Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit. Reinhard J. Wabnitz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Reinhard J. Wabnitz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783846353141
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Entwicklungen im Zusammenhang mit Ehe und Familie sind u. a. folgende:

      • grundlegende Veränderungen im Partnerschaftsverhältnis vor dem Hintergrund der Forderung nach einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf,

      • die Auflösung traditioneller Haushaltsformen,

      • Ehescheidungen,

      • die steigende Zahl von Alleinerziehenden,

      • der Anstieg der nichtehelichen Lebensgemeinschaften und

      • ein Absinken der Geburtenraten.

      Zurzeit wird in Deutschland etwa jede dritte Ehe geschieden. Dies hat nicht nur mit einer besseren wirtschaftlichen und rechtlichen Absicherung von Frauen und einem Nachlassen der Geltungskraft sozialer und religiöser Normen zu tun, sondern auch mit der Entwicklung der Ehedauer. Vor 100 Jahren war noch etwa jede dritte Ehe schon nach etwa 20 Jahren durch Tod eines Ehegatten beendet. Heute dauert eine Ehe, die im Alter von etwa 30 Jahren geschlossen und nicht geschieden wird, in den europäischen Ländern je nach den Sterbeverhältnissen 40 Jahre oder länger.

      Grundlegend verändert hat sich in den Industriestaaten auch die Größe von Familien. Heute dominiert die Ein- und Zweikinderfamilie, die Drei- und Vierkinderfamilien sind sehr selten geworden.

      Dies alles hat auch zu einem drastischen Geburtenrückgang in Deutschland, aber auch in anderen Ländern geführt. Seit über 40 Jahren werden in Deutschland ca. ein Drittel zu wenig Kinder geboren, als rein rechnerisch erforderlich wären, um einen gleichmäßigen Bevölkerungsaufbau zu gewährleisten. Statt der „notwendigen“ 2,1 Kinder pro erwachsenes Paar bzw. pro Frau waren es relativ konstant in Deutschland nur noch ca. 1,3 bis 1,4 Kinder pro Frau, die rein statistisch gesehen das Licht der Welt erblicken. Inzwischen sind es vor allem aufgrund von Zuwanderung wieder ca. 1,5 Kinder pro Frau.

      Die Ehe als Lebensform wird nach wie vor hoch bewertet: Die große Mehrheit der Frauen und Männer in West- und Ostdeutschland (mit geringfügigen Unterschieden) halten die Ehe nach wie vor für sinnvoll und erstrebenswert. Kinder werden dabei – nachdem sie nicht mehr für die soziale Absicherung ihrer Eltern aufkommen müssen – als Möglichkeit der Lebenserfüllung der Eltern gesehen, als Quelle der Freude und als persönliche Bereicherung.

      Generell lässt sich feststellen, dass eine Gesellschaft ohne Kinder eine Gesellschaft ohne Zukunft ist. Auch könnten Staat und Gesellschaft die von Familien erbrachten Leistungen weder bezahlen noch organisieren, geschweige denn Humanität, Liebe, Geborgenheit und solidarisches Mit- und Füreinander in ähnlicher Weise gewährleisten.

      Familie ist einerseits der „privateste Raum“ der meisten Menschen, in den sich der Staat grundsätzlich nicht einmischen sollte. Familie ist andererseits aber auch keine reine „Privatsache“, sondern das Fundament von Staat und Gesellschaft, das Familienpolitik und Familienrecht stützen, fördern und stabilisieren sollen. Schließlich ist Familie aber leider auch ein Bereich, in dem tausendfach Elend, Vernachlässigung und Gewalt vorkommen, so dass den jeweils „schwächeren“ Familienmitgliedern geholfen werden muss. Für all dies braucht es nicht zuletzt rechtliche Regelungen – insbesondere im Familienrecht.

      Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, die ranghöchste innerstaatliche Rechtsquelle, enthält im Wesentlichen fünf zentrale Verfassungsbestimmungen, die für Ehe und Familie wichtig sind und die in der Übersicht 1 aufgeführt sind.

