Herbstnebel. Heribert Weishaupt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heribert Weishaupt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783939829744
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gelassen. Vermutlich wurde ein Seil über einen Ast geworfen, womit der Täter dann den Stein hochzog. Wie er das im Einzelnen genau angestellt hat, wissen wir noch nicht. Ein Seil wurde nicht gefunden. Letztendlich ist die Frau verblutet.“

      Ronni konnte seine neue Kollegin nicht ansehen, während er das alles berichtete. Er starrte vor sich auf den Boden und knetete unablässig vor Nervosität seine Hände.

      „Vor der Toten lagen mehrere vergammelte Salatköpfe und Tomaten. Kann es sein, dass ich auch eine tote Ratte gesehen habe?“, fragte Lisa und man konnte ihr den Ekel, den sie empfand, ansehen.

      „Ja, nicht nur das. Im Gesicht der Toten, oder in dem was davon übrig geblieben ist, und auf dem Boden fanden wir Reste von Exkrementen. Wahrscheinlich von einem Tier, vielleicht von einem Hund. Wir gehen davon aus, dass der Mörder die Frau zu Beginn seiner Tat mit all diesen Sachen beworfen hat.“

      Lisa schaute Ronni an und schüttelte angewidert den Kopf.

      „Ich habe keine Ahnung, was das soll, und womit wir es hier zu tun haben.“

      „Das hört sich an, als wenn der Täter ein Ritual durchgeführt hat – aber was für ein Ritual und wieso?“, überlegte Lisa laut.

      In diesem Moment kam eine Frau in weißem Overall, weißen Schuhüberziehern und weißer Kapuze auf die beiden Kommissare zu. Der Ansatz ihrer schwarzen Haare lugte vorne aus der Kapuze heraus. In der Hand hielt sie einen Gegenstand, der aus Lederriemen bestand. Ronni erkannte sie trotz ihres weißen Overalls und der Kapuze sofort.

      „Darf ich dir unsere Rechtsmedizinerin Susanne Ohlrogge vorstellen? Wir arbeiten bereits seit einiger Zeit zusammen und haben den ein oder anderen kniffligen Fall gelöst.“

      „Ich freue mich. Mein Name ist Lisa Brenner, seit heute Kommissarin im KK 11.“

      Die beiden Frauen gaben sich die Hand und lächelten trotz der widrigen Umstände ihres Kennenlernens.

      „Ich habe hier etwas.“

      Dabei hob sie den Gegenstand, den sie mitgebracht hatte, in die Höhe.

      „Das ist der Knebel, den die Frau im Mund hatte.“

      Ronni und Lisa schauten sich an. Sie hatten keine Vorstellung, was das sein könnte.

      „Der Knebel erinnert an ein Zaumzeug bei Pferden. Man nennt diesen Knebel auch ‚Trensenknebel‘, der auch in erotischen Rollenspielen eingesetzt wird. Dieses Stück Hartgummi wird zwischen die Zähne geschoben.“

      Susanne Ohlrogge fuhr zur Demonstration mit einem Finger über das Hartgummiteil.

      „An den Enden sind in den großen Ringen Riemen befestigt, die hinter dem Kopf zusammengebunden werden.“

      Sie wies jetzt auf die beiden Ringe und zeigte die Riemen. Ronni hielt es nicht mehr auf der Mauer. Er sprang auf.

      „Womit haben wir es denn hier zu tun? Geht es hier vielleicht um Sadomaso, bei dessen Ausführung die Frau ‚zufällig‘ zu Tode gekommen ist?“

      Ronni war außer sich. Er ging zwischen den beiden Frauen auf und ab.

      „Nein, das glaube ich nicht. Geschlechtsverkehr oder Vergewaltigung kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestätigen“, sagte Susanne Ohlrogge ruhig.

      Sie war eine erfahrene Rechtsmedizinerin, die ihre Emotionen ausklammern konnte und sich nur an Fakten orientierte.

      „Ich habe da noch etwas.“

      Ronni blieb wie angewurzelt stehen.

      „Was kann es denn noch Furchtbares geben? Reicht es denn noch nicht?“

      Lisa hatte bisher kein Wort gesagt und die Rechtsmedizinerin wegen ihrer Ruhe bewundernd angeschaut. Jetzt stand sie auf und legte Ronni zur Besänftigung eine Hand auf die Schulter. Ronni verstand diese Geste und beide setzten sich wieder auf die Mauer.

      „Wir haben etwas im Mund der Toten gefunden“, fuhr Susanne Ohlrogge fort.

