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Ich fuhr Richtung Frankfurt. Vielleicht schaffte ich es, mit einem Flieger wegzukommen, obwohl ich nicht so recht daran glaubte. Wie sich herausstellte, hatte ich auch allen Grund zur Skepsis, denn ich war kaum drei Stunden auf der Piste, da hörte ich im Autoradio bereits eine Fahndungsmeldung der Polizei.
Gesucht wurde ein Mann Ende zwanzig, der sich als Angehöriger der Kriminalpolizei ausgab und mit einem BMW unterwegs war. Sogar die ersten drei Buchstaben des Kennzeichens hatten sie. Und die Täterbeschreibung passte auf mich. Gute Arbeit. Ich konnte nur zähneknirschend gratulieren und mir überlegen, wie ich an einen anderen Wagen kam, der weniger verdächtig war.
Ich fuhr bei nächster Gelegenheit auf einen Parkplatz und tauschte die Nummernschilder des BMW gegen diejenigen aus, die ich von meinem Volvo entfernt hatte. Perfekt war das nicht, aber fürs erste würde es vielleicht reichen. Es wurde dunkel, was mir im Moment ganz recht war. Nicht mehr lange, und man würde von dem BMW nur noch vier Lichter sehen. Und von mir gar nichts mehr. Ich steckte bis zum Hals im Sumpf, das wurde mir mehr und mehr bewusst.
Wenn ich jetzt bei irgend einem Flughafen anrief, um mir einen Platz auf einer Maschine - egal wohin - reservieren zu lassen, konnte ich das unmöglich unter meinem derzeitigen Namen tun. Aber mir einen neuen - samt Papieren und dergleichen zuzulegen, das würde etwas Zeit brauchen. Anders ging es nicht. Egal, wohin ich mich auch verdrücken würde, nicht lange und die Interpol-Fahndung nach mir würde mich in nahezu der ganzen Welt zum Freiwild machen.
Nein, kopflose Flucht hatte keinen Sinn. Das führte mich nur geradewegs in eine Gefängniszelle. Und das vermutlich lebenslänglich, so wie ich die Lage einschätzte. Alles musste sorgfältig geplant werden.
Als erstes brauchte ich eine neue Identität. Nicht nur einen neuen Namen und einen Pass, mit dem ich durch die Kontrollen am Flughafen oder sonst irgendwo kam. Ich musste jemand anderes werden, mir eine Identität schaffen, die vielleicht sogar ein paar Jahre verwendbar blieb.
Zum Glück hatte ich auf diesem Gebiet etwas Erfahrung. Es war nicht der erste Identitätswechsel, den ich hinter mir hatte und ich hoffte, zumindest die Fehler, die ich das letzte Mal gemacht hatte, zu vermeiden.
Gegen Morgen stellte ich mich auf den Parkplatz einer Autobahnraststätte, klappte den Sitz zurück und schlief ein oder zwei Stunden. Besonders bequem war das nicht, aber unter diesen Umständen das Sicherste.
Es war kurz vor Sonnenaufgang, als ich in die rund um die Uhr geöffnete Cafeteria ging, um zu frühstücken. An der Registrierkasse saß eine Philippina, die wie ein stummer Fisch wirkte. Der Kaffee, der aus dem Automaten kam, war ziemlich dünn. Und die belegten Brötchen schon recht dröge. Frische gab es erst in zwei Stunden. Ich setzte mich ans Fenster und nippte an der braunen Instant-Brühe. Im Hintergrund dudelte das Radio. Um diese Zeit war hier kaum etwas los.
Gut fünf Minuten lang blieb ich sogar der einzige Gast, bis ein dickbäuchiger Trucker auftauchte.
Er versuchte mit dem stummen philippinischen Fisch ein Gespräch anzufangen, aber ohne viel Erfolg. Sie verstand offenbar nicht einmal zehn Prozent von dem, was er sagte und lächelte nur verlegen.
Unglücklicherweise versuchte er es danach bei mir.
"Hier ist doch noch frei, oder?"
Was sollte ich dazu sagen? Er saß schon mit einer Backe auf dem blanken Kunststoffsitz, der am Boden fixiert war, so dass man ihn nicht einen Zentimeter bewegen konnte. So etwas hat mir noch gefehlt, dachte ich. Der Kerl hatte Langweile und hoffte, dass ich sie ihm vertrieb. Ich gab mir einigermaßen Mühe.
