„Haben Sie jemanden, der sich um Sie und um Ihre Tochter kümmern kann, der vielleicht hierher kommen kann?“
Lisa hatte das Gefühl, dass sie den Mann nicht so allein hier zurücklassen konnte. Lars Schlierbaum schien mit seinen Gedanken weit weg zu sein und es dauerte wieder eine Weile, ehe er antwortete.
„Ja, ich rufe meine Mutter an, die wohnt in Merten und kommt bestimmt sofort hierher.“
„In Ordnung. Wir werden Sie in den nächsten Tagen bestimmt nochmals aufsuchen. Bleiben Sie sitzen, wir finden schon hinaus“, sagte Ronni.
„Ach, noch eine Frage.“
Er blieb stehen und drehte sich nochmals zu Lars Schlierbaum um, der wie ein Haufen Elend im Sessel hing.
„Nur aus Routine. Wo waren Sie in der vergangenen Nacht?“ Lars Schlierbaum schaute den Kommissar verwundert an.
„Wo soll ich schon gewesen sein. Natürlich zu Hause im Bett.“
„Kann das jemand bezeugen?“
„Ich habe keine neue Frau oder Geliebte, wenn Sie das meinen. Werde ich vielleicht jetzt verdächtigt?“
Schlierbaum sprang aus seinem Sessel auf und kam schnellen Schrittes auf den Kommissar zu. Kurz vor ihm blieb er abrupt stehen. Man musste den Eindruck gewinnen, dass er sich nur schwer beherrschen konnte.
„Nein, nein. Ist schon gut. War wirklich nur eine Routinefrage“, beschwichtigte Ronni ihn und versuchte mit ausgestreckten Armen den Mann auf Abstand zu halten.
Er bedankte sich nochmals und folgte Lisa, die an der Haustür stehen geblieben war.
„Scheiße“, entfuhr es ihm, als er und Lisa im Auto saßen.
„Da stimme ich dir uneingeschränkt zu. Zuerst heute Morgen der Leichenfund der Frau und jetzt die Überbringung der Todesnachricht an den Ex-Mann. Ich glaube, ich hasse den Job bereits am ersten Tag.“
„Wenn ich sagen würde: du gewöhnst dich daran, wäre das sicherlich nicht richtig. So etwas geht dir immer an die Nieren. Aber es gibt auch andere Tage und auch so etwas gehört halt zu unserem Job. Akzeptiere es so wie es ist und versuche es so schnell wie möglich abzuhaken. Nur so kannst du dich selbst schützen“, versuchte Ronni seiner Kollegin Mut zu machen.
Lisa nickte und beide machten sich auf den Weg zurück ins Büro. Vielleicht lagen neue Erkenntnisse der Spurensicherung vor oder sogar das Ergebnis der Obduktion.
„Was hältst du vom Ex unseres Opfers?“, frage Lisa unterwegs.
„Ich bin mir nicht ganz sicher. Seine Reaktion schien nicht gespielt zu sein. Die Nachricht des Todes seiner geschiedenen Frau hat ihn wahrscheinlich sehr getroffen. Aber dieser Groll auf seine Frau und diese Emotion, als ich ihn fragte, wo er vergangene Nacht war – ich weiß nicht so recht.“
„Na klar hat der eine Wut auf seine Frau. Sie hat ihn schließlich mit einem anderen Mann betrogen und sitzen gelassen. Aber beide lieben ihre Tochter, weswegen sie sich auf irgendeine Weise arrangiert haben. Aber einen Mord? – Nein, das traue ich ihm nicht zu“, entgegnete Lisa.
*
Wieder im Büro musste Lisa erfahren, dass weder neue Erkenntnisse der SpuSi noch das Obduktionsergebnis vorlagen. Ronni wollte sich sofort an den Telefonhörer hängen und Susanne fragen, wann er mit einem Ergebnis rechnen könnte.
Lisa legte ihm eine Hand auf den Arm, um seinen Tatendrang zu stoppen.
„Ist es dir recht, wenn ich nach Hause fahre? Es ist bereits spät und meine kleine Tochter …“
„Du hast eine Tochter? Hätte ich nicht gedacht. Und dann bewirbst du dich bei der Mordkommission?“
Ronni war mehr als erstaunt und schaute Lisa mit großen Augen an.
