Verhaltensbiologie. Christoph Randler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christoph Randler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783846348178
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sie sich anders bewegen (z.B. anschleichen).

      Weil solche unbekannten Variablen also stets einen Einfluss haben können, muss bei Beobachtungen klar getrennt werden zwischen Datenauswertung und Interpretation. In unserem Beispiel könnte man also aussagen, dass Amseln vor Katzen früher fliehen als vor Menschen. Dies wäre die korrekte Darstellung. Eine Interpretation wäre dann, dass dies an der unterschiedlichen Gefährdungssituation liegt. Solche Interpretationen sind zulässig, dürfen jedoch nicht mit der reinen Sachaussage vermengt werden. Um die Hypothesen genauer zu untersuchen, könnte man schauen, ob Amseln im Wald eine andere Fluchtdistanz gegenüber Menschen haben als Amseln in der Stadt, und wiederum vermuten, dass ein solcher Unterschied an der Gewöhnung an den Menschen liegt (Habituation, → Kap. 9.1). Man könnte aber genauso gut vermuten, dass im Wald generell ängstlichere Amseln leben und nur die «mutigeren» es geschafft haben, in der Stadt zu leben. Es gibt also stets viele verschiedene Variablen, die bei einer Beobachtung nicht erfasst und kontrolliert werden können. Ungeachtet vieler moderner Methoden und Arbeitsweisen werden in der Verhaltensbiologie vornehmlich Beobachtungen eingesetzt (Owens 2006, → Abb. 2-3).

      2.3.2 | Erkenntnisgewinn durch Experimente

      Experimente gelten als der Königsweg der naturwissenschaftlichen Forschung, da die Hypothesen, die in Experimenten getestet werden, von den Forschern direkt aus der Theorie (oder aus der Literatur) entwickeln werden. Die Hypothesen werden in einer kontrollierten Umgebung getestet und dabei meist in einer, seltener auch in zwei oder mehreren Faktoren systematisch variieren. In unserem Amsel-Katzen-Beispiel würde man also versuchen, alle Aspekte möglichst gleich zu halten und nur eine Variable – den Prädator – zu ändern. Das beobachtete Verhalten der Amsel (d. h. deren Fluchtdistanz) wird dabei beobachtet und protokolliert. In einem zweiten Experiment (an einem anderen Tag) würde man dann einen Menschen in den Lebensraum der Amsel einbringen und wiederum ihr Verhalten protokollieren. Aus den durch diese beiden Experimente gewonnenen Daten könnte dann die Hypothese getestet werden, dass Amseln vor einem Menschen später fliehen als vor einer Katze. Da dieses Beispiel von einem Freilandexperiment ausgeht, gibt es viele weitere Faktoren, die nicht experimentell konstant gehalten werden können, wie z.B. das Wetter oder andere Kontextfaktoren (wie den Ernährungszustand der Amsel). Deswegen werden Experimente oft im Labor durchgeführt, sodass möglichst viele (am besten alle) Bedingungen konstant gehalten werden können. Unser Experiment muss man auch bei verschiedenen Amselindividuen durchführen (Replikation), damit man eine allgemeine Aussage treffen kann. Führt man es nur bei einer Amsel druch, so kann man lediglich zur Aussage kommen, dass diese spezifische Amsel ein bestimmtes Fluchtverhalten zeigt. Wird das Experiment hingegen bei einer größeren Stichprobe (z.B. 10 oder mehr Amseln) durchgeführt, und zeigen alle Amseln ein ähnliches Verhalten, so kann man das Ergebnis generalisieren (verallgemeinern). Auf diese Weise kann das Experiment kausal betrachtet werden, d.h. die Ursache für eine bestimmte Wirkung (in unserem Beispiel die Flucht der Amsel) kann identifiziert werden.

      | Tab. 2-1 Vergleich zwischen experimentellen und beobachtenden Studien.

