Konstruktive Rhetorik in Seminar, Hörsaal und online. Jürg Häusermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürg Häusermann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783846355503
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thematischen Aussagen auch verschiedene Positionen im Raum einnimmt. Mit einem Schritt vom Podium herunter auf die erste Sitzreihe zu sagt er: „Jedes Mal, wenn ich hier vorne bin, werde ich Ihnen was erzählen darüber, warum die Physik so erfolgreich ist, also welches Verfahren wir benutzen, welche Annahmen wir machen, wenn wir Physik betreiben.“

      Zurück auf dem Podium stellt er sich zuerst in die entfernte linke Ecke und erklärt: „Wenn ich hier bin, auf dieser Seite, dann geht es ums Heute.“ Dann schreitet er der Wandtafel entlang auf die rechte Seite. Er will damit die historische Zeit visualisieren: „Dieser ganze Weg auf die andere Seite wird dann einen Zeitpfeil darstellen.“

      Diese Ankündigung wird den Zuhörerinnen und Zuhörern helfen, das Gehörte besser einzuordnen. Indem Lesch mit ihnen gemeinsam die verschiedenen Positionen erkundet, bewegen sich alle: Sie richten ihren Blick in alle Richtungen und durchmessen den Raum. Ein Hörsaal, in dem sonst oft nur ein Mensch und seine Wandtafel zu sehen sind, wird dreidimensional. Der Dozent hat also den Raum eingenommen und strukturiert und gleichzeitig die Zuhörenden miteingeschlossen.51

      Raumnutzung im großen Saal

      Wenn man Vorträge oder gar Seminare in großen Hörsälen halten muss, ist es schwierig, mit 100, 200 oder mehr Menschen so Kontakt aufzunehmen, dass auch etwas zurückkommt. Man merkt das spätestens bei einer Frage ans Publikum, wenn dann die Mehrzahl der Leute passiv bleibt.

      Eindeutige Signale geben

      Oft herrscht am Anfang der Veranstaltung noch höfliche Aufmerksamkeit. Dann verliert man langsam den Kontakt zu den Leuten in den hinteren Reihen. Am Schluss sind nur noch zwei, drei Getreue in unmittelbarer Nähe, die zuhören oder auch mal aus Erbarmen eine Antwort geben. Dennoch gibt es immer wieder Beispiele von DozentInnen, denen es gelingt, auch Großveranstaltungen dialogisch zu gestalten. Was tun sie? – Sie bemühen sich um Eindeutigkeit. Weil sie den Raum vorher erkundet haben, wissen sie, dass vieles im Raum die Aufmerksamkeit ablenken kann. Wer seine Redeposition dezidiert, vielleicht sogar demonstrativ einnimmt, hilft, die Konzentration auf sich zu lenken. Auch dass der Vortrag dialogisch sein wird, muss von Anfang an deutlich werden. Wer will, dass das Publikum mitmacht, muss dies zu Beginn signalisieren, nicht erst nach zehn Minuten (s. Kapitel 14). Während der Rede ist es wichtig, für Feedback zu sorgen, also dafür, dass regelmäßig etwas zurückkommt, und zwar auf allen Ebenen. Werkzeuge hierfür sind beispielsweise Fragen, Humor oder Gruppenaktivitäten. Dabei ist es wichtig, den Dialog ständig mit dem gesamten Publikum zu führen. Auch wer zwischendurch mit einer Einzelperson interagiert (z.B. nach einem Zwischenruf), muss erkennen lassen, dass dies für alle eine Bedeutung hat. Er geht eher einen Schritt zurück, um auch die anderen körpersprachlich einzubeziehen, und wiederholt die Frage so, dass der Anschluss an den eigenen Vortrag deutlich wird (oder verweist auf später).

      Blickkontakt im großen Saal

      Da es in großen Sälen nicht möglich ist, auf gewohnte Weise Blickkontakt zu halten, hilft es, das Auditorium in mehrere Sektoren aufzuteilen. In vielen Fällen reichen drei Sektoren aus, was etwa einem Winkel von je 60 Grad entspricht.52

      Den Winkel abzuschätzen, ist relativ einfach: Man setzt sich ins Publikum, sieht einem durchschnittlichen Redner zu, der den Blick immer wieder von der linken zur rechten Ecke des Publikums bewegt, und notiert, ab wann man sich mitgemeint fühlt und ab wann nicht mehr. Dies ergibt die Eckpunkte des Blickbereichs. Allzu schematisch dürfen diese Hinweise aber nicht verstanden werden; das Wichtigste ist, dass man keinen Teil des Publikums systematisch vernachlässigt – zum Beispiel die, die sehr weit hinten (oder in traditionellen Hörsälen in den obersten Reihen) sitzen.