"Ganz schön früh, was?", meinte er, während er an seiner Tasse nippte. Er trank keinen Kaffee, sondern Tee. Vielleicht war er öfter hier und wusste daher, wie dünn der Kaffee war. Ich nickte leicht, während ich mein dröges Brötchen herunterwürgte.
"Ja, ganz schön früh."
"Fährst du den Fünfzehntonner, den ich da draußen gesehen habe?"
"Nein."
Er zuckte die Schultern.
"Ich dachte..."
"Tut mir leid"
"Hätte ja sein können."
Ich wollte vermeiden, dass er mich auszufragen versuchte.
Also fragte ich ihn etwas.
"Was fährst du denn?", erkundigte ich mich.
Er machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Fahrräder", meinte er. "Ein ganzer Sattelschlepper voll."
"Klingt nicht sehr aufregend."
"Ist es auch nicht."
Und dann erzählte er mir von seinem Job. Es war wirklich nicht sehr interessant. Normalerweise hätte es mir nichts ausgemacht, seinem Gerede zuzuhören oder zumindest so zu tun, aber genau in diesem Moment kamen Nachrichten. Aber der Kerl, der mir gegenüber saß hatte leider ein ziemlich lautes Organ.
Ich verstand nichts.
Oder jedenfalls fast nichts. Die Fahndungsmeldung wurde noch einmal gebracht, aber es hätte mich in diesem Moment interessiert, ob sie vielleicht schon mehr wussten, als beim letzten Mal. Ein paar Minuten hörte ich noch dem Trucker-Geschwätz zu, dann trank ich meinen Kaffee leer - so dünn er auch war - und sah zu, dass ich wegkam.
Mit den ersten Pendlern kam ich nach Frankfurt.
Mein Weg führte mich auf direktem Weg ins Bahnhofsviertel.
Um diese Zeit fand ich sogar noch einen Parkplatz.
Gebührenpflichtig zwar, aber immerhin ein Parkplatz.
Ich wollte zu einem Mann namens Bernd Dietrich, der mir vor Jahren mal aus der Patsche geholfen hatte. Nicht aus Freundschaft, sondern für Geld. Aber das machte ihn in meinen Augen nicht weniger zuverlässig. Und im Moment war Geld kein Problem für mich. Deshalb und weil Dietrich hervorragende Connections hatte, was Dokumente jeglicher Art anging, schien er mir die richtige Adresse zu sein.
Ihm gehörte eine schmuddelige, aber gutbesuchte Bar, wo ich ihn aufsuchen wollte, sobald sich dort irgend etwas regte. Da der Betrieb dort aber erst vor kurzem zu Ende gegangen war, dauerte das noch etwas. Bis ich Dietrich sprechen konnte, würden also noch ein paar Stunden vergehen.
Mindestens. Doch die würde ich schon sinnvoll herumkriegen können. Seine Privatadresse kannte ich zwar nicht, aber ich hätte sie leicht herausfinden können. Allerdings wusste ich, dass er es nicht mochte, dort aufgesucht zu werden. Und ich hatte nicht vor, so dumm zu sein, jemanden zu verärgern, von dem ich noch etwas wollte. Und Tatsache war nun einmal, dass Dietrich auf mein Geld gut verzichten konnte, ich auf seine Hilfe aber nicht. An einem Kiosk kaufte ich mir einen Packen Zeitungen und setzte mich damit in den Wagen. In dreien fand ich mein Phantombild. Dazu eine wilde Sensationsstory, das meiste davon Spekulationen. Offenbar wusste die Polizei noch nicht sonderlich viel und die armen Schreiber mussten das irgendwie ausgleichen.
An einem Stehcafé nahm ich eine Tasse, damit ich nicht einschlief. Ich wartete ungeduldig bis es neun Uhr wurde.
Die Geschäfte machten auf. Ich fragte mich bis zu einem Laden mit Scherzartikeln durch und besorgte mir ein paar Utensilien, um mein Äußeres zu verändern. Spray, das die Haare färbte und leicht auswaschbar war. Grau und blond hatte ich genommen. Im Bahnhof gab es einen Passbild-Automaten. Ich setzte mich hinein und ließ einen Satz Bilder