„Sehr gute Wahl“, lobte die Kriegerin, die selbst eine Taube auf der Brust hatte. Bei Vivianes verdutztem Blick grinste sie amüsiert, zeigte ihren Rücken, bedeckt mit einem Igel, und rührte noch eifriger im Tontopf.
Viviane sah in die kreiselnde blaue Farbe und wunderte sich, warum sie sich plötzlich so sicher war. Bis gerade eben hatte sie noch nie ernsthaft darüber nachgedacht, ob sie Schutzgeister brauchte, und erst recht nicht darüber, wer das sein sollte. Aber es war ja wohl logisch, dass ein Drachenkrieger seinen ganz persönlichen mentalen Schutz brauchte. Eine geistige Verbindung zu anderen Arten, aus der man Kraft schöpfen konnte, wenn man sie brauchte. Tiere waren bestens geeignet. Es gab auch Krieger, die Pflanzen bevorzugten.
Wer oder was kam also für sie infrage?
Sie hätte gerne die ganze Welt auf den Körper gemalt bekommen, inklusive Sonne, Mond, Sterne, Wind und Regen … Doch die innigste Verbundenheit zu anderen Arten fühlte sie bei Baria, ihrer Wolfstochter, und Dina, ihrer Stute. Vielleicht waren beide wiedergeborene Ahnen, deren Wege sich mit dem ihren gekreuzt hatten, das war durchaus möglich. Beide jedenfalls hatte sie vor dem sicheren Tode bewahrt und großgezogen wie ihre eigenen Kinder – wenn man das so sagen durfte, schließlich war sie damals selbst noch Kind und ein Gatte in weiter Ferne gewesen.
„Fertig, mein Kind“, gluckste die Kriegerin und rührte wieder eifrig im Topf. „Jetzt zeichnen auch meine Schwestern mit. Keine Bange, sie sind Spezialisten für Flechtmuster und Spiralen.“
„Das glaube ich gern.“ Viviane lächelte selig. Sie konnte gar nicht anders, denn nach einem Blick an sich herab war sie dermaßen begeistert, dass es keinen Zweifel gab: Auf ihrer Brust prangte Baria. Aber es war nicht einfach nur Baria, gezeichnet mit ein paar kunstfertigen Strichen, sondern ein Kunstwerk in Blau, das man erst als das Abbild ihrer Wolfstochter erkennen musste. Viviane hätte es noch ewig betrachten können.
„Ich habe deine Stute im Steigen gemalt. Das sieht noch spektakulärer aus. Außerdem habe ich mir sagen lassen, deine Stute sei etwas Besonderes. Die kleinste unter allen Pferden und trotzdem spurt sie wie das beste Schlachtross.“
„Ach …“, begann Viviane, doch die Kriegerin hob gebieterisch die Hand.
„Nicht abwiegeln! Du hast sie hervorragend getrimmt. Sie reagiert auf jede Bewegung und jeden Laut ihres Reiters und lässt sich von nichts ablenken. Ich meine, du trägst nun ein sehr eindrucksvolles Bild von ihr. Übrigens …“
Mit kritischem Blick überwachte die Kriegerin die Malerei an Vivianes Armen und Beinen, dann zog sie einen sehr dünnen Pinsel aus ihrer wilden Haarmähne und bückte sich. Beschwingt zeichnete sie winzige Symbole und Striche auf Vivianes Fingernägel und Fußnägel, und erklärte leichthin: „Perfekt, nun wacht auch unsere Schutzgöttin über dich.“ Sofort betrachtete Viviane ihre Finger und Zehen – es stand tatsächlich ‚Hall‘ in Oghamschrift auf ihren Nägeln.
„Gut, artig stillhalten jetzt. Im Gesicht sind die Spiralen am schwersten. Wir wollen doch eine saubere Triskele mit Mittelpunkten auf Augen und Mund. Obwohl Ohren und Kinn auch passen tät…“
„Bloß nicht!“ Viviane erstarrte und wagte kaum zu atmen, obwohl sie die Vorstellung von sich selbst mit blauen Spiralen um Ohren und Kinn mächtig zum Lachen fand. Wo würde der Knotenpunkt dieser Triskele liegen? Auf ihrer Zunge?
Zum Glück streifte der Pinsel nur dort über ihr Gesicht, wo er hingehörte, als hätte er diesen Weg schon hundertmal von allein genommen.
„Fertig.“ Die Kriegerin und ihre Drachenschwestern musterten Viviane von allen Seiten und nickten zufrieden. „Wunderbar. Du, Viviane, bist ein Kunstwerk, bist eine eigene Welt, geschaffen von Mutter Erde und Vater Himmel. Sei willkommen, Schwester, in unserem Bund.“
Strahlend neigte Viviane den Kopf zum Dank und versteifte sich prompt. Sie hatte Angst, die Triskele würde ihr aus dem Gesicht fallen, ja, die ganzen schönen Muster könnten verwischen, wenn sie sich noch ein winziges Stück weiter beugte.
