Die weise Schlange. Petra Wagner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Petra Wagner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783959665964
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verharrte sein Blick auf Viviane und Merdin im Zentrum.

      Seine Züge wurden weich und er breitete die Arme aus wie ein stolzer Vater. Auf sein Nicken bewegten sich die drei Krieger mit den verhüllten Gegenständen drei Schritte vorwärts und zwei zur Seite, sodass Akanthus durch den Kreis und neben sie treten konnte. Feierlich zog er das erste Ledertuch zurück.

      Mit großer Geste legte er die Schwertgürtel, die darunter zum Vorschein kamen, um Vivianes und Merdins Taillen und prüfte ihren festen Sitz mit einem kräftigen Ruck.

      Vor ein paar Jahren hätte er Viviane damit noch aus dem Gleichgewicht gerissen, jetzt aber blieb sie sicher auf den Beinen und schwankte kein bisschen. Allerdings fiel ihr auf, wie steif und klobig sich das Leder auf ihrer nackten Haut anfühlte. Sie würde noch lange brauchen, um sich daran zu gewöhnen, doch – so ließ die stabile Machart vermuten – würde ihrer beider Verbindung für ein ganzes Leben halten.

      Akanthus nickte ihr wissend zu. Bedeutsam schlug er das zweite Ledertuch zurück und zum Vorschein kamen vier Schwertscheiden, außen auf dem Leder mit kompliziert punzierten Flechtmustern und innen mit Fell versehen.

      Nacheinander schob Akanthus die Kunstwerke in die vorgesehenen Schlaufen der Schwertgürtel, band sie an und prüfte auch hier wieder den festen Sitz. Abrupt spürte Viviane eine Schwere, die nichts mit dem Ruck an ihrem Körper zu tun hatte. Die Schwertscheiden zogen sie nach unten, obwohl sich das Wichtigste noch gar nicht darin befand. Mit einem Mal bekam sie Angst, ob sie überhaupt würdig war, ob ihre Kraft reichen würde, ob sie vorausschauend genug handeln würde, oder ob sie nicht vielmehr versagen würde als Ärztin, als Kriegerin.

      Die Trommeln verhallten in einem letzten, leisen Schlag und ihr Herz begann wild zu pochen.

      Akanthus zog das dritte Leder zurück und ihr verschlug es den Atem.

      „Dieses Kurzschwert ist deines nun, meine Tochter“, rief Akanthus in die dröhnende Stille hinein und nahm das Schwert behutsam aus den Händen des Kriegers, um es Viviane zu übergeben. „Halte es in Ehren und nutze es weise.“

      Prompt begannen Vivianes Finger zu zittern, doch mittlerweile hatte sie gelernt, wie man derartige Schwächen bekämpfte. Ruhig nahm sie ihr Kurzschwert entgegen, streckte es gen Himmel und schaute Akanthus in die Augen, während sie mit lauter Stimme rief:

      „Dank dir für dein Vertrauen, mein Vater. Wissen, Weisheit und Gedenken sollen mich leiten und würdig werde ich mich erweisen. Dies schwöre ich bei Hall, Göttin über Leben und Tod.“

      Langsam ließ sie ihr Kurzschwert in die vorgesehene Scheide rechts am Gürtel gleiten und strahlte Akanthus an, der zurücklächelte, bevor er sich dem nächsten Schwert zuwandte. Ruhig atmete Viviane ein und aus, während auch Merdin die vorgegebenen Worte sprach. Doch kaum senkte er sein Kurzschwert vom Himmel gen Scheide, begannen ihre Finger schon wieder zu zittern, denn gleich würde Akanthus das letzte Ledertuch zurückziehen.

      „Dieses Langschwert ist deines nun, meine Tochter. Halte es in Ehren und nutze es weise.“

      Viviane holte Luft; das Blut rauschte ihr immer schneller durch die Adern, je länger sie auf das armlange Schwert starrte.

      Wie magisch wurde ihr Blick angezogen von dem Muster auf der Klinge nahe dem Heft, genau auf dem Schwerpunkt. Wunderschön war es anzuschauen: Zwei Drachen, die sich um den Baum des Lebens wanden. Ja, es war derart kunstfertig in das Eisen geschmiedet, dass die Drachen sogar rot-goldene Flammen sprühten, als Akanthus das Schwert ein wenig bewegte und Sonnenstrahlen sie trafen.

      Viviane riss die Augen auf. Sie hatte noch nie ein Drachenschwert aus der Nähe gesehen.

      Uathach hatte das ihre stets in der Scheide gelassen und auf die ‚weise Nutzung‘ hingewiesen, was natürlich völlig richtig war. Aber sie hatte immer sehr geheimnisvoll getan, und jetzt wusste Viviane auch, warum: Das erste Staunen, die Erkenntnis – das war ihr ganz persönlicher Augenblick, der absolut besondere Moment in ihrer Initiation, einmalig in ihrem Leben.

