„Machen wir das noch einmal“, schlug er vor. Als Vera ihn ansah, verwandelte er sich wieder in einen Panther, aber diesmal sprach er in seiner eigenen Sprache. „Fass mich an“, bat er und Vera begann, ihm ins Fell zu greifen und die Stärke dieser Muskeln zu spüren, diese unbändige Kraft. Para verwandelte sich zurück.
„Wir müssen lernen, mit den Tieren zu leben“, sagte er. „Sie sind nicht gut und sie sind nicht böse. Sie sind Teile des Waldes, so wie die Früchte und das Wasser. Wir müssen lernen, sie besser zu verstehen.“
Vera nickte. Paras Fähigkeiten hatte sie nicht. Sie konnte sich gegen einen Panther nicht verteidigen, aber vielleicht würde sie lernen mit ihm zu leben. Sie konnte sich das noch nicht vorstellen, wie das gehen sollte. Aber sie nahm sich vor, die Augen und Ohren offen zu halten, um zu lernen.
Auch hier bat Para, dem Dorf zunächst nichts zu erzählen.
5.
Auf Dauer ließ sich das nicht geheim halten. Es gab Situationen, in denen Para seiner Familie beistehen und ihnen helfen musste.
So nahm er immer öfter Tiergestalt an und er lernte mit den Tieren des Waldes zu leben. So wie er mit den Menschen sprach, so konnte er die Tiere rufen und um ihre Hilfe bitten.
Er wusste, dass seine Familie von Fleisch lebt und von Früchten, die auch von den Tieren gegessen wurden. Es gab Konkurrenzsituationen. Aber Nahrung gab es im Urwald im Überfluss.
Para nahm an der Jagd nach Fleisch nicht mehr teil. Er überließ das den anderen Stammesmitgliedern.
Seine außerordentlichen Fähigkeiten begannen sich im Urwald herumzusprechen.
Immer öfter wurden er und Vera von anderen Stämmen um Hilfe gebeten, wenn es galt, kostbare Heilmittel zu finden und sie zuzubereiten. Para und Vera waren bald so etwas wie die heiligen Medizinmänner des Urwaldes. Obwohl sie noch Kinder waren, wurden sie von den Indianern der Péruan mit großer Hochachtung behandelt.
Para hatte nicht nur die Fähigkeiten Kräuter zu finden und sie zuzubereiten. Er entwickelte so etwas wie „heilende Hände“. Es geschah erstmals, als der Häuptling eines Nachbardorfes krank wurde. Niemand wusste, was er hatte. Die Dorfbewohner schickten nach Para und seiner Schwester.
Para setzte sich neben den Kranken. Er legte seine Hand auf die schweißnasse Stirn. Er legte sie ihm auf die Brust und die Arme. Er legte sie auf die Beine, die Füße und Genitalien des Mannes. Er lauschte und schwieg. Er schloss die Augen und hörte in den Kranken hinein. Dann gab er Vera die Anweisung nach einer bestimmten Sorte von Früchten und Blättern zu suchen. „Viele Blätter“, sagte er. „Viele Früchte“. Vera nahm einige der Frauen mit. Sie wusste, wo sie suchen musste.
Während sie in den Wald ging, legte Para seine Hände auf die Brust des Kranken und er begann zu summen. Ein leichtes Zittern ging durch Paras Körper, dann begann sich ein elektrisches Feld um ihn zu spannen. Blau und feingeädert.
Die Péruan sahen das Geschehen mit Entsetzen, aber sie wagten nicht einzugreifen. Para saß da. Das elektrische Feld spann sich zwischen seinen Händen und dem Brustkorb des Kranken. Dann begann sich die Hütte mit Ameisen zu füllen. Schwarze große Ameisen. Sie krochen auf den Körper des Kranken, sie krochen in die Nasenlöcher und die Ohren. Sie bedeckten den ganzen Körper wie eine zweite Haut. Tausende.
Die Péruan waren starr vor Angst.
Dann veränderte sich die Stimme von Para und die Ameisen verschwanden. Der Kranke war trocken. Der Schweiß und das Salz waren von den Ameisen aufgegessen worden. Sie hatten Schleim und Blut aus seiner Nase geholt und verzehrt und sie hatten den Kranken viele Male gebissen, so dass das Gift nun in dem Körper des Kranken wirkte.
Para saß weiter dort und sang. Mal weich und melodisch, mal abgehackt und zerstückt. Das elektrische Feld war immer noch da.
