmer des Schlussrennens. Mustafa und Ali gehörten bereits sicher zu den Teilnehmern der Auswahl.
„Was