      Aus der Tasche ihres Overalls zog sie einen kleinen Plastikbeutel hervor. In dem Beutel befand sich ein Stück Papier, das wahrscheinlich ursprünglich weiß gewesen, und jetzt offensichtlich von Blut rot getränkt war. Trotzdem konnte man eine Schrift erkennen.

      „Dieser Zettel steckte im Mund der Toten.“

      „Konnten Sie feststellen, was darauf geschrieben steht?“, fragte Lisa.

      „Ja. Er ist zwar von Speichel und Blut durchtränkt, aber der Text ist noch lesbar. Er wurde mindestens mit Schriftgröße zwanzig und in „fett“ auf einem PC geschrieben. Auf dem Zettel steht ein Spruch.“

      Susanne machte eine kurze Pause. Irgendwie genoss sie die Anspannung und Neugierde, die sich in den Gesichtern der beiden Kommissare spiegelte.

      „Ein Spruch?“, kam die Frage gleichzeitig aus Lisas und Ronnis Mund.

      „Ja. Ich lasse den Zettel in der Tüte. Die Gefahr ist zu groß, dass er beim Herausnehmen beschädigt wird. Aber ich kenne den Spruch auswendig:

      „Treue kann man nie genug vergelten, Untreue nie genug bestrafen“, sagte Susanne langsam, steckte den Beutel wieder in ihre Tasche und ging zurück zum Tatort.

      Die beiden Kommissare schauten ihr ratlos und verwirrt hinterher.

      Inzwischen hatte sich der Nebel hier oben auf der Burg und gegenüber im Ort Blankenberg weitgehend aufgelöst. Lediglich der Talnebel im Bereich der Sieg lag noch wie festgeklebt auf dem Fluss.

      Niemand auf dem Burghof bemerkte, dass am Ortsrand der Stadt Blankenberg ein Mann an einem Baum lehnte und das Treiben am Tatort mit einem Fernglas beobachtete. Das Fernglas schien aus hochwertiger Qualität zu bestehen und mit einer hohen Vergrößerungszahl ausgestattet zu sein. Kein Detail entging dem heimlichen Beobachter.

      Die normalen Gesten zwischen Lisa und Ronni, als Ronni Lisa mit der Hand an ihrem Arm zum Tatort leitete oder wie Lisa beruhigend ihre Hand auf Ronnis Schulter legte, deutete der Mann als Vertrautheiten, die seiner Auffassung nach zwischen Polizeibeamten nicht sein dürften.

      „Auch so eine Schlampe“, murmelte er vor sich hin, nahm das Fernglas von den Augen und verließ seinen Beobachtungsstand.

      Kapitel 3

      Der Kaffeeautomat pustete und stöhnte, wobei er die braune, wärmende und wachhaltende Brühe ausspuckte.

      „Möchtest du einen Kaffee?“, fragte Lisa.

      „Nein, nicht schon wieder. Ich hatte doch bereits zwei. Denk doch mal an mein Herz“, antwortete Ronni.

      „Du bist vielleicht ein Weichei. Heute Morgen waren deine ersten Worte zu mir: Bringen Sie uns eine Thermoskanne mit Kaffee? Und ich dachte, du seiest ein richtiger Kaffeetrinker.“

      Lisa lachte und stellte die Tasse zu sich auf den Schreibtisch. Ronni saß ihr gegenüber.

      „Verstehst du das? Wieso schleppt der die Frau auf den Burgplatz? Und was soll dieser Spruch auf dem Zettel, den er ihr in den Mund steckte?“, sinnierte er.

      „Und wieso bewirft er sie mit faulem Gemüse, um ihr anschließend den Kopf zu zertrümmern?“, erweiterte Lisa den Fragenkatalog.

      „Er will die Frau zur Schau stellen und mit dem Spruch will er uns etwas sagen.“

      „Richtig“, bestätigte Lisa. „Nur, was will er uns sagen? Wieso wählt er diesen komplizierten Weg? Wenn er mit uns kommunizieren will, soll er das doch auf die normale Art des 21. Jahrhunderts tun.“

      Lisa wurde ungeduldig und nervös. Das kam immer dann vor, wenn sie etwas nicht verstand und nicht mehr weiter wusste.

      „Der Spruch hilft uns nicht weiter. Es handelt sich um einen altdeutschen Spruch aus dem 18. oder 19. Jahrhundert. Der Verfasser ist unbekannt. Ich sehe da keinen Ansatzpunkt.“

      „Oho,