      Die Kunstfertigkeit der Schmiede, die solche Schwerter fertigten, war legendär. Manch einer von ihnen war auch Drachenkrieger, denn sie waren ebenfalls Druiden, Druiden der Metallurgie, und jeder drückte seinen Schwertern den eigenen Stempel auf. Derjenige, der diese Kostbarkeit erschaffen hatte, war für jetzt und alle Ewigkeit mit ihr verbunden.

      Vivianes Blick richtete sich auf den Mann neben Akanthus und sie sah ihm tief in die Augen. Er hatte mit ihr jahrelang Faust- und Schwertkampf trainiert. Immer wieder hatte er sie Wachs kneten lassen, um den Griff ihrer Finger zu stärken und den Abdruck zu prüfen. Ständig hatte er ihre Arme und Beine vermessen … Jetzt wuchs er förmlich vor ihr in die Höhe und nickte erfreut, ob ihrer stummen Frage.

      Viviane wurde es ganz warm ums Herz vor Dankbarkeit und Zuversicht. Sicher nahm sie das Langschwert auf, präsentierte es mit ruhiger Eleganz über ihrem Kopf und lächelte Akanthus an.

      „Dank dir für dein Vertrauen, mein Vater“, sagte sie laut und deutlich. „Wissen, Weisheit und Gedenken sollen mich leiten und würdig werde ich mich erweisen. Dies schwöre ich bei Hall, Göttin über Leben und Tod.“

      Viviane reckte ihr Drachenschwert noch ein Stück höher gen Himmel und konnte nicht anders: Sie musste strahlen, strahlen, strahlen. Als sie vor Kurzem ihre Initiation als Ärztin absolviert und ihre chirurgischen Werkzeuge erhalten hatte, war sie absolut zufrieden gewesen. Sie hatte so viel Glück und Freude empfunden. Beim Anblick ihrer silbernen Skalpelle hatte sie die Verantwortung bis in die Fingerspitzen gespürt. Nun aber, mit dieser Waffe in Händen, durchströmte sie eine schier unbändige Kraft, die ihr unendlichen Mut gab.

      Sanft, ja anmutig führte sie ihr Langschwert abwärts, bis die Spitze auf der Scheide zum Liegen kam. Wie selbstverständlich glitt die Klinge in ihre Hülle aus Leder und Fell, und das Eisen aus einer fernen Welt sang ein leises Lied, nur für sie.

      Wie im Traum beobachtete Viviane die Übergabe des zweiten, wesentlich längeren Drachenschwertes an Merdin und dachte darüber nach, warum sie das Gewicht des Eisens zu beiden Seiten ihrer Hüften kaum spürte. Am liebsten wäre sie losgerannt, auf den nächstbesten Baum geklettert oder mit ein paar Überschlägen durch die Luft gewirbelt, doch sie stand still. Nur die Krieger in ihrer Nähe bewegten sich.

      Bedächtig traten sie auseinander, der Kreis der Zwölf wurde weit und weiter, und schließlich zerstreute er sich unter lauten Jubelrufen in alle Himmelsrichtungen.

      Scheppernde Speere auf Schilde, trampelnde Füße, donnernde Trommeln und gebrüllte Glückwünsche vermischten sich zu einem ohrenbetäubenden Lärm, der regelrecht in Tumult ausartete, als Viviane und Merdin ihre Schwerter wieder aus den Scheiden zogen und über Kreuz der Sonne entgegenstreckten. Diesen Gruß hielten sie fünf, sieben, zwölf Herzschläge lang, dann schwenkten sie ihre Waffen im weiten Bogen, bis die Spitzen zur Erde zeigten, und warteten auch hier zwölf Herzschläge ab. Akanthus blies fortwährend in sein Horn, und kaum hatte er es wieder auf den Rücken geschoben, beugten sie fast synchron ihre drei Köpfe. Sofort trat Ruhe ein, nur ein vielfaches Schleifgeräusch sang von stiller Trauer.

      Die anderen Drachenkrieger hatten blankgezogen, senkten nun ebenfalls Schwerter und Häupter.

      Gemeinsam gedachten sie der Freunde, die sie in vergangenen Zeiten verloren hatten, und baten Hall um Beistand bei neuen Gefahren. Vielleicht stellte sich manch einer auch vor, wie er ruhmreich in die Anderswelt einzog und die toten Gefährten wiedersah; wie er mit ihnen feierte und durch die Lande ritt auf weißen Pferden. Wer wusste schon, was es in der wundersamen Welt nach dem Leben alles zu entdecken galt, und wer wusste schon, wann es einen dorthin verschlagen würde. Nur eines war sicher: Hall war gerecht.

      Als das Schweigen drückend wurde, ließen Viviane und Merdin ihre neuen Schwerter wieder in die Scheiden gleiten, ihre Drachenbrüder und -schwestern taten es ihnen nach, und dieses vielfach leise Sirren schien wie ein Weckruf.

      „Ein dreifaches Hoch auf unsere Initianten!“ Akanthus riss die Faust in Siegerpose nach oben und drehte sich einmal um die eigene Achse.

      „Hoch! Hoch! Hoch!“, schallte es aus dem großen Kreis