Die Geburt der Schamanin. Hans-Peter Vogt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Peter Vogt
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Современная зарубежная литература
Год издания: 0
isbn: 9783942652506
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hatte, als er noch ein Baby war.

      Théra lernte schnell, sich mit diesen beiden Hunden zu verständigen. Während der kleine schwarze Hund nur wenig größer wurde, wuchs der kleine graue Hund sehr schnell, und er wuchs und wuchs und wuchs. Er hatte schon bald seinen wuschelweichen Welpenpelz verloren und er überragte Théra.

      Manchmal nahm er Théra mit seinen Zähnen auf, wie ein Bündel. Er trug sie wie einen kleinen Hund, und er folgte dann Mama oder Papa mit Théra im Maul in die Küche oder ins Freie. Obwohl der graue Hund Théra gehorchte, wachte er stets über sie, und manchmal setzte er sich über ihren Willen hinweg, um sie Mama oder Papa nachzutragen.

      Sie verstand bald, dass sie mit diesem Hund eine Art dritten Vater bekommen hatte. Sie nannte ihn Suse, weil Papa diesen Namen für angemessen hielt.

      Damals wusste Théra noch nicht, dass es bei den Tieren Männchen und Weibchen gab. Suse war eine Hündin. Klar wusste Théra, dass Mäuse Kinder haben. Sie sprach mit ihnen. Es gab viele Mäusekinder, aber den Unterschied zwischen einem Mädchen und einem Jungen begriff Théra anfangs nicht. Wenn sie mit Papa und Mama alleine war, sah sie, dass Mama einen Busen hatte und Papa einen Pimmel. Sie durfte das auch anfassen. Papa und Mama erklärten ihr das, aber sie verstand das damals noch nicht.

      Sie erlebte, wenn Papa und Mama Liebe machten. Meistens war das, wenn sie schlief. Sie spürte Geräusche, Bewegungen und Hitze. Manchmal wachte sie auf, und wurde dann von Papa oder Mama in die Arme genommen, bis sie wieder eingeschlafen war. Den Unterschied zwischen einem Jungen und einem Mädchen lernte sie erst später.

       4.

      Papa, Mama und Para waren viel unterwegs. Théra war mal bei dem einen, mal bei dem anderen in Obhut.

      Dann gab es noch dieses große Haus, in dem so viele Menschen lebten. Einige davon waren immer da, andere waren nur kurz da und dann kamen andere, um wieder nur kurz da zu sein. Théra lernte schnell zu unterscheiden. „Bübchen“, Moses, der „kleine Spanier“ und ihre Tante Apanache waren immer da. Manchmal wurde Théra auch von Apanache oder von Bübchen herumgetragen. Es gab auch Personal, das immer da war. Théra lernte, zwischen den Hotelgästen zu spielen und in der Küche zu stibitzen.

      Sie konnte noch nicht laufen, als sie all das kennenlernte. Sie krabbelte anfangs überall hin, und begann sich bald an Stuhlbeinen oder an den Hotelgästen wackelnd hochzuziehen. Es roch in der Küche gut und es gab dort immer irgendwelche Leckereien, Obst, Quarkspeisen, Pudding und Kuchen. Es gab auch verschiedene Gemüse, Fleisch und Fisch. Sie liebte es, von all diesen Dingen zu kosten. Jedes schmeckte anders. Es gab höllisch scharfe Schoten und verschiedene Kräuter und Nüsse, die an die Speisen gegeben wurden, um sie aromatischer zu machen. Da war dieser Koch, der eine so schwarze Haut hatte, und der ein Freund von Papa war. Er ließ sie naschen, er erzählte und sang mit Théra und er war unendlich geduldig. Manchmal schickte er sie mit einem Lachen aus der Küche. Sie wurde dann von Papa oder Apanache abgeholt. Er müsse jetzt mal was arbeiten, sagte er dann immer, die Gäste müssen versorgt werden. So erfuhr Théra langsam, das ein Dienstleistungsbetrieb bedeutet, dass man nicht immer für Théra da sein konnte. Théra lernte das, bevor sie in der Sprache der Menschen zu sprechen begann.

      Théra hatte früh die gute Laune ihrer Mutter geerbt. Auch Papa und Para waren stets freundlich. Théra übernahm das als ihr „Markenzeichen“. Die Gäste im Hotel liebten dieses kleine und immer strahlende Wesen, und als Théra ihre ersten Laufübungen machte, durfte sie manchmal einen Teller an die Tische bringen. Mit ihren kurzen und wackeligen Beinen war das nicht immer einfach. Manchmal verschüttete sie etwas, doch sie lernte schnell, den Teller gerade zu halten und ganz vorsichtig einen Fuß vor den anderen zu setzen.

      Erstaunlicherweise nahm ihr nie jemand übel, wenn sie etwas verschüttete. Sie lernte aber bald, dass man es besser machen konnte. Sie lernte zu unterscheiden zwischen richtig und falsch.