Natürlich war das Unsinn. Die Farbe bestand aus kräftig blauem Färberwaid und Kiefernharz, so schnell ging das nicht ab. Da musste sie schon mit ordentlich Butter nachhelfen. Großmutter Mara machte die beste Butter weit und breit, und ihre eingelegten Gurken schmeckten einfach köstlich, und …
Mit einem Ruck stellte sich Viviane gerade. Sie war jetzt eine Drachenkriegerin. Sie war hier in Britannien noch lange nicht fertig. Hier lauerte die Bedrohung direkt vor der Haustür, weshalb die einen den Hinterausgang dieses Hauses benutzten, die anderen aus dem Fenster kletterten und ihresgleichen mit zwei schlagkräftigen Schwertern auf dem Dach lag. Daheim war das nicht nötig.
Daheim musste man nicht auf der Lauer liegen. Daheim waren die Stämme einig und die Römer hielten Abstand, gute Nachbarschaft sozusagen. Daheim sprach keiner das Latinische besser als sie selbst, wohl oder übel. Nein, das war nicht richtig: Die latinische Sprache gefiel ihr richtig gut, genauso wie die griechische. Daheim konnten nicht viele Griechisch wie sie, schon gar nicht lesen. Daheim … jetzt war es aber genug. Sie hatte kein Heimweh. Und wenn doch: Auch mit drei großen blauen Spiralen im Gesicht durfte man in weite Ferne schauen. Die Kriegerinnen nickten ihr zu und öffneten in einer fließenden Bewegung den Kreis aus Leibern, Tüchern und Tontöpfchen.
Unvermittelt stand sie allein vor Merdin, der sie anstarrte, als hätte sie ein Geweih auf dem Kopf. Dabei war er ein Hirsch aus blauem Marmor mit azurblauen Augen, strahlend wie der Himmel.
„Vivian, du bist … du bist wunderbar, ich muss …“, stammelte Merdin, doch ein Tosen brandete nun um sie herum auf, das jedes weitere Wort unmöglich machte. Scheppernd schlugen die Drachenkrieger ihre Speere gegen die Schilde und diejenigen hinter den Trommeln wirbelten mit ihren Schlägeln über die Bälge, als wollten sie jedes Herz zum Rasen bringen. Alle johlten, jauchzten, jubelten und es dröhnte, klopfte und schepperte dazu wie in einem ewig währenden Widerhall.
Das war er also, der erste Augenblick als Drachenkrieger. Sie hatten es geschafft.
Viviane schaute zu Merdin und er lächelte zurück. Ja, er strahlte sie an, und schon lag ihre Hand in seiner. Gemeinsam streckten sie sich gen Himmel, jubelten, lachten und grüßten ihre Brüder und Schwestern mit einem Überschwang, der immer größer wurde.
Schließlich verklangen die Beifallsbekundungen, sogar die Trommler legten ihre Schlägel nieder. Ruhe kehrte ein.
Aller Augen wandten sich gen Osten, wo gerade die kahlen Baumwipfel von gleißendem Licht durchflutet wurden, und im nächsten Moment ergoss sich das wohlig-warme Gold in die Lichtung, machte sie zum Abbild der Sonne und das Sehen schier unmöglich. Das Dröhnen eines mächtigen Rufhorns ließ die Luft erzittern.
Viele Male erschallte das Horn, lang, tief und kraftvoll. Als der letzte Ton verklungen war, betrat Akanthus den Sonnenkreis, das Rufhorn in Lederriemen über den Rücken gehängt. Ihm folgten zwölf Krieger, die vorderen drei hielten in Ledertücher eingeschlagene Objekte in den ausgestreckten Händen.
Viviane und Merdin strahlten sich an. Gleich wurden ihnen die Schwerter überreicht. Bald hielten sie die Symbole ihres Bundes in Händen. Unwillkürlich betasteten sie ihre Torques, richteten sich zur vollen Größe auf und der letzte Teil der Zeremonie nahm seinen Lauf.
Wie auf Kommando scherten die zwölf Krieger aus und schritten um Akanthus herum, als wäre er ihr Mittelpunkt, den es galt, auf unsichtbaren Bahnen zu umrunden. Es waren viele Bahnen, die sich kreuzten und umkreisten wie bei einem langsamen, verwirrenden Tanz, bis die Krieger schließlich einen Kreis um Viviane und Merdin bildeten und auf der Stelle verharrten. Akanthus jedoch blieb außen vor. Er wartete. Wartete auf die Trommeln.
Leise begann im Osten die erste zu schlagen. Die im Süden setzte als nächste ein, darauf die dritte im Westen, zuletzt die vierte im Norden.
Aufrecht, fast schwebend umrundete Akanthus den Kreis seiner zwölf Krieger einmal.
Im Norden bezog er Position. Ruhig schaute er in die Runde.
Er betrachtete