Ostdeutschland wies nach der Wiedervereinigung größte Probleme in der Wohnraumversorgung auf. Eine Hinterlassenschaft der DDR. Der DDR gelang es im gesamten Zeitraum ihrer Existenz trotz größter Bestrebungen nicht, dieses Problem zu lösen. Deshalb bemühte sich der Bund nach der Wiedervereinigung massiv gegenzusteuern. Vor allem mittels großzügiger Steuerabschreibung sollte Kapital nach Ostdeutschland bzw. in die neuen Bundesländer gelenkt werden, um dort die Wohnversorgung zu lösen. Außerdem erhoffte man sich davon ähnliche positive Wirtschaftsimpulse, wie sie Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg durch die massive Wohnbauförderung der 50er Jahren erfuhr. Gleichfalls gab es umfangreiche, gut dotierte Förderprogramme zur Wohnhaussanierung, um die häufig maroden Bauzustände zu beheben. Die Wohnungsnot konnte so tatsächlich in wenigen Jahren in weiten Gebieten Ostdeutschlands beseitigt werden. Sie kehrte sich nun aber in eine Überversorgung um. In Anbetracht des hohen Bevölkerungsrückgangs Ostdeutschlands durch die hohe Abwanderung der Bevölkerung schrumpfte die Einwohnerzahl. Zudem wurde diese Entwicklung noch durch den starken Geburtenrückgang verstärkt. Als Folge standen alsbald in sehr vielen Gemeinden weitaus mehr neu gebaute und sanierte Wohnungen zur Verfügung, als nachgefragt wurden. Auch diese Entwicklung war frühzeitig absehbar und Experten haben davor gewarnt. Ich gehörte damals als wissenschaftlicher Direktor eines Bund-Länder-Forschungsinstituts auch dazu. Die Bundesregierung brauchte aber noch Jahre, um zu reagieren. Es dauerte so lange, dass die Funktion des Wohnungsmarktes infolge des inzwischen weitaus zu hohen Überangebotes massiv gefährdet war. Zur Stabilisierung der Entwicklung wurde nun für Ostdeutschland ein milliardenschwer ausgestattetes Förderprogramm zum Abbruch von Wohngebäuden aufgelegt. Eine Geldvernichtung größten Ausmaßes, die bei zügiger Reaktion auf die warnenden Expertenstimmen vermeidbar gewesen wäre.
Die Entwicklung führte zu weiteren Auswüchsen. So stiegen z. B. die Verkaufspreise für neue Apartments nach der Bekanntgabe der neuen hohen möglichen Steuerabschreibungen enorm an. In einer der besonders nachgefragten ostdeutschen Metropolen erhöhten sich deshalb die Preise innerhalb einer Woche bis zu 40 %. Westdeutschen Kapitalanlegern wurden Hausprojekte durch hohe Steuerabschreibungen von Bauträgergesellschaften mit Garantiemiete von 26 DM/qm schmackhaft gemacht, obwohl damals in Ostdeutschland der durchschnittliche Mietpreis unter 6 DM/qm lag. Das wussten die meisten Westdeutschen nicht und griffen bei diesen garantierten traumhaften Offerten und hohen Steuerabschreibungsmöglichkeiten zu. Die Ernüchterung kam bald, als diese Miete bei weitem nicht am Markt realisierbar war und sich durch Auflösung der Bauträgergesellschaft die Garantie verflüchtigte. Verdruss gab es auch mit der großzügigen Sanierungsförderung. In der sächsischen Stadt Döbeln kamen z. B. Mitte der 90er Jahre die Experten zur Stadtentwicklung zu dem Ergebnis, dass bestimmte Wohnhochhäuser der ehemals städtischen Wohnungsgesellschaften (inzwischen privatisiert) zukünftig keine Marktchancen haben und deshalb aus Kostengründen abzubrechen seien. Die Vertreter der Gesellschaften waren entsetzt, denn davon waren über 80 Wohnungen betroffen, die wenige Jahren zuvor mit den günstigen Sanierungskrediten hergerichtet wurden. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie sie eigentlich vor einer derartigen Kreditvergabe üblich ist, wurde von der Landesaufbaubank, die die Mittel vergab, wohl nicht verlangt. Die Kreditnehmer waren damit überfordert, denn diese Zusammenhänge und die Marktentwicklung konnten sie damals als Ostdeutsche, die Jahrzehnte nur Defizite in der Wohnraumversorgung zu bewältigen hatten, nicht erkennen. Aus meiner Sicht gab es hier große Unterlassungssünden der Bank, denn diese hätte den Überblick haben und entsprechende Prüfungen einfordern müssen. Es erscheint fast so, als wenn manche dieser Banken vor allem darauf aus waren, einen hohen Umsatz an Fördermitteln zu erreichen.