      Worte verhallen lassen

      Oft ist ein Hauptgrund für Verständnisprobleme die Akustik: In großen Sälen ist in der Regel ein Nachhall zu hören, der nur erträglich wird, wenn alle Sitzplätze belegt sind. In Kirchen und anderen repräsentativen Gebäuden ist die Decke so hoch, dass der Hall auch bei Vollbesetzung nicht verschwindet. Dies muss beim Sprechen berücksichtigt werden; die Stimme muss hin und wieder verhallen können. – Die Akustik ist auch ein Grund dafür, dass in alten Kirchen und Versammlungsräumen ein besonderer Ort für die Rednerin oder den Redner geschaffen wurde: Kanzel, Podest, Minbar, Podium, Bütt usw. Wer eines dieser Bauwerke bestieg, war nicht nur in seiner Funktion erhöht, sondern einfach auch besser zu sehen und zu hören. Noch heute ist es für Geistliche eine Überlegung wert, ob sie auf gleicher Ebene wie die Gemeinde reden sollen, um damit Ebenbürtigkeit zu signalisieren, oder ob sie sich auf die Kanzel stellen sollen, um allen Anwesenden visuell und akustisch näher zu sein.

      Diese architektonischen Traditionen haben aber meist den Nachteil, dass Beiträge aus dem Publikum nicht vorgesehen sind. Zwischenfragen oder Erfahrungsberichte aus der Gemeinde von den Bänken aus werden von den anderen kaum verstanden. Wenn ein Gemeindeglied gehört werden will, muss es aufstehen, sich eventuell sogar woanders hinstellen, und meistens muss zusätzlich eine kurze Zusammenfassung von der Kanzel herab das Verständnis sichern.

      image Tipps für Reden in großen Sälen

      »Achte auf die Akustik: Gibt es einen Nachhall, der mehr Pausen erfordert? Regelt jemand die Lautsprecher?

      »Bemühe dich um Eindeutigkeit in der Körpersprache

      »Nimm nur eine Handlung auf einmal vor (Umgang mit Geräten, Manuskript, Bewegung im Raum etc.)

      »Teile das Publikum in Sektoren auf, um die Blickrichtung zu wechseln

      image Beantwortung von Fragen

      »Öffne das Gespräch für alle: Gehe eher einen Schritt zurück als auf den Fragenden zu.

      »Wiederhole die Frage eines Einzelnen für alle vernehmbar.

      »Stelle inhaltlichen Anschluss an den Vortrag her.

      »Beantworte die Frage so, dass alle die Antwort verstehen.

      Raumnutzung im Freien

      Es ist noch nicht so lange her, dass Außenveranstaltungen ohne Mikrofon und Lautsprecher die Regel waren. Abraham Lincoln hielt seinen berühmten Appell an die Demokratie auf dem Schlachtfeld von Gettysburg vor 15.000 Zuhörern. Er war das gewohnt und wird laut und deutlich geredet haben. Nur darf man nicht annehmen, dass die Mehrheit etwas mitbekommen hat. Nach zwei Minuten war die Ansprache ohnehin vorbei, und ohne die Mitarbeit der Presse wäre die Kunde von diesen unsterblichen Worten wohl nie in die Welt gelangt.53

      Das Publikum gruppieren

      Dennoch gibt es Möglichkeiten, die Rede im Freien zu optimieren. Dies beginnt bei der „Choreografie“: Wenn sich Menschen im Freien treffen, stellen sie sich selten so auf, wie man es sich von einem idealen Publikum wünscht. Der Redner muss sich einen Platz schaffen, der Blickkontakt und Hörverständnis garantiert. Und die Menschen müssen als Publikum gruppiert werden, sei es, indem man ihnen Sitzplätze anbietet, sei es, indem man sie energisch an den gewünschten Ort komplimentiert.

      Auf die Akustik achten

      Die akustischen Verhältnisse sind im Freien grundlegend anders als in geschlossenen Räumen. Die Worte werden nicht von den Wänden zurückgeworfen, sondern breiten sich ungehindert aus, so dass ihre Lautstärke mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Deshalb ist eine Verstärkeranlage sogar im kleinen Rahmen nützlich. Andere Möglichkeiten bestehen darin, sich wenigstens so zu stellen, dass der Schall nicht in alle Richtungen entschwindet. Bei einer Ansprache in einem Garten oder auf einer Terrasse z.B. wird man sich mit dem Rücken zur Hauswand stellen, während die Zuhörerinnen und Zuhörer den offenen Raum hinter sich haben.

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