GesetzGesetz und EvangeliumEvangeliumGesetz und stehen in einer gedanklich unaufhebbaren Spannung. Sie löst sich nur im individuellen Vollzug des Glaubens auf. Das ist der Grundgedanke des Reformators. Glaube ist rechtfertigender GlaubeGlaube ist rechtfertigender Glaube (lateinisch: fides iustificans). Von ihm aus bildet LutherLuther, Martin die Theologie um und spitzt sie auf das individuelle Heil, den Glauben zu. Der GottesgedankeGottesgedanke wird von ihm auf die Entstehung des Glaubens bezogen. Gott ist allein im Glauben beim Menschen. Die AntinomieAntinomie von Gesetz und Evangelium muss folglich in das GottesbildGottesbild aufgenommen werden. Sie erscheint hier als Antinomie von Gottes fremdem und eigenem Werk. Gott offenbart sich stets unter dem Gegenteil verborgen. Er tötet, um lebendig zu machen. Entfaltet hat Luther diese Antinomie des göttlichen OffenbarungshandelnsOffenbarungshandeln in seiner theologia crucis (Theologie des Kreuzes).
Infobox
theologia crucis:
Die Theologie des Kreuzes stellt einen zentralen Bestandteil im Denken Martin LuthersLuther, Martin dar, der keineswegs auf dessen Frühwerk beschränkt ist. Ausgeführt hat er das Konzept vor allem in seinen frühen Vorlesungen, insbesondere der zweiten Vorlesung über die Psalmen (1518–1521). Die Forschungsliteratur erörtert die theologia crucis oft anhand der Thesenreihe, die der Wittenberger Theologe im Frühjahr 1518 in Heidelberg diskutierte (Heidelberger Disputation). In diesen Thesen stellt er die KreuzestheologieTheologieKreuzes- einer Theologie der HerrlichkeitHerrlichkeit entgegen und behauptet, wahre Theologie sei die des Kreuzes. Deren Bedeutung geht allerdings weit über die Probleme einer angemessenen theologischen Erkenntnis hinaus.
In dem Stichwort theologia crucis verschränkt LutherLuther, Martin sünden-, bußtheologische, soteriologische, christologische und theologische Motive zu einer Gesamtkonzeption. Sie beschreibt unter Aufnahme von biblischen Belegstellen (Ps 4,4; 1Kor 18,23; Jes 28,21 und Röm 5,4f.), die als systematische Platzhalter fungieren, die DialektikDialektik des göttlichen OffenbarungshandelnsOffenbarungshandeln. In die KreuzestheologieTheologieKreuzes- ist aufgenommen, dass Gott wundersam handelt. In seinem fremden Werk tötet er, um lebendig zu machen. Das innere Gefälle zwischen Gottes fremdem und seinem eigenen Werk, welches, da er stets unter dem Gegenteil verborgen handelt, nicht offen zu Tage liegt, bringt die theologia crucis ebenso zum Ausdruck wie eine mit dem Sündengedanken verbundene Dialektik von Sein und Schein.
Die theologia crucis fungiert ebenso als methodische Grundlage der ChristologieChristologieChristologie wie auch des Verständnisses der Kirche. Während der Reformator das ChristusbildChristusbild auf die Niedrigkeit des Kreuzes sowie die Anfechtungen Christi zuspitzt, ist die wahre KircheKirchewahre verborgen. Sie ist die Gemeinschaft der GlaubendenGemeinschaft der Glaubenden, die nur Gott kennt. Zwar ist die verborgene KircheKircheverborgene, unsichtbare auf die sichtbare bezogen, aber sie ist nicht mit der Institution identisch. Letztere verkündet [44]das Wort GottesWort Gottes. Das macht sie zur Kirche. Aus der äußeren VerkündigungVerkündigung folgt jedoch nicht unmittelbar der Glaube, die innere GewissheitGewissheit des Menschen.
Der Glaube als innere WahrheitWahrheitinnere des Menschen ist gebunden an das äußere WortWortäußeres der Bibel, deren gleichsam göttliche Dignität vorausgesetzt wird. Die grundlegende AutoritätAutorität und Norm in theologischen und religiösen Fragen ist für den Wittenberger Reformator die Heilige Schrift. Deren normative Funktion bahnt sich bereits in der ersten Psalmenvorlesung an, und sie verstärkt sich durch die Auseinandersetzung mit der römischen Kurie infolge des 1517/18 einsetzenden AblassstreitsAblassstreit. Die Bibel rückt jetzt in eine Prinzipienfunktion ein, die sowohl der Kirche als auch allen menschlichen Auslegern übergeordnet ist. Um eine solche Wahrheits- und Urteilsinstanz sein zu können, muss die Schrift in sich selbst klar und gewiss sein. Nur auf diese Weise kann sie als Appellationsinstanz und Richter in allen Streitfragen fungieren. So ist für LutherLuther, Martin zwar das GewissenGewissen des Menschen der Ort, an dem sich die innere WahrheitWahrheit durchsetzt, aber sie verdankt sich nicht dem Gewissen. Wahrheit kommt allein Gott und seiner Heiligen Schrift zu.
