Der Klimaschutz ist ein weiteres Problemfeld. Die hochgesteckten Ziele bis 2020 wurden nicht erreicht. Statt einer Auseinandersetzung mit der Frage, warum die Ziele nicht erreicht wurden, setzte die Regierung neue, höhere Ziele, die jedoch erst bis 2030 erreicht werden sollen. Die nicht erreichten Klimaziele erinnern an die Digitalisierungsziele der Kanzlerin oder ihr Wahlversprechen Bürokratie abzubauen, die auch nicht erreicht wurden, weil es an Regierungsaktivitäten fehlte. Immerhin, bezüglich des Klima- und Umweltschutzes haben wir uns infolge der Coronakrise etwas auf die Ziele zubewegt, die Bürokratie hat hingegen noch erheblich zugenommen.
Für die EU zeichnen sich ebenfalls Probleme ab. Das Zusammenwachsen und gemeinsame Agieren der europäischen Staaten sind ohne Zweifel ein Segen und ohne Wenn und Aber zu begrüßen. Zugleich wächst aber auch ein europäischer Bürokratismus, der wie in Deutschland zunehmend um sich greift und z. T. nicht überzeugende Vorgaben bringt. Die Vorstellungen, die nationalen Eigenständigkeiten zum gemeinsamen Handeln zu koordinieren und sich entsprechend den Vereinigten Staaten von Amerika zu einem vereinigten Europa bei weitgehender Aufgabe der nationalen Eigenständigkeit zu entwickeln, stoßen immer stärker auf Widerstände. Die Widerstände werden vor allem durch die Europäische Zentralbank mit den Folgen ihrer Niedrigzinspolitik und Stützungsaufkäufe „fauler“ Bankkredite angeheizt. Zudem kommen die Kreditaufkäufe der Europäischen Zentralbank einer indirekten Übernahme der Schulden von Mitgliedsländern nahe, obwohl das nach den Vereinbarungen zur Sicherheit des Euro unzulässig ist. Der Europäische Gerichtshof hat dieses Vorgehen zwar als legitim eingestuft, aber ein neues Urteil des Bundesverfassungsgerichtes stellt sich dagegen. Bei diesem Widerspruch zwischen den Urteilen des Europäischen Gerichtshofes und des deutschen Verfassungsgerichtes hätte die deutsche Regierung klärende Antworten geben müsste, aber die taucht ins Schweigen ab.
Deutschland steht also vor hohem und dringendem Handlungsbedarf, um den vielen Herausforderungen entgegenzuwirken. Durch die Coronakrise wird der Großteil der Herausforderungen noch verschärft und auch viel deutlicher. Wir stehen wahrscheinlich vor einem tiefgreifenden Wandel, der große Gefahren, aber auch Chancen beinhaltet. Deshalb kommt es darauf an, die Chancen zu nutzen. Das gilt nicht nur für die Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Veränderungen und Wirtschaftsentwicklung, sondern für sämtliche Bereiche. Somit ist auch den Erosionen unseres Staates entgegenzuwirken. In diesem Sinne ist dieses Buch gemeint. Es soll zum Anstoß beitragen, sich mit der zukünftigen Entwicklung unseres Landes im kritischen, aber zugleich im konstruktiven Sinne auseinanderzusetzen.
Die hier getroffenen Ausführungen können bei der Breite der angesprochenen Thematik nicht umfassend sein und beschränken sich daher auf die Bereiche, denen hier besondere Bedeutung und hoher Handlungsbedarf zugeschrieben werden. Zunächst wird in einem zusammenfassenden Abriss die deutsche Entwicklung und die dabei auftretenden Probleme im Zeitraum bis zur Coronakrise angesprochen. Die Ausführungen beginnen mit einem kurzen Rückblick auf die deutsche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur deutschen Wiedervereinigung. Aus dieser Zeit stammen prägende Einflüsse. So vor allem das Grundgesetz und die Entwicklung der politischen Landschaft, Öffentlichkeit und der wachsende europäische Zusammenschluss. Danach wird ausführlicher die Entwicklung unter Kanzler Schröder und Kanzlerin Merkel behandelt, da von dieser Zeitepoche wesentliche Einflüsse für die heutige Situation ausgehen. Die Ausführungen sind in Anbetracht der vielen Veröffentlichungen zu dieser Zeit nicht umfassend und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber dennoch wichtig für die Gesamtzusammenhänge der hier dargelegten Überlegungen. Daran schließen als Hauptteil die kritische Auseinandersetzung mit der jüngsten Entwicklung und der derzeitigen Situation der Bundesrepublik an, um den Handlungsbedarf und die Handlungserfordernisse anhand der eingegrenzten Probleme und Fehlentwicklungen herauszuarbeiten. Die Ausführungen zur Coronakrise belegen die dadurch bedingte Erhöhung des Handlungsbedarfs. Das Schlusskapitel setzt sich mit den hier gesehenen Herausforderungen und Handlungsbedarf sowie auch evtl. Handlungsmöglichkeiten und -ansätzen auseinander.
