Die von AugustinAugustinus, Aurelius geschaffene Verbindung von biblischem und platonischem Denken wird aufgenommen von Anselm von CanterburyAnselm von CanterburyAnselm von Canterbury (1033/34–1109). Der frühscholastische Denker bezeichnet die Auslegung der christlichen Lehrüberlieferung noch nicht als Theologie. Ganz im Sinne des Bischofs von Hippo Regius geht es ihm um eine gedankliche Durchdringung der Glaubensgehalte. In seinen bekannten Schriften Proslogion (1077/78) und Cur Deus Homo (1098) unternimmt er den Versuch, die ExistenzExistenz Gottes sowie die MenschwerdungMenschwerdung Gottes mit den begrifflichen Mitteln der VernunftVernunft zu begründen. Dadurch soll der Skeptiker, der solchen Glaubenswahrheiten mit dem Herzen zuzustimmen geneigt ist, im Kopf mit Argumenten überführt werden. Die von ihm geglaubte WahrheitWahrheitgeglaubte soll nicht nur eine solche sein, sie soll vielmehr auf einsichtige Weise verstanden werden (lateinisch: fides quaerens intellectum). Den gedanklichen Rahmen hierfür bietet der PlatonPlatonismusPlatonismus. Er ist die Voraussetzung für das sogenannte eine Argument (lateinisch: unum argumentum) von Anselm, mit dem er die Existenz Gottes aus dessen Begriff ableitet. Gott ist ihm das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann (lateinisch: id, quo nihil maius cogitari potest). Zum Begriff Gottes gehört jedoch dessen Existenz bereits hinzu, da die platonischen IdeeIdeen [37]das wahre Sein darstellen. Denkt man Gott als nicht existierend, dann – so die Konsequenz – hat man nicht ihn gedacht.
AnselmAnselm von Canterbury benutzte zur Durchführung seines philosophisch-theologischen Programms die didaktische FormForm (Philosophie) des Dialogs, Petrus AbaelardusPetrus AbaelardusPetrus Abaelardus (1079–1142) die DialektikDialektik. In seinem Werk Sic et non (Ja und Nein) stellt er konfligierende Lehrmeinungen der KirchenväterKirchenväter mit dem Ziel zusammen, deren Widersprüchlichkeit aufzuweisen. Solche Divergenzen können allein durch Interpretationen gelöst werden und nicht durch eine Berufung auf AutoritätenAutorität. Die von ihm geschaffene Methode regte die sogenannte Quaestionenliteratur (von lateinisch: quaestio, Frage) an. Abaelards Schüler Petrus LombardusPetrus LombardusPetrus Lombardus (1095/1100–1160) schuf mit seiner Schrift Liber sententiarum (Sentenzenbücher, von lateinisch: sententia, Meinung) eines der einflussreichsten Lehrbücher des Mittelalters. Bis hin zu Martin LutherLuther, Martin (1483–1546) wurden dessen Sententien im Lehrbetrieb von angehenden Theologen immer wieder kommentiert und um neue Fragestellungen erweitert. In den vier Teilen der Schrift erörtert der Lombarde durch eine Zusammenstellung von Meinungen der Kirchenväter die Gottes-, Schöpfungs-, Inkarnations- und SakramentslehreSakramentslehre. Jetzt etabliert sich auch der Begriff Theologie zur Bezeichnung der kirchlichen Lehre im Ganzen.
Zu einem Umbruch im WissenschaftsverständnisUmbruch im Wissenschaftsverständnis mit gravierenden Folgen für die Auffassung der theologischen Arbeit kam es im 13. Jahrhundert. Dem lateinisch sprechenden Abendland waren die Schriften des AristotelesAristoteles nur zu einem Teil bekannt. Ein wichtiger Übermittler von dessen Denken war BoethiusBoethius (480/485–524/526). Infolge der Expansion des IslamIslam wurde den lateinischen Gelehrten des Westens im 13. Jahrhundert das Corpus Aristotelicum vermittelt. Die Bekanntschaft mit dem Werk des Stagiriten löste zunehmend das platonische Paradigma des theologischen und philosophischen Denkens ab und führte zu einem neuen Verständnis der Theologie als Wissenschaft. Aristoteles zufolge hat jede Einzelwissenschaft Prinzipien, von denen sie ausgeht. Von welchen, so musste man in dem neuen aristotelischen Wissenschaftsparadigma fragen, geht die Theologie aus, wenn sie eine scientia (lateinisch: Wissenschaft) sein soll? Thomas von AquinThomas von AquinThomas von Aquin (um 1225–1274) gab auf die Frage die Antwort, die Theologie geht von den Glaubensartikeln aus. Diese sind deren Prinzipien. Die Artikel des Glaubens beziehen sich auf das Wissen, welches Gott von sich selbst hat, sind diesem jedoch untergeordnet. Gott hat [38]sein Wissen von sich selbst den Menschen zwar durch seine Offenbarung bekannt gemacht, es ist aber nur dem Glauben und nicht der VernunftVernunft zugänglich. Die Theologie ist folglich eine untergeordnete oder subalternierte Wissenschaft.
