• die Annahme, dass man durch Logik und wissenschaftliche Methode natürliche Vorgänge, wie einen Krankheitsablauf oder Heilung, verstehen kann.
• die Annahme, dass man mit technologischen Methoden die natürliche Welt, auch den Körper, beherrschen, manipulieren und in Griff bekommen kann. Dahinter steht die neuzeitliche Auffassung, dass der Mensch eigentlich eine Maschine ist – allerdings eine kybernetisch vernetzte, intelligente Biomaschine mit einer Art Rechner als Hirn, auf dessen Festplatte Daten gespeichert sind.
Zu diesem Bild passen dann auch Begriffe wie »keine Energie mehr haben«, »ausgeleiert« oder »aufgezogen sein«, »Batterien leer«, »die Pumpe kaputt«, »die Rohre verstopft«. Bionische Humanoide, wie der von Arnold Schwarzenegger gespielte Terminator, gehören zur Mythologie dieses Weltbildes ebenso wie die Idee, dass Hirntote oder Klone als Ersatzteillager dienen könnten und dass Nieren und Lebern ausgetauscht werden können wie Vergaser und Zündkerzen im Auto.
• dass der Glaube an Geister, Ahnen und übersinnliche Instanzen überflüssig ist und abgelegt werden sollte, wenn man einen Krankheitsverlauf verstehen will (Lock/Scheper-Hughes 1996: 43).
»Was für einen Körper braucht die Gesellschaft, der Staat?«, fragt der französische Philosoph Michel Foucault. In dieser Frage steckt die Erkenntnis, dass der »Körper« nicht etwas ist, was einfach biologisch vorgegeben ist. Er ist – wie auch die Arzneimittel, die Krankheitsbezeichnungen, Diagnosen und Therapieabläufe – ein kulturelles Konstrukt. Das gilt auch für den Körperbegriff der Schulmedizin, die seit der Aufklärung den physischen Körper von der Seele trennte und ihn zum Mechanismus erklärte. Erst im 20. Jahrhundert wurde, in der Psychiatrie und in der Psychosomatik, der Versuch gemacht, den Bruch zwischen Körper und Seele wieder zu kitten. Aber auch hier wird noch immer nach »wirklichen«, das heißt materiellen, organischen Ursachen, vor allem im Hirnstoffwechsel, gesucht.
Körpermodelle gibt es ebenso viele, wie es Heilsysteme gibt. Die traditionellen Völker stellen sich den Körper, das Leibesinnere und das Funktionieren der Organe nicht als ein Maschinenwesen vor. Auch reduzieren sie die »Wirklichkeit« nicht nur auf das Wägbare und Messbare. Das heißt nicht, dass sie nicht sorgfältig und genau beobachten. Sie beobachten die natürlichen Phänomene oft genauer, als wir es tun (Levi-Strauss 1977: Kap. I). Sie schließen aber die energetischen, seelischen und geistigen Aspekte nicht von vorneherein als »irreal« oder »subjektiv« aus. Nicht ein Uhrwerk oder ein Computer liefert für sie das Denkmodell, sondern die Landschaft, das Klima, der Wandel der Jahreszeiten oder die Bewegungen der Planeten. Analog dem jahreszeitlichen Wandel, den Naturrhythmen erkennt und versteht man, was sich im menschlichen Mikrokosmos abspielt. Die große Natur, der Makrokosmos, ist selbst ein atmender, lebender Leib. Es ist die »Mutter Erde«, der »Urriese« oder das ursprüngliche Zwitterwesen, das sich opferte und zur Schöpfung wurde. Es hat Knochen (Steinformationen) wie wir, Adern und Venen (Flüsse, Seen), ein Herz (Sonne), ein Hirn (Mond), Haut (die Humuserde), Haare (die Wälder, das Gras), eine Vagina (Quellen, Sümpfe), Brüste, Glieder, Atem (Winde) und so weiter. Für die meisten Zeitgenossen ist diese Metapher reichlich naiv und primitiv. Dass es sich dennoch gut mit solchen Metaphern denken lässt und dass sich damit brauchbare Bezüge herstellen lassen, zeigt etwa die traditionelle chinesische Medizin. Funktionskreise und Wandlungsphasen verbinden fünf Elemente, fünf Jahreszeiten, fünf Geschmacksrichtungen, fünf Seelenstimmungen und fünf Körperteile miteinander: Holz (Leber, Galle, Zorn, Frühjahr) brennt als Feuer; Feuer (Herz, Freude, Sommer) wird zu Erde oder Asche; Erde (Milz, Sorge, Spätsommer) ergibt Metall; Metall (Lunge, Trauer, Herbst) schmilzt und wird flüssig (Wasser); Wasser (Nieren, Furcht, Winter) ernährt wiederum das Holz.
Das chinesische Modell: Yin-Yang und die fünf Elemente.
