Box 2.4 Frugivorie bei Vögeln
Obwohl Früchte und Nektar pflanzliche Bestandteile sind, unterscheiden sich die Anforderungen an Frugivore und Nectarivore in mancher Hinsicht von jenen an klassische Herbivore. Entsprechend dem Nahrungsangebot sind Frugivore und Nectarivore vor allem in subtropischen und tropischen Breiten zu finden. Früchte werden von den Pflanzen produziert, damit sie gefressen und die in ihnen enthaltenen Samen verbreitet werden; Entsprechendes gilt für Nektar und Pollen. Die Brutzeit der frugivoren Vögel fällt in den Tropen mit der Zeit stärkster Fruchtbildung zusammen. Allerdings sind die meisten dieser Vögel nur als Adulte frugivor (Abb. 2.13); die Nestlinge füttern sie mit Insekten. Früchte enthalten im Allgemeinen einen zu geringen Anteil an Proteinen (Tab. 2.1), um die hohe Wachstumsgeschwindigkeit der Nestlinge zu gewährleisten. Gewisse tropische Früchte mit trockenem Fruchtfleisch bieten jedoch den darauf spezialisierten Vögeln eine relativ protein- und fettreiche Nahrung an (Snow 1976). Einige Arten sind damit total frugivor, das heißt, sie füttern auch die Nestlinge mit Früchten. Die Nestlingsdauer wird aber anders als bei Insektenfressern bei Fruchtnahrung dennoch häufig auf fast das Doppelte verlängert, was besonders prädatorensichere Neststandorte und -konstruktionen verlangt (Stutchbury & Morton 2001).
Für adulte Vögel ist das üppige und meist ganzjährig verfügbare Früchteangebot grundsätzlich eine energetisch lohnende Nahrungsquelle. Dennoch wird sie nicht ihrer Häufigkeit entsprechend genutzt. Dies hat damit zu tun, dass Verdauungsvorgänge innerhalb der Vögel sehr variieren. So besitzen zum Beispiel viele Singvögel – im Gegensatz etwa zu Menschen oder Laborratten – kein Enzym zur Spaltung von Sucrose. Auch sind zur Nutzung kohlenhydratreichen und fettreichen Fruchtfleisches aufgrund unterschiedlicher Assimilationsgeschwindigkeit differenzierte Anpassungen nötig. Weitere Probleme können die in Früchten enthaltenen Sekundärstoffe sowie unausgewogene Mineralgehalte für Frucht- und Nektarfresser verursachen (Levey & Martínez del Río 2001).
Abb. 2.13 Viele der neotropischen Tangaren (hier eine Dreifarbentangare, Tangara seledon) sind als Adulte zu einem Großteil frugivor, füttern die Jungen in der ersten Zeit aber vorwiegend mit Arthropoden.
Abb. 2.14 Der Große Ameisenbär (Myrmecophaga tridactyla) aus den Savannen Südamerikas ist ein spezialisierter Ameisen- und Termitenfresser. Seine röhrenförmige Schnauze ist zahnlos; die Aufnahme der Beute geschieht mithilfe einer langen Zunge.
2.4 Verdauungssysteme
Der Verdauungsapparat (digestive system, feeding apparatus) der meisten Wirbeltiere ist eine komplexe Abfolge von (teilweise gewundenen) engen Schläuchen und weiten Kammern und kann ein Mehrfaches der Körperlänge des Tieres messen. Je schwieriger es ist, die Nährstoffe aus der Nahrung zu extrahieren, desto komplexer ist der Verdauungsapparat aufgebaut. Von den Carnivoren (einfache Trakte) über die Omnivoren zu den Herbivoren (komplizierte Trakte) besteht ein Kontinuum von vorwiegend selbstständiger, enzymatischer Verdauung zu vorwiegend unselbstständiger Verdauung mithilfe symbiotischer Mikroorganismen, die den Nahrungsbrei in Gärkammern fermentieren. Grundsätzlich aber lassen sich im Verdauungsapparat vier Segmente zwischen Mund und After erkennen (Abb. 2.15): Mundhöhle und Pharynx (headgut), Vormagen, bestehend aus Speiseröhre und Magen (foregut), Dünndarm (midgut) und Dickdarm mit Blinddarm (hindgut).