[45]Literatur
Ulrich BarthBarth, Ulrich: Die DialektikDialektik des Offenbarungsgedankens. LuthersLuther, Martin Theologia crucis, in: ders.: Aufgeklärter Protestantismus, Tübingen 2004, S. 97–123.
Christian Danz: Einführung in die Theologie Martin LuthersLuther, Martin, Darmstadt 2013.
Christian Danz (Hrsg.): Martin LutherLuther, Martin. Neue Wege der Forschung, Darmstadt 2015.
Dietrich Korsch: Martin LutherLuther, Martin zur Einführung, Tübingen 22007.
Bernhard Lohse:LuthersLuther, Martin Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995.
Aufgaben
1 Informieren Sie sich über LuthersLuther, Martin Verständnis des rechtfertigenden Glaubens.
2 Lesen Sie den Aufsatz von Ulrich BarthBarth, Ulrich über LuthersLuther, Martintheologia crucis.
3 Lesen Sie LuthersLuther, Martin Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen, und skizzieren Sie deren Aufbau sowie die grundlegenden Thesen.
b. Johannes CalvinCalvin, Johannes
Während der Wittenberger Reformator den Glaubensvollzug in den Fokus seiner Umbildung der Theologie rückt, erhält dieser Gedanke bei Johannes CalvinCalvin, Johannes (1509–1564) eine andere Nuance. LutherLuther, Martin hat sein neues Verständnis von Theologie in erster Linie in seinen exegetischen Vorlesungen sowie in zahllosen Gelegenheitsschriften entfaltet. Die erste Darstellung einer reformatorischen DogmatikDogmatik liegt in Philipp MelanchthonsMelanchthon, Philipp (1497–1560) Loci communes von 1521 vor. Dem protestantischen Grundanliegen folgend, bieten die Loci eine zusammenfassende Darstellung des Römerbriefs des ApostelsApostel Paulus. Calvin schließlich hat mit seiner in erster Auflage 1536 erschienenen Institutio Christianae Religionis (Unterricht in der christlichen ReligionReligionchristliche) die erste umfassende systematische Darstellung reformatorischer Theologie vorgelegt. Der Aufbau der Schrift in vier Bücher lehnt sich an Luthers Katechismen von 1529 an. Es wurde das grundlegende Buch des reformierten Protestantismus und erschien in mehreren stark überarbeiteten Auflagen.
Ähnlich wie LutherLuther, Martin rückt auch CalvinCalvin, Johannes die RechtfertigungRechtfertigung des Menschen in das Zentrum seiner Umbildung der ihm überkom[46]menen Theologie, und wie der Wittenberger ist er der Auffassung, Theologie ist in erster Linie Auslegung der Heiligen Schrift. Allerdings bekommt der Gedanke des rechtfertigenden Glaubens bei dem Genfer Theologen einen anderen Akzent. Er verbindet ihn stärker mit der HeiligungHeiligungHeiligung des Einzelnen und fasst auf diese Weise den Zusammenhang von Glaube und Werk enger als Luther. Sodann ist Calvin der Auffassung, dass das GesetzGesetz sich nicht in seiner theologischen Funktion, den Sünder zu überführen, erschöpft. Auch für den Glaubenden hat es noch eine Bedeutung. Der Wittenberger Reformator hat einen solchen dritten Gebrauch des Gesetzes (lateinisch: tertius usus legis) für die Wiedergeborenen stets vehement abgelehnt. Für ihn hat das Gesetz nur zwei Funktionen. Es regelt das äußere Zusammenleben der Menschen. Von dieser politischen Funktion ist dessen theologische zu unterscheiden. Beim theologischen Gebrauch des Gesetzes geht es allein um die Erkenntnis der Sünde. Die Glaubenden sind frei vom Gesetz. Sie bedürfen seiner nicht mehr. Anders bei Calvin. Sein Beharren auf dem Gesetz für die Glaubenden verrät ein Interesse an den sozialen Konsequenzen des Glaubens. Folglich liegt beim Kirchenbegriff der Akzent auf der Gestaltung der Gesellschaft. Da dem Staat der Schutz der wahren ReligionReligionwahre obliegt, ist er auch für die Durchsetzung der OrdnungOrdnung der Kirche zuständig. Das führt zu einem theokratischen Modell, welches Calvin in Genf durchsetzte.
Anders als der Wittenberger konstruiert der Schweizer Reformator auch die ChristologieChristologieChristologie sowie darauf fußend die AbendmahlslehreAbendmahlslehre. Christus ist zwar eine PersonPerson in zwei