Beobachtung Experiment
Ursache/Wirkung nur korrelativ kausal
Natürliches Verhalten weitgehend ungestörtes natürliches Verhalten Tiere unter Labor- bzw. experimentellen Bedingungen
Kosten gering für Laborexperimente z.T. hoch (Pflege und Haltung)
Zeit je nach Tierart können Beobachtungen oder Experimente zeitaufwändiger sein
Stichprobe oft größere Stichprobe nötig geringere Stichprobe bei klarer Experimentplanung möglich
Kontrollvariablen möglichst umfassend beachten weniger wichtig, oft hilfreich
Ort meist Freiland Labor und Freiland

      Oft wird das Experiment als «höherwertig» als andere Untersuchungsmethoden betrachtet, da mit Experimenten – anders als bei Beobachtungen – Kausalitäten überprüft werden können. Soweit Experimente gut durchgeführt werden, sind sie tatsächlich besser geeignet, um Schlussfolgerungen zu ziehen. Allerdings können bei Experimenten auch Probleme auftreten. Geht man beispielsweise von einer Stichprobe von 10 Amseln aus, so muss der Hälfte der Amseln zuerst eine Katze präsentiert werden, den anderen fünf hingegen zuerst ein Mensch, um Reihenfolgeneffekte oder Habituation (→ Kap. 9) auszuschließen sowie um festzustellen, ob die Amsel immer bei der ersten Begegnung früher flieht, unabhängig davon, ob es sich dabei um eine Katze oder um einen Menschen handelt. Des Weiteren müssen verschiedene Katzen (z.B. mit einer unterschiedlichen Fellfarbe) und verschiedene Menschen in diesem Experiment teilnehmen, um Pseudo-Replikation zu vermeiden (→ Kap. 2.5). Schließlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass beispielsweise schwarze Katzen ein anderes Verhalten zeigen als graue (weil z.B. das Gen für die Fellfärbung mit dem Gen für Aggression gemeinsam vererbt wird). Diese Vorbehalte zeigen, dass es sehr schwierig ist. Bei der Planung von Experimenten kommt es also sehr darauf an, genau denjenigen Faktor zu identifizieren und zu variieren, der überprüft werden soll. Dazu sind vorab alle möglichen Fehlerquellen sorgfältig zu durchdenken.

      Merksatz

      Ein Experiment bezeichnet die Isolation und systematische Variation von Variablen.

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      Arbeitsorte in der Verhaltensbiologie

      Verhaltensbiologische Studien können sowohl im Labor als auch im Freiland durchgeführt werden. Im Labor herrschen kontrollierte Bedingungen, die leichter variiert werden können, weshalb Experimente im Labor leichter möglich sind. Beispielsweise kann man Tieren im Labor durch Beleuchtung vortäuschen, dass bereits die Sonne aufgeht, obwohl es noch Nacht ist. Eine solche Studie ist im Freiland nur unter erschwerten Bedingungen machbar, wenn nicht gar unmöglich. Viele Messapparaturen sind nur im Labor und nicht im Freiland einsetzbar. Allerdings können Laborstudien nicht immer direkt auf die Freilandsituation übertragen werden. Im Freiland kommen viele Störvariablen hinzu, die sich kaum kontrollieren, bestens aber wenigstens zum Teil erfassen und quantifizieren lassen. Zu diesen Störvariablen gehört, dass Tiere sich im Freiland verstecken können, dass man nichts über die Vorerfahrungen (z.B. Lernprozesse) der beobachteten Tiere weiß und nichts über ihren inneren Zustand (z.B. Hunger). Allerdings zeigen Tiere im Freiland ihr natürliches Verhalten, was ein Vorteil gegenüber Laborversuchen ist. Des Weiteren gibt es Arten, die sich im Labor nicht halten lassen (z.B. einige große Huftiere). Meist sind die Forschungsorte gekoppelt an die Unterscheidung experimentell/observational, da im Labor eher Experimente, im Freiland eher Beobachtungen durchgeführt werden. Dennoch gibt es auch observationale Laborstudien. Wird beispielsweise eine Hausmaus (Mus musculus) im Labor in einen Kasten gesetzt und beobachtet, ob sie sich eher an der Wand oder in der Mitte aufhält, ist dies zunächst einmal eine observationale Vorgehensweise. Erst wenn eine Variable