Als Vera kam, bereitete sie die Beeren zu. Sie brachte Para die Blätter, und Para bat, den Kranken ganz mit den Blättern zu bedecken. Er ließ die Hände unter den Blättern liegen. Der Schein des elektrischen Feldes leuchtete durch die Blätter. So saß Para die ganze Nacht. Er sang und brabbelte.
Am nächsten morgen schlug der Takilada die Augen auf. Para befahl, ihm vom Saft der Beeren zu trinken geben. „Kleine Schlucke“, bat er.
Er saß weiter neben dem Kranken und ließ ihn durch Vera ständig mit dem Saft der Beeren versorgen. Am Abend begannen sich seine Wangen zu röten. Er erhielt wieder den Saft der Beeren, und Para saß und wachte auch die zweite Nacht bei dem Kranken.
Am nächsten Morgen hatte der Kranke die Augen ganz offen. Er atmete ruhig. Er verlangte nach Wasser. Para befahl, die Blätter wegzunehmen und den Kranken abzutrocknen. Dann brach Para zusammen.
Vera versorgte den Kranken mit Wasser und dem Saft der Beeren. Sie befahl, Para zuzudecken und ihn schlafen zu lassen.
Am nächsten Morgen setzte sich der Takilada auf. Er sah die Menschen seines Dorfes an. Er atmete tief durch. „Ich fühle mich gut“, sagte er. Er stand auf. Er war noch ein wenig kraftlos, aber das war kein Wunder. Dann ging er zu Para. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und sah Vera an. „Lass ihn schlafen“, bat sie. „Er hat viel Kraft verbraucht, um dir zu helfen.“
Para schlief drei Tage und drei Nächte lang. Dann wachte er auf und bat um Wasser. Er sah Vera an. „Der Kranke?“ Vera nickte ihm zu. „Es geht ihm gut. Besser als dir.“ „Dann lasst uns baden“, bat Para und das ganze Dorf ging an die Badestelle am Fluss. Para und der Alte waren noch etwas schlapp, doch das kühle Wasser tat ihnen gut.
„In den nächsten drei Tagen gibt es für den Takilada nur den Saft der Beeren und Wasser“, befahl Para. „Nachts wickelt ihr ihn in die Blätter ein. Er sollte am Morgen und am Abend baden. Das reinigt ihn vom Schweiß und den Ausscheidungen der Haut. Das Gift der Ameisen muss den Körper wieder verlassen. Das dauert noch ein paar Tage. Erst dann darf der Takilada wieder essen. Gebt ihm zuerst Obst. Später darf er etwas Trockenfleisch essen. Aber gebt ihm jeden Morgen etwas rohen Fisch und viel Wasser. Er braucht das.“
„Ich bleibe noch zwei Tage. Ich bin sehr müde. Wenn ich wach bin, werde ich weiter nach dem Takilada sehen."
Es war wie ein Wunder. Dem Takilada ging es von Tag zu Tag besser. Auch Para erholte sich und hatte nach zwei Tagen seine alte Kraft wieder. Er war erst acht und er hatte sich die Dankbarkeit und die Hochachtung des ganzen Dorfes verdient.
Dieses Ereignis sprach sich im Dschungel herum. Es wurde sogar bis in die heilige Stadt getragen.
Die Sonnenkönigin sprach mit ihrer Tochter darüber. Sie waren sich einig, dass Para die Kraft seines Vaters geerbt hatte, wenn alles das so stimmte, wie man ihnen das zugetragen hatte. Die Königin zweifelte nicht daran. Sie wusste längst, dass sich dort im Urwald am Amazonas etwas bedeutendes entwickelte. Sie hatte das Dorf von Abgaben verschont, aber sie hörte die Berichte der Handelskarawanen, die das Dorf in unregelmäßigen Abständen besuchten. Sie war recht gut darüber informiert, was dort geschah.
6.
Auch die älteste Tochter von Dennis und der Sonnengöttin hatte solche außerordentlichen Fähigkeiten wie Para. Auch sie war weißhaarig und blauäugig.
Fala hatte schon früh einen guten Kontakt zu allen Menschen am Hof. Sie konnte gut plappern und sie konnte gut zuhören. Sie konnte vermitteln und Frieden stiften. Sie hatte sehr früh einen Teil der Kraft von Dennis bekommen, damals auf dem großen Fest.
Schon in jungen Jahren kümmerte sie sich um die früheren Diener des Thénnis. Sie ermunterte sie mit der Schule fortzufahren und Vera nahm selbst an diesem Unterricht teil.
Bereits mit vier konnte sie alle diese Zeichen lesen, deuten und schreiben. Sie führte neue Zeichen ein. Manches