Mit ihrem energischen Vorsitzenden Kurt Schumacher (1895–1952) hatte die SPD sowohl eine Symbolfigur des Widerstandes im Dritten Reich als auch des Anti-Totalitarismus und Anti-Kommunismus an ihrer Spitze. Im In- und Ausland war Schumacher ein geachteter Sprecher der Deutschen nach der Kapitulation. Am 5. Oktober 1945 führte er aus: »Im Sinne der deutschen Politik ist die Kommunistische Partei überflüssig. Ihr Lehrgebäude ist zertrümmert, ihre Linie durch die Geschichte widerlegt«. Und im Mai 1946 sagte Schumacher: Sozialismus sei zwar an Demokratie gebunden, aber unter dem Primat von »Freiheit des Erkennens und Freiheit der Kritik« und der »Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit«. Er fügte aber auch, gegen die Neo-Liberalen gewandt, hinzu: »Wie der Sozialismus ohne Demokratie nicht möglich ist, so ist umgekehrt eine wirkliche Demokratie im Kapitalismus in steter Gefahr« (Informationen zur politischen Bildung, Heft 157/1974).
2.4 Gemeinden und Länder als Rückhalt
Das politische Leben konkretisierte sich zunächst in Kommunalwahlen, die ab April und Mai 1946 in der amerikanischen und in der britischen Zone sowie im Oktober 1946 in der französischen Zone stattfanden. Der Aufbau der politischen Grundstrukturen von der Gemeinde über die Länder zu einem (möglichen) Gesamtstaat entsprach auch angelsächsisch-amerikanischen Vorstellungen von der Bedeutung der gemeindlichen Basis für eine stabile politische Kultur.
Theodor Eschenburg (1974 : 64 ff.) betonte, dass trotz der Niederlage, dem Zerfall des Reiches, der Zerschlagung Preußens und der Einteilung in vier Besatzungszonen die Verwaltungseinheiten und bürokratischen Strukturen auf den Ebenen Gemeinde, Kreis und Land im Wesentlichen bestehen geblieben waren. Diese Strukturen bezeichnete Eschenburg als »demokratischen Rückhalt«. Insbesondere der Gemeinde, als der untersten Verwaltungseinheit und dem unmittelbaren Lebensraum der Menschen, kam die Aufgabe der Linderung der Not und des Wiederaufbaus zu.
Neben der Gemeinde waren es vor allem die Länder, die vor der Konstituierung der Bundesrepublik als Staat für die Erfordernisse der Nachkriegszeit die notwendige Vorsorge trafen. In der amerikanischen Besatzungszone wurden schon am 18. September 1946 die Länder Bayern, Großhessen und Württemberg-Baden gebildet. In der britischen Besatzungszone entstanden Anfang 1947 aus den vier ehemaligen Provinzen die Länder Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. In der französischen Besatzungszone kam es 1945/46 zur Gründung der Länder Baden, Württemberg-Hohenzollern und Rheinland-Pfalz.
Bei den Landtagswahlen zwischen Oktober 1946 und Oktober 1947 erreichte die CDU/CSU mit 6,55 Mio. Stimmen vor der SPD mit 6,07 Mio. Stimmen knapp die Mehrheit. In den Landesverfassungen spielten Fragen der Wirtschaftslenkung und der so genannten »Lebensordnungsrechte« für die Familie, für Unterricht und Bildung und für die Ausgestaltung der sozialen Rechte – wie das Recht auf Arbeit – eine viel größere Rolle als im späteren »Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland«, das am 23. Mai 1949, fast ein Jahr nach der Währungsreform, verabschiedet wurde. Auch die Regelung der wirtschaftlichen Mitbestimmungsfragen und das Verbot der Aussperrung (wie in der Hessischen Verfassung) spiegeln die Diskussionen um die Neugestaltung und Einheit des sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens dieser Zeit wider.
2.5 Die Entwicklung in der SBZ. Gründung der DDR
In seiner »Deutschen Gesellschaftsgeschichte« (Bd. 5 : 1949–1990) schreibt Hans-Ulrich Wehler, dass »der Weg in die SED-Diktatur« sehr kurz gewesen sei (2008 : 23 ff.). Die Sowjetisierung der SBZ begann praktisch mit Kriegsende. Bereits am 29.4 1945 war die »Gruppe Ulbricht« aus dem Moskauer Exil mit einem Arbeitsstab zurückgekehrt. Die Gruppe war benannt nach Walter Ulbricht (1893–1973), einem führenden Funktionär der KPD seit der Weimarer Republik (zu diesen und allen folgenden Daten vgl. Staritz 1984, Kleßmann 1982 : 535 ff.).
Im Herbst 1945 wurde mit der Bodenreform begonnen. Die erste Maßnahme war die entschädigungslose Enteignung des Großgrundbesitzes über 110 ha (»Junkerland in Bauernhand«), des Grundbesitzes des ehemaligen Deutschen Reiches, der NSDAP, der Wehrmacht und der großen Industrie- und Handelsunternehmen. Diese erste Stufe der Bodenreform sollte nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten im Oktober 1990 eine große Rolle spielen. Am 23. Juli 1945 wurden die Großbanken geschlossen.