Bereits die Mundregion lässt aufgrund ihrer morphologischen Differenzierung Rückschlüsse auf die Ernährung zu. Vögel besitzen keine echten Zähne und haben damit im Gegensatz zu Säugetieren keine effiziente Möglichkeit, die Nahrung schon im Mundbereich zu zerkleinern. Der Eulenpapagei (Strigops habroptilus) ist diesbezüglich eine Ausnahme; er vermag mit seiner Zunge Pflanzenmaterial zu zerreiben, um nur den Saft aufzunehmen (Kirk et al. 1993). Im Gegensatz zur Schädelform ist bei den Vögeln der Hornschnabel in Anpassung an die Art der Nahrung und ihre Beschaffung über die höheren taxonomischen Gruppen sehr vielfältig differenziert. Aber auch innerhalb einzelner Familien gibt es Beispiele spektakulärer adaptiver Radiation, die eine große Diversität der Schnabelformen (und weiterer, mit der Nahrungssuche zusammenhängender anatomischer Merkmale) hervorgebracht hat. Bekannte Lehrbuchbeispiele sind die Kleidervögel Hawaiis (Pratt 2005) oder die Grundfinken (Geospiza) der Galapagosinseln (Kap. 8.6), aber auch die Vangawürger Madagaskars gehören dazu (Abb. 2.16).
Abb. 2.15 Fünf Grundmodelle des Verdauungsapparats von Wirbeltieren; angegeben ist der Ort der mechanischen Zerkleinerung der Nahrung, der Säuresekretion zur enzymatischen Verdauung sowie der mikrobiellen Fermentation. a: Vögel, b: Carnivoren und Omnivoren, c: Dickdarmfermentierer, d: Vormagenfermentierer ohne Wiederkäuen, e: wiederkäuende Vormagenfermentierer (Abbildung neu gezeichnet nach Barboza et al. 2009).
Die mechanische Bearbeitung der Beute findet bei Vögeln erst im Magen statt. Die Beutegröße ist damit für die meisten Vögel durch ihr Schluckvermögen beschränkt. Greifvögel und andere Arten mit ähnlichem Schnabelbau können jedoch von größerer Beute mundgerechte Stücke wegreißen, und viele Samenfresser vermögen Samenschalen mit dem Schnabel zu knacken. Einige Vögel haben zudem spezielle Verhaltensweisen entwickelt, um an den weichen Inhalt hartschaliger Beute zu gelangen, ohne die unverdaulichen Teile hinunterschlucken zu müssen (Kap. 3.3). In der Regel wird aber auch Nahrung mit harter Schale ganz geschluckt. Eine Besonderheit der meisten Vögel ist die Erweiterung der Speiseröhre (Oesophagus) in einen Kropf (crop), welcher der Speicherung von Nahrung dient, zum Beispiel, wenn diese später den Nestlingen gefüttert werden soll. Die Verdauung setzt aber erst im Magen ein und findet bei carnivoren Arten weitgehend ohne mechanische Unterstützung statt. Die aasfressenden Geier müssen dabei jedoch mit starken Pathogenen zurechtkommen. Bei ihnen hat sich deshalb eine spezielle Gemeinschaft von Darmmikroben entwickelt, die von Bakterien dominiert wird, die für andere Vögel hoch toxische Wirkung haben (Roggenbuck et al. 2014). Zudem weist die genetische Ausstattung von Geiern auf Anpassungen im Immunsystem und bei der Produktion von Verdauungssekreten an die spezielle Ernährungsweise hin (Chung et al. 2015).
Samenfressende Vögel (Finken und andere Singvögel, Hühnervögel) oder pflanzen- und molluskenfressende Wasservögel haben aus dem unteren, muskelbesetzten Magenteil (Ventriculus) hingegen massive Kau- oder Muskelmägen (gizzard) entwickelt, in denen die mechanische Verarbeitung oft mit eigens aufgenommenen Magensteinchen (Gastrolithen) verstärkt wird. Zugleich findet Behandlung mit der Magensäure aus dem Proventriculus statt (Abb. 2.15a). Vögel mit saisonal unterschiedlich harter Nahrung können mit periodischem Abbau und Aufbau der Muskelmagenmasse reagieren. Beispiele solcher phänotypischer Flexibilität sind die Bartmeise (Panurus biarmicus), die zwischen Samen- und Insektennahrung wechselt, Hühnervögel in Reaktion auf unterschiedlichen Fasergehalt oder viele Watvögel, die sich zeitweise an hartschalige Molluskennahrung anpassen müssen (Piersma & Drent 2003; Vézina et al. 2010; Piersma & van Gils 2011). Massenänderungen des Verdauungstrakts laufen oft sehr schnell ab (Starck 1999), was sich Vögel bei