„Ja, sie ist sieben und meine Mutter holt sie von der Schule ab und passt danach auf sie auf.“
„Und dein Mann? Unterstützt der dich auch? Wie stellst du dir das künftig hier vor? Wir haben nicht immer geregelte Dienstzeiten.“
„Ich bin geschieden. Als ich mich für die Stelle beworben habe, haben mir meine Eltern ihre Unterstützung zugesagt. Das wird schon klappen. Nur heute … gerade am ersten Tag … meine Mutter …“
„Okay, geh‘ schon. Es war ein harter Tag. Besonders, weil es dein erster Mordfall ist. Ich kann das verstehen. Und mit Susanne kann ich auch allein reden. Vielleicht wissen wir morgen mehr.“
„Danke“, sagte Lisa überglücklich und strahlte dabei ihren Kollegen wie eine fünfzehnjährige Teenagerin an.
Lisa schnappte sich ihre Tasche und im nächsten Augenblick hatte sie auch schon das Büro verlassen.
Ronni schaute ihr leicht irritiert hinterher. Was war das denn? So glücklich hat mich bisher nur selten eine Frau angeschaut, dachte er.
*
Zwei Tage waren inzwischen vergangen, ohne dass die Kommissare in der Ermittlung auch nur einen Schritt weitergekommen waren.
Lisa war der Meinung, dass der im Mund des Opfers gefundene Zettel mit den Worten:
„Treue kann man nie genug vergelten,
Untreue nie genug bestrafen“
ein Hinweis auf das Tatmotiv sei. Franziska Schlierbaum war schließlich ihrem Mann untreu geworden und womöglich wollte sich jemand dafür rächen? Sie hatte sich wegen eines Anderen von ihrem Ehemann getrennt. Doch dann käme nur ihr Ex-Mann als Täter in Frage. Ein Tatmotiv hätte er demzufolge. Diese Schlussfolgerung konnten weder Lisa noch Ronni so recht glauben. So wie der Mann aussah und wie er sich gab, so sieht kein Mörder aus und so verhält sich auch kein Mörder.
Aber wie sieht schon ein Mörder aus und wie verhält er sich im normalen Leben? Normen gibt es sicherlich keine, dachte Lisa.
Um Zeit zu sparen, hatten Lisa und Ronni sich die Vernehmungen der Menschen im sozialen Umfeld der Toten geteilt. Lisa befragte nochmals ihren Ex-Mann und versuchte, Freunde und Bekannte aufzuspüren. Die Mühe war so gut wie erfolglos. Lars Schlierbaum erklärte, dass durch die Arbeit seiner Frau kaum Zeit blieb, Freundschaften zu schließen oder gar zu pflegen. Natürlich, die eine oder andere Mutter, die sie vom Kindergarten ihrer Tochter her kannte … aber Freundschaften? Nein, Freundschaften waren das nicht, höchstens flüchtige Bekanntschaften. Dann waren da noch einige Nachbarn, mit denen sie hin und wieder ein paar Worte wechselte und eine langjährige Freundin, die in Troisdorf wohnte. Jedoch zu ihr war der Kontakt bereits seit längerer Zeit abgebrochen. Die Aussagen der Nachbarn und der Mütter vom Kindergarten deckten sich mit der Aussage von Lars Schlierbaum.
Ronni besuchte währenddessen Erich Klein, den neuen Freund von Franziska Schlierbaum. Ein unsympathischer Kerl, berichtete Ronni später.
Er hatte eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Troisdorf-Sieglar. Als Ronni klingelte, öffnete eine schwarzhaarige Schönheit die Tür. Gekleidet war sie in einem schwarzen, seidenen Morgenmantel, der perfekt zu ihrer Haarfarbe passte.
Erich Klein folgte wenige Augenblicke später in ihrem Schlepptau. Ebenfalls in einem seidenen Morgenmantel gekleidet. Allerdings in knallrot. Die Haare hingen fettig um seinen Kopf und ein Fünftagebart „zierte“ sein rot aufgedunsenes Gesicht.
Der Zugang zur Wohnung wurde dem Kommissar entschieden verwehrt. Erich Klein bestätigte lediglich dessen Frage, dass er eine Franziska Schlierbaum kenne. Mit einem tiefgründigen Blick zu der schwarzhaarigen Schönen meinte er lapidar, dass diese Franziska wohl zu viel in einige harmlose Treffen hineininterpretiert habe. Nein, eine nähere Beziehung bestehe da überhaupt nicht.
Ein Tatmotiv konnte der Kommissar bei Erich Klein nicht erkennen. Wahrscheinlich hatte er mit der schwarzhaarigen Schönheit eine neue Freundin gefunden. Vielleicht