1. Deutschland nach dem Krieg bis heute (vor Corona)
Die Entwicklung der Bundesrepublik beginnt mit den enormen Anforderungen und Leistungen des Wiederaufbaus des in dem von Deutschland entfachten Krieg so zerstörten Landes und seiner Wirtschaft. Zugleich galt es das Negativimage, dass Deutschland durch die Verbrechen der unglückseligen NS-Zeit anhaftete, auszuräumen und unser Land wieder in der Staatengemeinschaft der Welt einzubringen. Dazu gehörten auch erhebliche Wiedergutmachungszahlungen an Staaten, die durch Deutschland im Zweiten Weltkrieg Zerstörungen erfuhren, bis hin zur Begleichung von Restschulden, die Deutschland noch an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges leistete. In der Londoner Schuldenkonferenz wurden die damit fälligen Reparationsleistungen festgeschrieben, ohne Einigung mit der Sowjetunion, die der DDR wesentlich höhere Leistungen auferlegte als die Westalliierten der Bundesrepublik. Die anfangs kaum zu bewältigenden Reparationsleistungen der Bundesrepublik wurden gestreckt und belasteten bis zur vollständigen Erfüllung 1988.
Die Bundesrepublik war zugleich mit Frankreich der treibende „Motor“ zur Aussöhnung und zum europäischen Zusammenschluss, der wirtschaftlich 1951 mit der Montanunion begann und 1957 zur Gründung der EG führte und schließlich 1993 in der Europäischen Union (EU) seinen vorläufigen Höhepunkt erreichte. Die Entspannungspolitik und die veränderten globalen Bedingungen fanden zum Ende der 80er Jahre mit der gezielten Nutzung der einmaligen Chance der Wiedervereinigung ihre Krönung.
Die Entwicklung der Bundesrepublik begann mit der hervorragenden Verfassung, die auf eine neue Zukunft in einem demokratischen Staatssystem und die Bewältigung der NS-Vergangenheit ausgerichtet ist. Durch das darin verankerte föderale Staatssystem gab es keine Allmacht der Bundesregierung und die Bürgerrechte wurden umfassend geschützt. Die Handlungen des jungen Staates und seiner Regierung waren zunächst vor allem pragmatisch auf den Wiederaufbau, die Beseitigungen der Kriegszerstörungen und Entwicklung der Wirtschaft ausgerichtet. Dabei hatten Organisationsgeschick und Fachqualifikationen wesentlich mehr Bedeutung als die NS-Vergangenheit, wie sich anhand der Besetzung von Leitungspositionen nachweisen lässt. Es ging voran. Das Thema Vergangenheit bekam erst in den 60er Jahren mit dem Auschwitzprozess Bedeutung, was mit dem Aufbegehren der Jugend durch die 68er Generation dann erheblich, teilweise bis zum Generationskonflikt verstärkt wurde. Einen neuen Entwicklungsschub erhielt Deutschland unter der SPDRegierung unter den Kanzlern Brandt und Schmidt. Die erheblich veränderte Ostpolitik Brands führte zur Aufweichung der Ost-Westgegensätze, letztlich eine wesentliche Voraussetzung für die Entwicklung, die dann zur deutschen Wiedervereinigung führte. Diese Entwicklung war, trotz der enormen finanziellen Belastungen für Ostdeutschland und des Konjunktureinbruchs Ende der 90er Jahre, von einer sehr erfolgreichen, expandierenden Wirtschaft mit sehr hohem Exportüberschuss begleitet. Deutschland und dem Großteil seiner Bevölkerung ging es gut, wenngleich die Angleichung Ostdeutschlands an diesen Wohlstand nur langsam voranging und bis heute nicht voll erreicht wurde.
Das schöne Bild weist jedoch, wie in der Einleitung angesprochen, seit einigen Jahren Trübungen auf, wenngleich zunächst kaum sichtbar, aber sich allmählich verstärkend. Das Zusammenspiel von Legislative, Exekutive und Judikative entfernt sich allmählich von der Demokratie, die die Verfasser des Grundgesetzes vorgaben, und wohl auch von deren ursprünglichen Vorstellungen. Diese Entwicklung hat seit dem Beginn dieses Jahrhunderts merklich zugenommen. Die Legislative wandelt sich zu einem elitären Berufspolitikertum, das z. T. den Bezug zur Bevölkerung verliert und sich selbst auch über Urteile des Verfassungsgerichtes hinwegsetzt. Ähnliches gilt für die Exekutive. Dort geben politische Seilmannschaften zunehmend den Ton an, ggf. mehr als Fachqualifikationen. Sie halten sich ebenfalls nicht immer an die Verfassung und Urteile des Bundesverfassungsgerichtes. Die Polizei, als wichtigstes Durchsetzungsorgan staatlicher Gewalt, ist aufgrund jahrelanger politisch verfügter Personalausdünnung teilweise überfordert. Übergriffe gegen die Polizei und von Polizisten haben zugenommen, oft ohne Ahndung, was für eine Demokratie eigentlich nicht hinnehmbar ist. Die Judikative kann ebenfalls aufgrund von Personalausdünnung das in der Verfassung und Gesetzgebung verbriefte Recht nicht immer durchsetzen. Zudem sind die teilweise extrem unterschiedlichen Strafen oder fragwürdige Gerichtsurteile ebenfalls schwer mit einer funktionierenden Demokratie vereinbar. Die Verwaltung hat seit den 80er Jahren