Nachdem sich die Gäste des Heiligen Vaters verabschiedet haben, gesteht Papst Leo seiner Geliebten Monique, er selbst habe eigentlich mit einem gewaltigen Echo seiner Antrittsrede im Petersdom gerechnet. Nebenbei gesagt hatte ihm Schwester Monique von dieser Predigt eindringlich, aber leider vergeblich, abgeraten … Sie hatte noch nicht einmal ihre Koffer ausgepackt, als Leo XIV. schon ihren Rat, eigentlich ihre Zustimmung, erbeten hatte.
Als er diese nicht erhielt, die Nonne im Gegenteil entsetzt war über die aggressive Wortwahl, war Seine Heiligkeit eingeschnappt gewesen. Monique hatte sich ihre Ankunft im Vatikan eigentlich anders vorgestellt gehabt … Immerhin haben sie miteinander geschlafen.
Der Heilige Vater scheint das bereits vergessen zu haben, so distanziert, wie er sich ihr gegenüber immer noch gibt. Zum ersten Mal beschleicht sie eine leise Ahnung, es könne sich zwischen ihnen seit seiner Wahl zum Papst etwas Entscheidendes geändert haben. ‚Wollte er womöglich gar nicht, dass ich ihm nach Rom folge?’, überlegt sie mit einer Mischung aus Sorge, Selbstmitleid und Verbitterung. ‚Es wäre fairer gewesen, mir das rechtzeitig zu sagen!’
Leo XIV. ahnt nichts von den Gedanken, die auf seine Geliebte einstürmen. „Ich erhoffte mir ein leidenschaftliches Pro und Kontra, voll aufgewühlter Emotionen, deren Spektrum sich von frenetischer Zustimmung bis zu hysterischer Ablehnung erstrecken sollte.
Stattdessen, ma Chère: Nichts dergleichen! Nur sehr höfliche Zurkenntnisnahme, im Höchstfall lauwarme Zustimmung sowie Lob für eine ‚maßvolle und exzellente Formulierung’.
Das war keineswegs das von mir gewünschte Ergebnis. Dass ich brillant zu predigen verstehe, weiß ich selbst. Das mangelnde Echo auf meine allererste Predigt als Papst ist für mich ziemlich ernüchternd gewesen.“
Monique schenkt ihm zwar höflich Gehör, weiß aber ebenfalls keine Antwort darauf. Im Übrigen ist sie mit ihren Gedanken ganz woanders: Ihr schon seit frühen Mädchentagen geliebter Maurice hat sich zweifellos verändert.
‚Ob es der ungewöhnliche Stress ist, den er bisher als Kardinal nicht gewöhnt war?’, fragt sie sich gerade. Das würde sie zwar sehr bedauern, aber es wäre immerhin eine Erklärung, die sie nachvollziehen könnte. Sie überlegt, wie und inwieweit man Leo entlasten könnte, um ihm – und ihr – das bisher gewohnte einträchtige Miteinander wieder zu ermöglichen.
Augenblicklich sind sie nämlich weit davon entfernt, ein Liebespaar zu sein, so wie sie es seit fünfundzwanzig Jahren immer gewesen sind: In der zehnten Nacht, die seiner Wahl zum Pontifex folgte, als sie im Vatikan eingetroffen ist, hat er das letzte Mal mit ihr geschlafen; seither hat er sie nicht mehr angerührt. Das ist jetzt beinahe schon einen ganzen Monat her …
Dass der Status „Petrusnachfolger“ plötzlich impotent mache, davon hat sie noch nie gehört. ‚Soweit erstreckt sich nicht einmal die Wirkung des Heiligen Geistes, der angeblich bei jeder Kür des Kardinalskollegiums mitmischt’, denkt sie und muss unwillkürlich lächeln. Weder sie noch der neue Heilige Vater glauben an derlei „Kindereien“, wie Maurice es immer genannt hat.
Monique hat sich zwar im Großen und Ganzen ihre Religiosität bewahrt: Sie liebt Gott und Jesus, verehrt Maria und ein paar Heilige, hält treu zur Institution Kirche und hat Respekt vor dem höchsten Kirchenamt sowie den heiligen Sakramenten. Maurice hat es lediglich geschafft, sie vom naiv-kindlichen Glauben an so vieles, was die Kirche zu tun und zu glauben verlangt, zu befreien.
‚Mein Liebster wird doch wohl nicht ernsthaft krank sein?’
Dieser Gedanke, der ihr plötzlich durch den Kopf schießt, macht ihr im ersten Augenblick Angst, ehe sie ihn jedoch als absurd beiseiteschiebt: Es gibt kaum einen Mann, der mit Anfang fünfzig noch so ein Kraftpaket und geradezu ein Ausbund an Gesundheit ist wie ihr Maurice.
