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Ich wandte den Kopf ein wenig zur Seite und sah aus den Augenwinkeln heraus gerade noch einen schlanken Frauenarm und eine zierliche, langfingerige Hand mit lackierten Fingernägeln.
Diese Hand umfasste allerdings den Griff einer Waffe und deshalb zog ich es vor, ihr zu gehorchen.
"Was nun?", fragte ich, als meine Hände schließlich oben waren.
"Pistole fallenlassen!"
"Ich sollte sie vorher sichern."
"Tun Sie, was ich sage!"
"Manchmal löst sich ein Schuss, wenn..."
"Nun machen Sie schon, verdammt nochmal, oder ich durchsiebe Sie!"
"Auf Ihre Verantwortung."
Ich ließ die Automatik fallen. Es machte ziemlich viel Krach, als das Ding auf den Kachelboden plumpste. Aber es löste sich kein Schuss.
"Wer sind Sie?", fragte sie. Sie rollte das R und hatte einen starken Akzent. Aber sie sprach sehr korrekt. Viel korrekter, als jemand, der Deutsch als Muttersprache gelernt hat. In ihrer Stimme war ein leichtes Zittern. In ihrer Hand auch, was mich beunruhigte. Die kleine israelische MPi mit der sie da herumwedelte, konnte auch dann noch großen Schaden anrichten, wenn sie von jemandem bedient wurde, der nichts vom Schießen verstand. Ein Blinder konnte damit einen Menschen treffen, vorausgesetzt, er betätigte lange genug den Abzug.
Ich drehte mich herum.
Ich machte es einfach, obwohl Sie es mir verboten hatte.
"Ich habe Sie etwas gefragt!", zischte sie.
"Mein Ausweis ist in der linken Jackett-Innentasche."
"Verkaufen Sie mich nicht für dumm!"
"Würde ich nie wagen. Nicht, solange Sie das Ding in der Hand halten. Aber Sie werden mir doch ohnehin nichts glauben, was sie nicht schwarz auf weiß sehen."
Sie atmete tief durch.
Wenigstens in einem war ich ihr voraus. Ich wusste nämlich, wer sie war: Krylenkos Tochter.
Ich sagte ihr den Namen, der gegenwärtig in meinem Pass stand und den ich bald schon abzulegen gedachte. Der Name sagte ihr natürlich nichts. "Ich mache Ihnen einen Vorschlag", sagte ich dann. "Legen Sie das Ding da weg, dann können wir uns wesentlich angenehmer unterhalten."
"Könnte Ihnen so passen!"
"So eine Waffe kann leicht mal losgehen."
"Das ist schon das zweite Mal, dass Sie mich darauf hinweisen!"
"Sie sollten mir vertrauen."
Sie zog ihre dünnen Augenbrauen in die Höhe.
"Ach, wirklich? Und warum?"
"Weil ich einen der Leute erschossen habe, die Ihren Vater auf dem Gewissen haben."
Sie schien unschlüssig. Ich nutzte das für einen Schritt nach vorn, aber sie hob gleich wieder die Waffe um zwei Zoll und packte den Griff der MPi mit beiden Händen. "Schön ruhig...", murmelte sie.
"Wie haben Sie es geschafft, das zu überleben?", fragte ich sie ungerührt. Einerseits interessierte es mich. Andererseits dachte ich, dass es gut wäre, sie etwas zu fragen. Irgend etwas. Damit ihr Kopf etwas Beschäftigung hatte.
"Diese Kerle waren Profis, die drei Wachhunde, die Ihren Vater hier her begleitet haben wahrscheinlich auch, aber die sind jetzt tot. Warum leben Sie?"
"Ich hörte sie kommen", murmelte sie. "Die Schüsse... Es ging alles so schnell. Ich war im Obergeschoss und habe mich in einem Kleiderschrank versteckt."
"Und dann?"
"Ich hatte Glück, das war alles."
"Haben die Kerle nicht überall nachgesehen?"
"Ich sagte doch, ich hatte Glück."
"Und dann sind Sie heruntergekommen und rausgelaufen. Draußen haben Sie dem toten Gorilla die MPi abgenommen."
"Sie haben ihn erschossen?"
"Ja", nickte ich.
"Und der andere? Ich dachte, es waren zwei."
"Es waren sogar drei. Einer wartete im Wagen. Nummer zwei ist davongelaufen. Ich habe ihn am Arm erwischt."
Ihre Augen wurden schmal.
"Dann gehören Sie auch zu Khalils Leuten!"
"Sie denken schnell!"
Sie kaute auf ihrer Lippe herum. Tränen liefen ihr über das Gesicht. "Warum sind Sie nicht hier gewesen, als es noch etwas genützt hätte?", murmelte sie tonlos.
"Ich war eben zu spät."
Diesmal sagte ich sogar die Wahrheit.
"Und warum haben Sie dem Toten dort die Papiere abgenommen?"
"Alle Achtung! Sie passen auf!"
"Ich habe Augen im Kopf."
"Ich wollte nicht, dass jemand anderes die Papiere nimmt. Irgendwann wird ja mal jemand hier auftauchen und dann wird bald die Polizei kommen und alles untersuchen."
Sie nickte. Was ich sagte, schien in ihren Ohren plausibel zu klingen. Mit Erleichterung sah ich, wie sie die MPi dann endlich sinken ließ.
"Ich werde mich jetzt bücken, um meine Knarre wieder einzustecken", kündigte ich ihr an. "Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen!"
Sie schüttelte den Kopf.
"Habe ich nicht."
Na wunderbar! Sie schien vernünftig zu werden. Aber sie hatte innerhalb der letzten Stunde ja auch einiges mitgemacht - und wessen Verstand wäre da nicht kurzfristig in Urlaub gegangen?
Ich nahm also die Kanone auf und versuchte mich dabei so zu bewegen, dass ich die junge Frau nicht unnötig nervös machte. Als ich dann wieder aufblickte stand sie fast apathisch da. Die Maschinenpistole hatte sie auf der Küchenanrichte abgelegt. Ihre Hand befand sich allerdings noch ganz in der Nähe des Griffs.
Ich hätte sie gerne das eine oder andere gefragt, aber im Moment war wohl nicht der richtige Zeitpunkt. Sie schien nachzudenken. Dann rollten ihr wieder ein paar Tränen über die Wangen. Ihr dezentes Make-up war nur noch eine Art Aquarell. Ich gab ihr ein Taschentuch und sie nahm es stumm.
Dann ging ich an ihr vorbei. Hinaus in den Flur und dann ins Wohnzimmer.
Ich sah mich etwas um. Hinter einem umgestürzten und von einer MPi-Garbe durchlöcherten Sessel fand ich das Telefon.
Der Hörer hing nicht in der Gabel, aber das Freizeichen verhieß, das das Ding noch funktionierte.
Ich