      Manchmal wurde sie von den Zimmermädchen mitgenommen. Sie sah zu, wie Betten abgezogen wurden, wie Staub gewischt wurde, wie Waschbecken und Toiletten mit einer scharfen Flüssigkeit ausgewaschen wurden und wie die Betten mit herrlicher duftender Wäsche frisch bezogen wurden.

      Das Leben war für Théra wie ein Schlaraffenland.

      Sie lernte schnell, dass es Grenzen gibt. Nicht alles war erlaubt. Mama, Papa, Para und die anderen zeigten ihr, dass Tabus und Verbote eingehalten werden müssen. Sie waren in vielen Dingen nachsichtig, in anderen Dingen waren sie streng. Théra probierte bald aus, die Grenzen zu überschreiten, aber die Menschen um sie herum, die wirklich wichtig für sie waren, so wie Mama oder Papa, ließen sich in wichtigen Dingen nur anfangs auf Verhandlungen ein.

      Manchmal ließen sie es zu, dass Théra die Grenzen überschritt, aber oft wurde sie belehrt, später wurde sie hinausgeschickt, in die Arme genommen oder weggebracht, wenn sie störte. Wenn sie dann trotzig wurde, dann waren es besonders Papa und Para, die sie liebevoll ablenkten, neckten und ihr erklärten, dass Tabus wichtig sind, um zusammenleben zu können.

      Einmal hätte sie in der Küche beinahe einen Großbrand verursacht. Sie hatte Fett verschüttet, es war in Flammen aufgegangen. Eine richtige Stichflamme. Ihre Haare und Augenwimpern wurden versengt. Sie war auf den Boden gefallen, und Théra hatte ein paar schlimme Brandwunden an den Händen und den Armen, die bald höllisch weh taten. Sie weinte vor Schreck und Schmerz. Einer der Köche hatte das Feuer sofort mit einem Schaumlöscher zum Stillstand gebracht, aber das Essen war verdorben. Die Küche kam ziemlich in Unordnung. Damals lernte Théra, dass Regeln wirklich wichtig sind. Sie wurde nicht ausgeschimpft, sie wurde getröstet und gepflegt, und sie erlebte durch dieses Ereignis, dass sie nicht nur sich selbst in Gefahr gebracht hatte, sondern auch alle anderen Menschen, die dort in der Küche arbeiteten.

      Papa hatte ihre Brandwunden gekühlt und später mit ihr noch einmal ein Feuer angezündet, im Freien. Sie lernte dort, was Flammen für eine Kraft haben. Sie sah zu, wie sie das Holz verzehrten. Papa hatte aber auch einige Kartoffeln in Folie gepackt und in die Asche gelegt. Er hatte zwei Stöcke aufgestellt und Würstchen aufgespießt, die er mit Théra über dem Feuer briet. Die Kartoffeln und die Würstchen waren heiß, aber sie schmeckten köstlich.

      Théra hatte an diesem Abend erfahren, wie vorsichtig ihre beiden Hunde mit dem Feuer umgingen. Suse hatte sie einmal von hinten pepackt und von dem Feuer weggezogen. Sie blieb stets in Théras Nähe und hatte ihre Augen überall.

      Manchmal sprühten Funken und es knisterte. Sie sah, wie ihr kleiner Hund (den sie Konni getauft hatte) dann die Flucht ergriff. Sie sah Suse manchmal zucken, und sie sah, wie Suse sie anblickte, um sofort einzugreifen, wenn es gefährlich wurde.

      Das Verhalten der Tiere zeigte Théra, wie gefährlich Feuer wirklich sein konnte. Die Hunde hatten vor dem Feuer einen riesigen Respekt, obwohl sie sich später unweit des Feuers niederlegten, um die Wärme in sich aufzunehmen.

      Papa hatte genickt und erklärt. Lerne stets von den Tieren. Sie sind in vielen Dingen viel klüger als wir Menschen. Papa ließ einige Kartoffeln abkühlen. Théra gab sie den Hunden zum Dank für ihre Fürsorge. Von den Würstchen bekamen die Hunde nichts. Die Gewürze in den Würsten sind nicht gut für die Hunde, sagte Papa.

      So lernte Théra zu unterscheiden zwischen der Gefahr und dem Nutzen des Feuers. Sie lernte, dass das auch für andere Dinge galt. Das Wasser des Flusses konnte gefährlich werden. Es gab im Hotel und auch Zuhause Anweisungen und Regeln. So lernte sie etwa, dass es für die Zimmermädchen einen Kleiderkodex gab, auf den strikt geachtet wurde. Sie lernte, dass die Wachen des Hotels ihr manchmal sagten, sie dürfe sie jetzt nicht stören, sie hätten etwas wichtiges zu tun.

      Manchmal standen die Wachen dann nur still in der Ecke des Raumes und beobachteten die Umgebung völlig bewegungslos. Théra verstand das anfangs nicht. Sie taten doch nichts. Dasselbe Verhalten sah Théra bald auch bei den Kellnern und bei vielen anderen im Servicebereich des Hotels. Es gab offenbar geheime Zeichen, dann setzten sie sich plötzlich in Bewegung, brachten einem Gast Essen, Trinken oder eine Serviette. Théra lernte, dass das Leben manchmal nur aus warten,