Ein weiteres zwiespältiges Feld war die Infrastrukturversorgung. Ostdeutschland wies große Defizite auf, von den oft maroden Straßen, fehlenden Gewerbeflächen bis zur Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung oder auch den Wohnfolgeeinrichtungen der Daseinsvorsorge. Auch dagegen stemmte sich der Bund mit großzügigen, umfangreichen Förderprogrammen. Das wurde auch von unseriösen Akteuren genutzt. So wurden z. B. vielen Kommunen in Hinblick auf die hohen Fördergelder viel zu große Anlagen zur Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung und Abwassersysteme oder große Gewerbegebiete an Standorten, wo diese nie benötigt werden, aufgeschwatzt. Das brachte Maklern bei Grundstücksgeschäften und sonstigen Akteuren sowie den Planern und Ingenieuren hohe Profite ein. Für die Kommunen folgten daraus aber oft gewichtige Nachteile. Zu große Trinkwassersysteme und Kläranlagen verursachen hohe Unterhaltskosten, so dass auf die Einwohner unverhältnismäßig hohe Gebühren zukamen oder die Kommunen die Kosten mit hohen Zuschüssen ausgleichen mussten. Die Gewerbegebiete verursachen ebenfalls Folgekosten, die an den Kommunen hängen blieben, wenn sich kaum Betriebe ansiedelten. Zudem wurden dort häufig nur Zweigbetriebe errichtet, deren Gewinne am Stammsitz des Unternehmens, also in den alten Bundesländern und nicht in der betreffenden Gemeinde, zu versteuern waren. Hier berieten, prüften und kontrollierten die Förderstellen und Aufbaubanken viel zu wenig.
Die Akteure der vielen übergroßen „Fehlplanungen“, mit denen die Honorare in die Höhe getrieben wurden, kamen in der ersten Zeit weitgehend aus den alten Bundesländern. Ohne „Wessis“ ging nichts. Manche Ostdeutschen haben aber schnell gelernt und ebenfalls entsprechend agiert. So gab es z. B. ein Förderprogramm für kommunale Entwicklungsplanungen, das erst bei 160.000 DM gedeckelt war. Mir sind persönlich ostdeutsche Akteure in Erinnerung, die daraufhin ihnen bekannten Bürgermeistern die Wichtigkeit eines Entwicklungskonzeptes darlegten. Zugleich zeigten sie der Gemeinde auf, wie sie die Planung ohne eigene Kosten bekämen. Die Förderbestimmungen schrieben zwar der Gemeinde einen Eigenanteil von 25 % vor, aber der war zu umgehen. Dafür boten die Akteure der Gemeinde an, in dieser Höhe etwas abzukaufen. Damit es sich lohnt, sollte die Gemeinde den Höchstsatz von 160 Tsd. DM beantragen, denn damit konnte eher ein umfassendes Konzept erstellt werden. Der Eigenanteil der Gemeinde wurde z. B. damit beschafft, dass alte, nicht mehr benötigte Akten, unter der Voraussetzung der Auftragserteilung, von den Akteuren für 40.000 DM abgekauft wurden. Damit konnte die Gemeinde den vorgeschriebenen Eigenanteil für die höchste Fördersumme quasi ohne eigene Kosten leisten. Natürlich gab es neben diesem negativen Beispiel von West- und Ostakteuren etliche seriöse Akteure und Macher, die sich redlich um die Entwicklung Ostdeutschlands bemühten. Es gab aber eben auch die anderen – und dies leider häufig.
Fehlplanungen und deren bauliche Realisierung sind aber auch auf ostdeutsche Behörden zurückzuführen. Beispielhaft sind dafür die technische Infrastruktur wie auch der Neubau von Schulen. Es wurden nicht nur aufgrund falscher Beratungen zu große Trinkwasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsanlagen gebaut, sondern auch weil Behörden für ländlichen Räumen häufig große zentrale Anlagen zur Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung bevorzugten. Diese Anlagen entsprachen durchaus dem zum Zeitpunkt der Planung ermittelten Bedarf. Sie waren