Ein ähnliches Schema benutzten die Heiler des alten Griechenlands. Vier Jahreszeiten mit ihren verschiedenen Graden von Hitze und Feuchtigkeit stehen analog zu vier Lebenssäften (Blut, gelbe Galle, schwarze Galle, Schleim), zu vier Elementen, vier Tageszeiten, vier Lebensaltern, vier Persönlichkeitstypen und anderen Erscheinungen. Mit dieser Metapher wurde über tausend Jahre lang, bis über die Renaissance hinaus geheilt.
Die Qollahuyaindianer in Bolivien vergleichen den Körper mit einem Berg, mit Kopf, Herz (das Dorf), Magen, Innereien, Brüsten, Füßen und so weiter. Quellen und Bäche sind sein Blut, der jahreszeitliche Wandel sein Lebensrhythmus. Kahlschläge und Bergbau gefährden seine Gesundheit; Erdbeben, Rutsche, plötzliche Sturzbäche sind Krankheiten. Man heilt menschliche Pathologien, indem man sich mit Ritualen um einen heiligen Berg in der Nähe des Dorfes kümmert (Lock/Scheper-Houghes 1996: 57).
Humoralpathologisch es Schema.
Die alten Ägypter verglichen den menschlichen Körper mit dem grünen, von staubiger Wüste eingegrenzten Niltal. Der Nilstrom, der das Leben ermöglicht, indem er fruchtbare Erde anschwemmt, die Vegetation labt und das faule, infizierte Wasser der Bewässerungskanäle wegschwemmt, wurde dem Verdauungstrakt, der vom Mund bis zum Dickdarmausgang reicht, gleichgesetzt. Es galt, Austrocknung, Flüssigkeitsansammlungen, Abänderungen, Störungen und Blockierungen der Kanäle auszugleichen. Daher spielten in der ägyptischen Heilkunde vor allem Abführmittel, Brechmittel, Klistiere, Schröpfen und Aderlass eine wichtige Rolle.
In Indien waren es die drei markanten Jahreszeiten, die das Modell abgaben: Erlebt der Mensch nicht auch Hitzezustände (Pitta), die der heißen, staubtrockenen Vormonsunzeit gleichen? Erfährt er nicht ebenso feucht-heiße, schleimige, ansteckende Zustände (Kapha), die der Monsunzeit ähneln, oder kühle, windige (Vaya/Vata), wie man sie im Spätherbst in der Natur erlebt (Storl 2004a: 30)?
Bei einigen Völkern, auch bei den vorchristlichen Europäern, stellte man sich den Körper als ein Haus vor: Der warme Herd in der Mitte, die Feuerstelle, war das Herz; der sich im selben Gebäude befindende Stall mit all seinen Tieren war der Unterleib. Krankheit ist nach dieser Vorstellung Unreinheit, Mangel an Futter oder Holz oder ein unwillkommener Besuch (von Geistern, Dämonen).
Im Mittelalter und vor allem in der Renaissance wurde der menschliche Leib einbezogen in ein kosmisch-astrologisch-energetisches Beziehungsnetz: Er galt als das mikrokosmische Abbild des gesamten Kosmos. Der gesamte Tierkreis fand sich in ihm wieder, von den Widderkräften im Kopf bis hinab zu den Fischekräften in den Füßen. Die Planeten beherrschten die Organe und das Befinden; planetarische Energien zogen ihre Bahn durch den gesamten Leib. Der Arzt musste Astrologe sein, musste wissen, welche Planeten in den Organen und in den Heilkräutern wirksam sind und wie diese in Beziehung zueinander zu bringen sind.
Im traditionellen Afrika ist der Mensch und sein Körper Teil des gesellschaftlichen Spannungsfelds. Krankheit beschränkt sich nicht auf das Individuum. Spannungen in Sippe oder Nachbarschaft, Tabubrüche, Beleidigungen der Ahnen und Ähnliches machen krank. Neid, Hass, böse Gedanken stören die gemeinschaftliche Harmonie und gelten als Hexerei. Krankheitsdiagnose bedeutet die Störquelle finden, und diese liegt nicht in organischen Fehlfunktionen oder bei ansteckenden Bakterien, sondern im zwischenmenschlichen Bereich. Die Gesellschaft, das gesamte Dorf wird in das Heilritual mit einbezogen.
Weitere Beispiele könnten ein Buch füllen. Aber genug damit. Was uns hier interessiert, ist die Tatsache, das jedes Heilsystem, jedes Denkmodell, seine Gültigkeit hat und erfolgreiche Krankenheilungen vorzuweisen hat. Folglich werden wir uns in diesem Buch nicht nur auf orthodoxe biomedizinische Forschungen und Konstruktionen verlassen, sondern auch ethnomedizinische und ethnobotanische Quellen mit einbeziehen.
Der menschliche Embryo im Tierkreis.
Die geistige Führung ist nicht immer nett
Dieses Buch wurde nicht aus eitlem Wissensdrang oder Forscherneugierde geschrieben, sondern es entstand aus der bedrohlichen gesundheitlichen Notlage, die sich ergab, nachdem ich selbst von der Borreliose befallen wurde. So ist es auch ein ganz persönliches Buch,