‚Ob ich mich jemals an den Namen ‚Leo’ gewöhnen werde?’, fragt sich die schöne Nonne.
Vermutlich nicht. Aber das wird keine Rolle spielen, denn vor Fremden wird sie ihn, wie alle anderen das auch tun, mit „Eure Heiligkeit“ und mit „Heiliger Vater“ ansprechen. In ihren intimen Stunden wird er für sie aber immer „Maurice, mon amour“, und „Chéri“ bleiben. Falls es endlich wieder zu solchen Annäherungen kommen sollte …
‚Vielleicht ist es an der Zeit’, überlegt sie ein klein wenig verschämt, ‚dass ich mich von mir aus etwas ‚ins Zeug lege’, um ihn zum Sex zu animieren – etwas, das ich bisher noch nie habe tun müssen …’
„Du zeigst mir den Pfad zum Leben. Vor Deinem Angesicht herrscht Freude in Fülle.“
(Psalm 16, 11)
‚Vielleicht wäre es auch nicht verkehrt, seinen Leibarzt, diesen kenianischen Doktor Anoussinte zu bitten, sich Maurice einmal genauer anzusehen’, überlegt Schwester Monique ernsthaft.
Einesteils widerstrebt es ihr, den von ihr immer als eingebildet und überheblich empfundenen Mediziner, der jedoch einen hervorragenden Ruf als Arzt genießt, zu kontaktieren; andererseits erhofft sie sich Klarheit über den Gesundheitszustand ihres Geliebten.
Ohne lange zu überlegen, sucht sie bei nächster Gelegenheit Doktor Erneste-Philippe Anoussinte auf. Vorläufig hat er seine Wohnung noch im päpstlichen Palast. Es fehlte ihm bisher die Zeit, sich nach etwas Passendem umzuschauen; andererseits weiß er, dass der Heilige Vater es sehr schätzt, seinen „Medizinmann“, wie er ihn scherzhaft nennt, in seiner unmittelbaren Nähe zu haben. Obwohl geradezu strotzend vor körperlicher Fitness, neigt sein illustrer Patient nämlich zur Hypochondrie.
Wie erwartet ist der Leibarzt leicht verstimmt über ihr Ansinnen, etwas Intimes über seinen Patienten preiszugeben. Außerdem würde er es doch als Erster wissen, falls mit Seiner Heiligkeit etwas nicht in Ordnung wäre …
‚Wer ist hier der Mediziner?’, scheint sein arroganter Gesichtsausdruck zu fragen. ‚Ich weiß selbst am besten, wann eine Untersuchung Seiner Heiligkeit Sinn macht und wann nicht!’
Aber Schwester Monique lässt sich nicht beirren. Scheinbar nur um die penetrante Person loszuwerden, sagt Anoussinte schließlich zu, den üblichen Gesundheitscheck des Heiligen Vaters zeitlich vorzuziehen; jedoch nicht, ohne hinzuzufügen, ihre Besorgnisse für absurd zu halten. „Selten habe ich einen gesünderen Patienten betreut“, gibt er ihr mit auf den Weg.
Zwei Tage später ist es soweit. Leo XIV. lacht bloß, während der Doktor ihm den Blutdruck misst und seinen Brustkorb abhorcht, um Herzfrequenz und Lungenfunktion zu überprüfen.
„Ich habe mich nie besser gefühlt, mein Lieber“, behauptet er und der Arzt versichert ihn seiner Zufriedenheit. Zusätzlich zu seinem täglichen Fitnessprogramm empfiehlt er ihm ein paar Dehnungsübungen und schickt sich an, den Heiligen Vater zu massieren.
Während der Massage lässt er sich von Papst Leo mit Ergüssen über Politik, Religion und Kirche berieseln. Das ist dem Doktor ganz recht: So kann er seinen Atem sparen und erfährt ganz nebenbei noch einiges über Obembes Familie, was er bisher noch nicht wusste – und außerdem Neues über die augenblickliche Gedanken- und Gefühlswelt seines Patienten.
Der übliche Monolog seines Patienten plätschert so dahin; auf einmal hört der Arzt genauer hin. Ganz langsam beginnt er sich leicht unwohl zu fühlen. Dieses Gefühl verstärkt sich sogar noch etwas, ohne dass er vorerst genau zu definieren vermag, was es im Einzelnen ist, das ihn plötzlich aufhorchen lässt. In der Tat, manches klingt in den Ohren des Leibarztes sogar befremdlich.
Nun ist es ja nicht so, dass Erneste-Philippe Anoussinte so naiv wäre, zu glauben, allein die Tatsache, dass sein Patient Papst ist, bringe es mit sich, dass dieser besonders fromm und gläubig oder überhaupt ein guter Mensch sein müsse. Darüber kann jeder, der sich dafür interessiert, in der langen Geschichte der Päpste nachlesen … Er würde reichlich fündig werden,