In seinem Hauptwerk, der unvollendet gebliebenen Summa theologica, hat Thomas in Anknüpfung an seinen Lehrer Albertus MagnusAlbertus Magnus (1193/1200–1280) sein neues Verständnis von Theologie als Wissenschaft etabliert. Die Aufgabe der Theologie besteht darin, die Lehrgehalte der Bibel, die nicht der VernunftVernunft zugänglich sind, auf eine vernünftige Weise auszulegen. Der Aquinate verknüpft die ihm überlieferte theologische Lehrtradition mit der aristotelischen Philosophie. Das ist nicht ohne Probleme. Der antike Philosoph kennt nämlich weder einen transzendenten Gott noch eine Welt, die von diesem aus dem Nichts ins Dasein gerufen wurde. Für den Philosophen ist die Welt anfangslos. Die von dem Aquinaten geschaffene Synthese von Aristotelismus und ChristentumSynthese von AristotelismusAristotelismus und Christentum blieb auch nicht unwidersprochen. 1277, nur drei Jahre nach dem Tod von Thomas, verurteilte der Pariser Bischof Stephan TempierStephan Tempier (gest. 1279) 219 theologische und philosophische Sätze, um den Einfluss der aristotelischen Philosophie auf die Theologie in die Schranken zu weisen.
Die Rezeption des aristotelischen Denkens, die in dem System von Thomas einen ersten Höhepunkt erreicht hatte, führte zu zahlreichen Kontroversen über philosophische und theologische Fragen. Der Platoniker AnselmAnselm von Canterbury hatte die Existenz Gottes aus dessen Begriff abgeleitet. Vor dem Hintergrund des aristotelischen [39]Denkens ist ein solcher Beweis des Daseins Gottes unverständlich. In der Summa theologica des Thomas findet dann auch der später ontologischontologisch genannte Beweis von AnselmAnselm keine Berücksichtigung. An dessen Stelle treten bei dem Aquinaten kosmologische Beweisverfahren, also solche, die von der WeltWelt als Wirkung auf Gott als deren UrsacheUrsache (Philosophie) zurückschließen. Intensive Debatten werden von den mittelalterlichen Denkern über die Frage geführt, ob Allgemeinbegriffen wie Mensch Realität zukommt.
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UniversalienstreitUniversalien, Universalienstreit:
UniversalienUniversalien, Universalienstreit (lateinisch: universalia) nennt man Gattungs-, Allgemeinbegriffe oder auch Eigenschaften. Schon im frühen Mittelalter wurde darüber diskutiert, ob solchen Begriffen Realität zukommt. Vor dem Hintergrund des PlatonPlatonismusPlatonismus legt es sich nahe, Allgemeinbegriffen wie Mensch oder GerechtigkeitGerechtigkeit Realität zuzusprechen. Ähnlich wie den IdeeIdeen Platons kommt ihnen im Unterschied zu den Einzeldingen wahre Realität zu. Diese Position nennt man RealismusRealismus: Real sind allein die nichtsinnlichen Wesenheiten. Den Einzeldingen kommt lediglich eine abgeleitete Weise von Realität zu. Die Gegenposition hierzu nennt man NominalismusNominalismus oder auch via moderna (moderner Weg) im Unterschied zum Realismus der via antiqua (alter Weg). Für den Nominalismus haben nur die Einzeldinge Realität, während Allgemeinbegriffe bloße Nomen, also Wörter sind. Letztere werden als Begriff von der SeeleSeele repräsentiert.
Das theologische System des Thomas, in dem AristotelismusAristotelismus und Christentum unter Beibehaltung grundlegender platonischer Überzeugungen kunstvoll miteinander verbunden waren, wurde im 13. Jahrhundert der Kritik unterzogen. Die aus der Philosophie PlatonsPlaton übernommene Annahme, der Bestand der Welt sei von EwigkeitEwigkeit her in den IdeeIdeen gleichsam festgelegt, empfand man zunehmend als Beschränkung der Allmacht Gottes. Der platonische Schöpfergott kann in der Tat keine andere Welt schaffen als die, die in dem Ideenkosmos präfiguriert ist. So lehrten es sowohl AugustinAugustinus, Aurelius als auch Thomas. Die von Gott geschaffene Welt ist in ihren Grundstrukturen rational. Andernfalls wäre es unmöglich, von dem Geschaffenen auf seinen intelligenten Welturheber als UrsacheUrsache (Philosophie) zu schließen. Im späten Mittelalter werden diese Überzeugungen vor dem Hintergrund der Rezeption der aristotelischen Philosophie unplausibel. Gott ist, wie die spätmittelalterlichen Autoren betonen, in seinem Handeln an keine Vorgaben gebunden, auch nicht an die Ideen als Garanten ewiger Wahrheiten. In seinem Oxforder Kommentar zu den Sentenzen des Lombarden unterscheidet Johannes Duns ScotusJohannes Duns ScotusJohannes Duns Scotus (um 1270–1308) zwischen einer absoluten und einer geordneten Macht Gottes (lateinisch: potentia Dei absoluta et ordinata). Mit der Differenzierung soll das intrikate Problem der Allmacht Gottes begrifflich geklärt werden. Im Rückgriff auf die genannte Unterscheidung lässt sich sagen, Gott handelt zwar stets nach einer OrdnungOrdnung, aber diese ist von ihm selbst gesetzt. Es steht ihm also völlig frei, sie jederzeit zu ändern und nach einer