      Übersicht 1

      Familienrecht und Grundgesetz (GG)

      1. Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie

      – besonderer Schutz der staatlichen Ordnung

      2. Art. 3 Abs. 2 Satz 1

      – Gleichberechtigung von Mann und Frau

      3. Art. 6 Abs. 2 Pflege und Erziehung der Kinder

      – als Recht und Pflicht der Eltern (Satz 1)

      über die die staatliche Gemeinschaft wacht, so genanntes „Staatliches Wächteramt“ (Satz 2)

      4. Art. 6 Abs. 4 Mutterschutz

      – Anspruch auf Schutz / Fürsorge

      5. Art. 6 Abs. 5 Kinder

      – Gleichberechtigung von nichtehelichen und ehelichen Kindern

      Von besonderer Bedeutung für das Familienrecht sind primär Art. 6 Abs. 1 und 2 GG.

      Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen „Ehe und Familie“ unter dem „besonderen Schutz der staatlichen Ordnung“.

      Vertiefung: Dies bedeutet nach der Rechtsprechung insbesondere Folgendes:

      • Art. 6 Abs. 1 GG ist ein „klassisches“ Freiheitsrecht im Sinne der im 18. und 19. Jahrhundert erkämpften „Abwehrrechte“ gegen den (damals noch obrigkeitlichen) Staat. Danach war und ist die spezifische Privatsphäre von Ehe und Familie grundsätzlich vor äußerem Zwang durch den Staat geschützt, und der Staat ist verpflichtet, dies zu respektieren und zu fördern (vgl. BVerfGE 6, 55; 24, 119; 66, 84; 68, 256).

      • Art. 6 Abs. 1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz, der verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsformen schlechter zu stellen (Diskriminierungsverbot). Es wird also eine Benachteiligung von Ehegatten und von Alleinerziehenden gegenüber Ledigen, z. B. im Steuerrecht (vgl. BVerfGE 61, 319; 68, 143), untersagt.

      • Art. 6 Abs. 1 GG schützt Ehe und Familie „als solche“, als besondere Lebensordnung (Institution), und enthält demgemäß eine so genannte „Institutsgarantie“ (vgl. BVerfGE 31, 58).

      • Und schließlich trifft Art. 6 Abs. 1 GG eine verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des privaten und öffentlichen Rechts. Daraus ergibt sich einerseits das Verbot für den Staat, Ehe und Familie zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen, andererseits aber auch das Gebot, Ehe und Familie durch Gesetze und durch sonstige staatliche Maßnahmen zu fördern (vgl. BVerfGE 6, 55). Allerdings lässt sich aus diesem allgemeinen Förderungsgebot kein konkreter Anspruch auf bestimmte staatliche Maßnahmen und Leistungen herleiten. Bei der Festlegung derselben kommt dem Staat deshalb ein nicht unerheblicher Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 23, 258; 75, 348).

      Von ebenfalls fundamentaler Bedeutung ist des Weiteren Art. 6 Abs. 2 GG. Dieser Artikel enthält zwei Sätze. Nach Satz 1 sind Pflege und Erziehung der Kinder „zuvörderst“ (also: in erster Linie) Recht und Pflicht der Eltern. In dieses verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht darf der Staat mithin grundsätzlich nicht eingreifen – es sei denn, das Kindeswohl wäre gefährdet.

      Deshalb wird Art. 6 Abs. 2 Satz 1 durch den Satz 2 ergänzt, wonach der Staat über „deren Betätigung“ (also: die Wahrnehmung von Elternrechten und -pflichten) wacht. Aufgrund dieses „staatlichen Wächteramtes“ muss der Staat z. B. bei Kindesmisshandlung oder -vernachlässigung eingreifen. Die zuständigen Stellen sind mithin befugt und ggf. verpflichtet, zum Schutz von Kindern und Jugendlichen dabei auch Elternrechte einzuschränken.

      Auf diesen Verfassungsnormen von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG bauen sowohl das Familienrecht als auch das Kinder- und Jugend- hilferecht (nach dem SGB VIII) auf (siehe dazu auch Deutscher Bundestag (2013); 14. Kinder- und Jugendbericht, 260 f. sowie Übersicht 2).

      Übersicht 2

      Grundgesetz, Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht


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Die beiden zentralen Verfassungsnormen des
Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG