• »›unüberschaubar‹, weil sie zahlenmäßig einen solchen Umfang aufweisen, dass es dem Kommunikator unmöglich ist, direkt (von Angesicht zu Angesicht) mit ihnen zu interagieren;
• ›heterogen‹, weil diese Menschen eine Vielzahl sozialer Positionen bekleiden;
• und schließlich anonym, weil das einzelne Mitglied der jeweiligen Rezipientenschaft eines Massenmediums dem Kommunikator unbekannt ist« (vgl. Burkart 1998, S. 165).
Gerhard Maletzke hat für die Rezipienten der Massenkommunikation folgerichtig den Begriff »disperses Publikum« geprägt (Maletzke 1963, S. 28f). Er versteht darunter einzelne Individuen, aber auch kleine Gruppen von Menschen, deren verbindendes Charakteristikum (nur) darin besteht, dass sie sich an verschiedenen Orten und ggf. zu unterschiedlichen Zeiten einem gemeinsamen Gegenstand zuwenden – nämlich den Aussagen der Massenmedien. Im Unterschied dazu ist das Präsenzpublikum zu sehen, das 1) räumlich versammelt ist, 2) dessen Interessen in aller Regel identisch, 3) dessen Sinne und Erwartungen weitgehend gleichgerichtet sind und 4) das sich unter identischen technisch und räumlich situativen Bedingungen (z. B. abgedunkelter Raum in Kino und Theater) z. B. bei einer öffentlichen Veranstaltung (z. B. Rede, Vortrag), in der Kirche (Predigt), im Kino (Film), im Theater (Schauspiel) oder bei einem Konzert (Musik) einem gemeinsam geteilten Gegenstand zuwendet. In gewisser Weise gilt dies seit einigen Jahren auch für das sog. ›Public Viewing‹ an öffentlich zugänglichen Plätzen oder Räumen, wo große Ereignisse von allgemeinem Interesse (wie Fußball-Weltmeisterschaften, Olympische Spiele etc.) auf Großbildschirmen gezeigt werden.
3.2.3 Massen-»Kommunikation«
Der Wortbestandteil »Kommunikation« bedarf im Kontext von klassischer Massenkommunikation ebenfalls einer Erläuterung. Er suggeriert nämlich die Vorstellung, der Empfänger massenmedial verbreiteter Inhalte könne mit dem Produzenten der Aussage »kommunizieren«. Dies ist aber nicht – oder doch nur in äußerst eingeschränktem Maße – möglich. Massenkommunikation ist nicht an eine Person gerichtet, sondern je nach Medium und Zielgruppe des Mediums 1) entweder an einen breiten Querschnitt der Bevölkerung wie etwa überregional oder regional/lokal verbreitete Tagesund Wochenzeitungen, Publikumszeitschriften sowie die meisten Programme öffentlich-rechtlicher oder privater Hörfunk- und Fernsehveranstalter; oder 2) nur an einen speziellen Teil der Bevölkerung (wie Fachzeitschriften, Verbandszeitschriften, Special-Interest-Zeitschriften sowie spezielle Zielgruppensendungen in Hörfunk und Fernsehen). Massenkommunikation richtet sich also an eine mehr oder weniger große Öffentlichkeit und ist damit grundsätzlich immer auch öffentlich.
Darüber hinaus hat man es in der klassischen Massenkommunikation »in aller Regel mit einer Polarisierung der kommunikativen Rollen zu tun. Es fehlt [weitestgehend – Ergänzung H. P.] der – für die zwischenmenschliche Kommunikation so typische – Rollentausch zwischen den Kommunikationspartnern« (Burkart 1998, S. 167). Klassische Massenkommunikation schließt die Möglichkeit einer Rückkopplung (Feedback) zwar nicht grundsätzlich aus: Solche Rückkopplungen erfolgen in aller Regel über Telefonanrufe, Leserbriefe, E-Mails an Redaktionen von Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen. Rückmeldungen eines Rezipienten der Massenkommunikation sind zumeist aber weniger unmittelbar, und »sie wirken sich auf das Kommunikationsverhalten [wenn überhaupt – Ergänzung H. P.] erst mit Verzögerung aus« (Schulz 1994, S. 147). Dies gilt im Großen und Ganzen auch für Live- oder Call-in-Sendungen in Hörfunk und Fernsehen. Da findet [81]zwar punktuell interindividuelle Kommunikation zwischen einem medialen Akteur (Journalist oder Moderator bzw. Präsentator einer Radio- oder Fernsehsendung) und einem Mitglied des dispersen Publikums vor einer mehr oder weniger großen Öffentlichkeit statt. Dennoch tauschen bei einem solchen Feedback die beteiligten Partner (Medien-)Kommunikator und (Medien-)Rezipient nicht grundsätzlich ihre Rollen. Wohl kann der Rezipient mit dem Kommunikator kommunizieren, »er besitzt jedoch nicht die Rollenmacht des professionellen Kommunikators! So kann er (der Rezipient) z. B. auf den strukturellen Ablauf einer Sendung (infolge eines vorgegebenen Programmrahmens) keinen Einfluss nehmen« (Burkart 1998, S. 164). Auch der Produktionsprozess von Zeitungen und Zeitschriften wird durch Leserbriefe oder E-Mails nicht tangiert. Rückkopplungen von Lesern, Hörern oder Zusehern verharren eben meist auf einem Niveau, welches spätestens dann seine Grenzen erfährt, »wenn die Struktur des Mediums berührt wird« (ebd.). Wechselseitigkeit und Rollentausch, wie sie in der Face-to-face-Kommunikation zwischen den Kommunikationspartnern hauptsächlich vorliegen, stellen in massenkommunikativen Prozessen eher die Ausnahme dar.