Von bis heute nachwirkender Bedeutung war auch die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur »Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands« (SED) am 22. April 1946. Aber noch hatte die am 9. Juni 1945 gebildete »Sowjetische Militäradministration in Deutschland« (SMAD) das Sagen.
Deklamatorisch ging man davon aus, dass die deutsche Einheit zu erhalten sei und alle Schritte in Richtung auf ein eigenständiges Wirtschafts- und Staatsgebiet nur eine Reaktion auf die Vorgänge in den drei westlichen Besatzungszonen und Berliner Sektoren seien. Auf die dort vom 18.–20. Juni 1948 durchgeführte Währungsreform wurde mit der Sperrung der Zufahrtswege nach West-Berlin reagiert. Die Berliner Bevölkerung musste aus der Luft versorgt werden. Dies gelang für die Zeit der Luftbrücke vom 26. Juni 1948 bis zum 12. Mai 1949 in erstaunlichem Ausmaß. Gestartet wurde vor allem auf dem amerikanischen Militär-Flughafen Frankfurt/M.; gelandet wurde auf dem innerstädtischen Berliner Flughafen »Tempelhof«.
Nur eine Woche nach der Währungsreform in den drei Westzonen (»Trizonesien«) wurde auch in der SBZ eine Währungsreform durchgeführt, unter Beibehaltung der Reichsmark (im Westen »Reichsmark Ost« genannt). Auf die am 23. Mai 1949 erfolgte Staatsgründung der Bundesrepublik Deutschland reagierte die SBZ bzw. die Sowjetunion am 7. Oktober 1949 mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Am 15. Oktober wurden die diplomatischen Beziehungen zur UdSSR offiziell aufgenommen. Auf einer SED-Konferenz im Juni 1949 hatte die Partei »ein devotes Bekenntnis zu Stalin abgelegt, überdies pries sie die Sowjetunion als verpflichtendes Modell« (Wehler 2008 : 27).
Die immer unerträglicher werdende Situation in der »sozialistischen Volksdemokratie« entlud sich im Juni 1953 in einem das Regime gefährdenden Volksaufstand, der nur durch sowjetische Panzer niedergeschlagen werden konnte. Der Beginn des Aufstands am 17. Juni 1953 in der (Ost-)Berliner Stalin-Allee war bis zur Einführung des 3. Oktober, dem Tag der Vereinigung beider deutscher Staaten im Jahr 1990, in der Bundesrepublik ein nationaler Gedenktag.
3. Gründung der Bundesrepublik Deutschland
3.1 Voraussetzungen für einen neuen Gesellschaftsvertrag
Die zunächst hoffnungslos erscheinende Ausgangslage durch die Zerstörungen des Krieges und die soziale und demographische Situation barg jedoch bessere Voraussetzungen für einen Gesellschaftsvertrag, als sie zuvor gegeben waren.
Der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und seine Folgen hatten soziale Klassen und Schichten miteinander in Berührung gebracht, die vorher in jeder Beziehung stark segregiert waren. Berufs- und lokalspezifische Milieus waren entweder verschwunden oder in ihrer Besonderheit eingeebnet. Das galt insbesondere für die Arbeiterbewegung und ihre Kultur, der ihre Basis durch die sich wechselseitig verstärkenden Wirkungen der Gleichschaltung, des Krieges, der Vertreibung und die neu entstehenden Wohnmilieus des sozialen Wohnungsbaus mehr und mehr entzogen wurde.
Auch der Eigentumsverlust in breiten Schichten der Bürger und Hochbürger, nicht zuletzt durch die Inflation, führten zu sozialen Nivellierungen bisher ungekannten Ausmaßes, die von den neuen »Volksparteien« CDU und CSU geschickt aufgegriffen wurden. Es kamen zudem Faktoren hinzu, die sich für die neue gesellschaftliche Konsensbasis als günstig erweisen sollten:
Die Ausgliederung spezifischer Regionalstrukturen: »der protestantisch ostdeutschen Landwirtschaft, des katholischen schlesischen Industriegebietes, der sächsisch-thüringischen Industrie- und Gewerbegebiete, der altpreußisch-mecklenburgischen Agrarregionen« und Berlins in der Funktion der Reichshauptstadt« (Lepsius 1983 : 11 f.).
Die für Deutschland einst so bedeutsame Konfessionsspaltung verlor durch Krieg und Kriegsfolgen an Bedeutung. Der Anteil der Katholiken betrug im Deutschen Reich im Jahr 1939 33 % an der Gesamtbevölkerung (Protestanten 61 %). Auf dem Territorium der Bundesrepublik war dieser Anteil bis 1950 auf 44,3 % gestiegen.