Küsse am Meer. Rosita Hoppe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rosita Hoppe
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783827184177
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Arm. „Natürlich verstehe ich das.“

      Jule wandte ihren Blick von Pauline ab und sah hinaus in den Garten. Nein, sie blickte eher in die Ferne, fand Pauline. Irgendwohin, ganz weit weg. Vielleicht dorthin, wo sie Jan-Erik vermutete.

      „Die Finanzierung ist mir nicht leichtgefallen. Damals, bei der Beerdigung habe ich ihm aber geschworen, dass ich ihm seinen Traum erfüllen werde. Da konnte ich doch nicht einfach aufgeben, oder? Nur, weil nicht so viel Geld in die Kasse kam, wie ich mir erhofft hatte …“

      „Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?“

      Jule zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Vielleicht wollte ich dich damit nicht belasten. Hab mir über die Gründe nie Gedanken gemacht.“

      Pauline konnte Jules Haltung nicht fassen. „Wozu sind wir gute Freundinnen, wenn wir uns unsere Probleme und Sorgen nicht anvertrauen?“

      Jule war über Paulines Tonfall sichtlich erschrocken.

      „Bitte schimpf nicht mit mir. Das hatte keinen besonderen Grund. Ich stand ziemlich neben mir, als ich so plötzlich alles allein managen musste. Der Sörens, der Mann meiner erkrankten Mitarbeiterin, übernahm die Verhandlungen mit den Firmen. Er ist handwerklich sehr begabt, im Gegensatz zu mir. Ich war sehr froh darüber, dass er mir in der Zeit zur Seite stand, und bin es noch heute. Alle paar Tage ruft er an oder kommt vorbei und fragt nach, ob es etwas auszubessern gibt. Du wirst ihn sicher noch kennenlernen. Er taucht bestimmt in den nächsten Tagen hier auf. Er ist Rentner und ich schätze, ihm ist ziemlich langweilig. Jetzt, wo seine Frau im Krankenhaus liegt, glaubt er sicherlich, dass hier noch mehr zu tun ist. Dabei hatte ich ihm erzählt, dass meine beste Freundin einspringt, solange seine Frau krankgeschrieben ist.“

      Obwohl Pauline versuchte, sich in Jule hineinzuversetzen, und darüber nachdachte, wie sie sich in einer solchen Situation verhalten hätte, verletzte sie Jules Vorgehensweise. Dabei wusste sie, wie schlimm es für Jule gewesen war, als Jan-Erik so plötzlich tot war. Reagierte sie selbst so empfindlich, weil in ihrem Leben momentan alles drunter und drüber ging? Irgendwie befand sie sich gerade in einer ähnlichen Ausnahmesituation wie Jule damals. Ihr Leben war ebenfalls gerade Knall auf Fall zusammengebrochen. Allerdings weilte Ralf noch unter den Lebenden – irgendwie. Für sie war er jedenfalls gestorben. Für immer und ewig. Wenn sich dieser Mistkerl bloß nicht immer in ihre Gedanken schleichen würde. Warum tat er das? Es schien ihm eine geradezu diebische Freude zu bereiten. Pauline verfluchte ihn und wünschte ihn dahin, wo der Pfeffer wächst, und sie wünschte ihm, dass er irgendwann in seinem Leben die gleichen Qualen durchlitt, die er ihr zugefügt hatte.

      „Pauline?“

      „Ähm … was?“ Pauline schrak aus ihren Gedanken auf.

      „Alles in Ordnung? Ich hatte den Eindruck, dass du mit deinen Gedanken weit weg warst.“

      „War ich auch. In meinem Kopf herrscht gerade ein ziemliches Durcheinander.“ Sie rümpfte die Nase. „Du kennst den Grund. Mir fiel auf, dass in unser beider Leben von einer auf die andere Sekunde alles zusammengebrochen ist – wenn es bei dir auch bedeutend schlimmer war.“ Pauline nahm einen Schluck von dem Kaffee, den Jule ihr, ohne dass sie es bemerkt hatte, eingeschenkt haben musste.

      „Ich brauche vermutlich noch einige Zeit, bis ich das Thema Ralf innerlich abgearbeitet habe. Mal ehrlich, wie konnte ich auch noch so dämlich sein und meinen Job hinschmeißen?“

      „Ja, das war wirklich selten dämlich.“ Jule nahm die Thermoskanne und schenkte ihnen beiden Kaffee nach.

      „Warst du noch mal bei deinem Chef?“

      Pauline schüttelte den Kopf. „Nee, das wäre mir zu peinlich gewesen. Es war schon schlimm genug, dass ich dem Typ vom Arbeitsamt erklären musste, wieso ich das gemacht habe. Ich hab auch noch angefangen zu heulen.“

      „Ach du Schande. Wie geht’s weiter?“

      „Erst einmal bearbeiten sie die Akte. Dann bekomme ich Bescheid, ab wann ich Arbeitslosengeld zu erwarten habe. Vermutlich bekomme ich zwei Monate nichts, hat er gesagt. So was Blödes aber auch.“ Pauline atmete tief durch. „Ich habe übrigens angegeben, dass ich eine Zeit lang hier wohne und sie die Post hierher schicken sollen. Jobangebote bekomme ich natürlich auch. Allerdings muss ich auch selbst auf Arbeitssuche gehen. Aber das ist kein Problem. Meinen Laptop habe ich sowieso dabei.“

      „Hoffentlich finden die nicht so schnell eine neue Stelle für dich“, sagte Jule und schlug sich gleich darauf mit der Hand vor die Stirn. „Ich meine, damit ich dich nicht so schnell wieder ziehen lassen muss.“

      Pauline grinste. „Ich hab’s schon richtig verstanden. Du willst, dass ich die Saison über hier schufte und du dir nicht noch eine andere Aushilfskraft suchen musst.“

      „Genau!“ Jule grinste ebenfalls. „Du hast mich durchschaut. Aber mal ehrlich. Das wäre doch wirklich blöd, wenn du gleich wieder wegmüsstest.“

      „Ja, stimmt. Ich habe mich schon darauf eingestellt, für längere Zeit hierzubleiben. Zu Hause würde mir sowieso die Decke auf den Kopf fallen. Hier lerne ich neue Leute kennen, und verdiene ein bisschen Geld. Vielleicht kommt mir hier auch eine Idee für meinen neuen Roman. Meine Lektorin drängelt schon.“

      „Das wird schon. Magst du noch Kaffee?“

      Pauline schüttelte den Kopf. „Viel lieber würde ich mit dir einen Spaziergang durch den Ort oder zum Strand machen.“

      „Das ist eine gute Idee. Sieh dich um, erneuere deine Eindrücke von der Insel. Aber ich muss passen. Hab noch dringende Büroarbeiten zu erledigen.“

      „Schade. Kannst du das nicht verschieben?“

      Jule zuckte mit den Schultern, stand auf und räumte das Geschirr auf das Tablett. „Leider nicht. Weil ich Frau Sörens Arbeit mit übernehmen musste, habe ich den Bürokram bis zu deiner Ankunft aufgeschoben. Ich muss ran, bevor sich noch mehr anhäuft. Wir holen den Spaziergang nach, versprochen.“

      „Ich nehme dich beim Wort.“ Pauline streckte ihre Glieder und erhob sich ebenfalls. „Sehen wir uns später noch?“

      „Na klar, wir essen natürlich zusammen.“ Gemeinsam verließen die Freundinnen den Wintergarten. Jule verschwand mit dem Tablett in der Küche.

      Pauline holte ihre Windjacke und die Sonnenbrille aus ihrem Zimmer. Kurz darauf verließ sie das Haus. Vor dem Grundstück blieb sie stehen, unschlüssig, welchen Weg sie einschlagen sollte. Zum Strand! Der Ort konnte warten, entschied sie. Gleich am Ende des Dünemwai begann einer der Wege, die durch die Dünen hinunter zum weiten Strand führten. Pauline fühlte sich, als würde der Strand sie wie ein Magnet anziehen. Sie schob ihre Sonnenbrille auf die Nase, fuhr sich durch die Haare und hielt überrascht inne. Mit einem Mal war die Erinnerung an die vergangenen Tage wieder real und damit auch der Schmerz. Sie hätte wissen müssen, dass sie mit einem Haarschnitt und einem Ortswechsel nicht automatisch alles vergessen würde. Pauline kniff ihre Augen zusammen, atmete tief durch und versuchte mit all ihrer Kraft, die Gedanken an Ralf beiseitezuschieben. Das war jedoch nicht so einfach. Immer wieder schlich sich Ralf in ihre Gedanken. Wann würde das endlich aufhören?

      Sie konzentrierte sich auf die Umgebung, auf die Dünen aus feinstem Sand, übersät mit Büscheln von Strandhafer. Dieses Naturwunder hatte sie schon bei ihrem ersten Amrumbesuch bestaunt. Auf einmal war sie voller Vorfreude auf den unendlichen Strand und beeilte sich, ihr Ziel zu erreichen. Die Spaziergänger und Radfahrer, die sie auf dem Weg traf, nahm sie kaum wahr. Sie passierte das Naturzentrum, zwei Restaurants und erreichte einen Holzsteg, an dessen Ende eine Treppe zum Strand hinunterführte. Diesen Strandzugang kannte Pauline nicht, er war vermutlich erst nach ihrem vergangenen Aufenthalt gebaut worden. Damals führte ein einfacher Pfad auf den Strand. Auch an die Strandbar, an der sie eben vorbeigegangen war, konnte sie sich nicht erinnern.

      Am Ende des Stegs blieb Pauline stehen und schob die Sonnenbrille auf die Stirn. Endlich! Sie ließ den Blick über den in der Sonne gleißenden Sand streifen. Möwen zogen ihre Kreise über dem Strand oder stritten sich mit Austernfischern um appetitliche Happen. Wie bunte