Klassische Massenkommunikation ist daher in erster Linie Übertragung, nur ganz selten Austausch von Mitteilungen; der Kommunikationsprozess ist weitestgehend einseitig und damit asymmetrisch. Ausnahmen sind allenfalls dann gegeben, wenn Beiträge, die z. B. auf Onlineauftritten von Zeitungen durch User oft angeklickt (und damit meist auch gelesen) werden, auch in Printmedien abgedruckt werden. Doch selbst in solchen Fällen reagiert das klassische Medium Tageszeitung produktionsbedingt mit Verzögerung. Dies gilt auch für Radio- und TV-Sendungen mit Einbindung der Nutzer.
3.2.4 Sender und Empfänger in der Massenkommunikation
Für klassische Erscheinungen der Massenkommunikation ist ferner kennzeichnend, »dass sich die an einem solchen Kommunikationsvorgang beteiligten Kollektive hinsichtlich Zusammensetzung, innerem Aufbau und Tätigkeitsweise wesentlich voneinander unterscheiden« (Hunziker 1988, S. 6).
So sind die in der Massenkommunikation tätigen Kommunikatoren (Sender) zumeist in komplex aufgebauten Organisationen tätig, die die Produktion von Massenkommunikationsinhalten bewerkstelligen. Die Kommunikatoren (z. B. Journalisten) sind Personen, »die arbeitsteilig sowie unter Einsatz vielfältiger technischer Hilfsmittel und fachlicher Kompetenzen routinemäßig Kommunikationsinhalte hervorbringen« (ebd.). Massenkommunikation bedient sich aufseiten der Sender einer hoch entwickelten Technologie, um in Printmedien wie auch in Funkmedien sowohl die Produktion als auch die Verbreitung der Inhalte zu ermöglichen.
Das Publikum, die Rezipienten der klassischen Massenkommunikation »weisen demgegenüber einen […] niedrigen Organisationsgrad auf. Als Mitglieder eines Publikums sind sie zwar gemeinsam der Massenkommunikation ausgesetzt; die Rezeption besorgt aber typischerweise doch jeder für sich, ohne dabei auf breiter Basis mit den Mitrezipienten in Kontakt zu treten« (ebd.). Solche Kontakte finden jedoch oft beim ›Public Viewing‹ statt, das eine modifizierte Form der Rezeption massenmedial verbreiteter Inhalte durch Präsenzpublika ist.
Verständlicherweise resultiert aus dieser Asymmetrie im Organisationsgrad und in der Sachkompetenz ein Machtgefälle zwischen Sendern und Empfängern, zumal die Sender den Kommunikationsprozess aktiv gestalten und die Empfänger mehr oder weniger passiv darauf reagieren (wiewohl Mediennutzung durch die Leser, Hörer und Zuseher sehr wohl als ein aktiver Vorgang zu bezeichnen ist). »Dieses Machtgefälle findet seinen Ausdruck darin, dass der Prozess der Massenkommunikation praktisch einseitig verläuft und dass ein Rollentausch zwischen Kommunikatoren und Rezipienten auch bei vorhandenen übertragungstechnischen Möglichkeiten (Zweiwegekommunikation) kaum zu verwirklichen ist. Typisch für [klassische – Ergänzung H. P.] Massenkommunikation ist [82]außerdem, dass die Kommunikationspartner sich [in aller Regel – Ergänzung H. P.] nicht persönlich kennen« (Hunziker 1988, S. 7; Hervorhebung i. Orig.).
Massenkommunikation ist ferner eine Form der indirekten Kommunikation. Dies resultiert nicht nur aus der Tatsache, dass Massenkommunikation auf technische Medien als Ver- und Übermittlungsinstanzen angewiesen ist. Hinzu kommt nämlich, dass zwischen Kommunikator und Rezipient eine räumliche Distanz (wie z. B. bei Livesendungen in Hörfunk und Fernsehen) sowie eine raumzeitliche Trennung (wie etwa beim Lesen einer Zeitung oder einer aufgezeichneten Fernsehsendung) besteht. Auch von einer Interaktion der Kommunikationspartner kann in der klassischen Massenkommunikation nicht die Rede sein. Sie erscheint allenfalls gegeben, wenn Leser einer gedruckten Zeitung via Telefonanruf oder E-Mail spontan auf einen Beitrag reagieren und ein unmittelbares Feedback vom Verfasser des Zeitungsbeitrages erhalten. Im Kontext von Massenkommunikation kann man noch den Aspekt parasozialer Interaktion ansprechen, wenn etwa ein TV-Zuschauer einen Moderator, Präsentator oder Kommentator einer Sendung auf Grund langjähriger Mediennutzung gut zu