„Was meinst du, was passiert, wenn mein Mann erfährt, dass wir eine Affäre haben? Der setzt mich mit gepacktem Koffer vor die Tür oder bringt mich gleich um. Wir dürfen uns eine Weile nicht sehen, bis sich die Aufregung gelegt hat!“
Albert schluckte und begriff nicht, was gerade passierte.
„Willst du die Trennung, ist es das? Da braucht nur der Senator Maybach zu kommen, und du kuschst? Ich hatte gehofft, dass wir nächste Woche zusammen auf die Eröffnungsfeier von Melzers neu gebautem Kinderheim gehen.“
„Wo? Auf Sylt? Bist du übergeschnappt? Damit mein Mann in der Presse lesen kann, dass wir was miteinander haben?“
„Doch nicht als Paar!“
„Sondern?“
„Na, du könntest in meiner Nähe sein und ...“
„Albert, also manchmal denkst du nicht nach. Wie sieht denn das aus? Die Vorsitzende des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses trinkt auf Melzers Einweihungsparty Sektchen und nascht Schnittchen. Tolle Schlagzeile. Nein, vielen Dank!“
Albert wusste nicht, was er empfinden sollte. Eine Leere umgab ihn. In sich hineinhorchend fühlte er, wie Panik und Wut langsam seine Glieder hochkrochen und diese verklebten. Er betrachtete seine Geliebte mit leeren Augen und wandte sich zum Gehen. Er musste ihr Vorhaben unbedingt verhindern.
Kapitel 7
22-Zoll-Felge
Das Erste, was Denis Berend fühlte, waren die stechenden Kopfschmerzen, die bei jedem Atemzug so stark gegen seine Schädeldecke hämmerten, dass er meinte, seine Stirn würde zerspringen. Er öffnete die Augen und konnte nicht viel sehen. Es war dunkel im Raum, aber aufgrund einer kleinen, indirekten Lichtquelle im Nebenraum konnte er seine Umgebung wenigstens etwas erfassen. Er versuchte, seinen Kopf in Richtung der Lichtquelle zu drehen, und stellte fest, dass er sich nicht richtig bewegen konnte, da er an Händen und Füßen gefesselt war. In dem massigen, kräftigen Körper verbreitete sich Panik, und jede Pore seiner Haut füllte sich mit Angstschweiß. Denis konnte sie riechen, seine Todesangst, die sich mit dem feucht-modrigen Geruch des Raumes mischte. Er versuchte, sich zu erinnern. Scheiße noch mal, was war passiert? Schemenhaft und vernebelt tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf. Die Autofahrt nach Hemdingen-Bilsen, der Streit mit Albaner-Klaus, der Fausthieb. Der Schmerz der Nasenwurzel trat in sein Bewusstsein. Ansonsten erinnerte er sich an rein gar nichts. Hatte Albaner-Klaus damit zu tun? Oder einer der „Thunder-Arschlöcher“? Denis, konzentriere dich, ermahnte er sich im Stillen. Auf keinen Fall durfte er jetzt panisch werden. Speiübel war ihm, und er unterdrückte angestrengt den Impuls, sich übergeben zu müssen. Er versuchte, seinen Kopf zu drehen. Widerstand. Seine Angst vernebelte ihm das Hirn und breitete sich in seinem Magen aus. Denis’ Kopf war mit einem dicken Lederriemen fixiert. Um dennoch so viel wie möglich von seiner Umgebung sehen zu können, drehte er seine Augen in alle Richtungen und drückte seine Augäpfel so stark gegen das Fett- und Bindegewebepolster, dass es ihm schien, als würden sie jeden Moment aus der knöchernen Augenhöhle herauskugeln. In etwa so, wie eine polierte Stahlkugel in einem alten Flipperautomaten plötzlich aus einer ihrer Spielfeldöffnungen herauskatapultiert wird.
Die Schweißperlen, die sich auf seiner Stirn gesammelt hatten, glitten an seiner Schläfe herab und tropften auf die Liege. Als er versuchte, sich ruckartig aus der Fesselung zu befreien, bemerkte er einen metallenen Gegenstand an seinem blanken Gesäß und realisierte, wie er pinkeln sollte. Nun brannte es an seiner Armbeuge, an der er hinabschaute. Eine Kanüle steckte in seiner Vene. Scheiße, was war hier los? Was passierte mit ihm? Voller Angst schaute er sich um, so gut es der Lederriemen ermöglichte.
Der Raum war eine Art Kellerverlies, mit großen, aluminiumfarbenen Rohren an den Wänden. Außer seiner Fixierungsliege konnte er nichts weiter entdecken, bis auf eine Maus, die oberhalb des Rohres nach Nahrung suchte. Ein Fenster hatte er bisher nicht gefunden. Wieder überkam ihn diese Übelkeit, und er kämpfte gegen den Brechreiz an.
Da war ein Geräusch! Ein Türklappen und Schritte kamen aus Richtung der dunklen Tür, deren Ritze ebenfalls etwas Licht in das Verlies schimmern ließ. Er hörte den „Abendsegen“ von Humperdinck, den er nicht einordnen konnte. Die Schritte entfernten sich wieder. Jetzt schepperte ein Vorhängeschloss gegen die sich öffnende Tür. Denis kniff seine Augen fest zusammen, um möglichst viel von seinem Entführer erkennen zu können. Eine große, schlanke, in Schwarz gekleidete, maskierte Person betrat den Raum und entfernte wortlos die Gesäßpfanne. Dann setzte der Entführer eine Einwegkunststoffspritze an die Kanüle und nahm dem benebelten Opfer Blut ab. Wortlos hielt der maskierte Mann ihm einen Strohhalm hin. Denis, der nicht bemerkt hatte, wie durstig er war, trank das Wasser in tiefen Zügen aus und fiel wenige Sekunden danach in einen leichten Dämmerschlaf. Mit dem Blut des Opfers beschrieb der Entführer eine 60 mal 80 Zentimeter große, weiße Leinwand, die an eine der Kellerwände gelehnt war.
„Denn das Leben des Fleisches ist im Blut und ich habe es euch für den Altar gegeben. Denn das Blut ist es, das durch Leben Versöhnung erwirkt. Im Blut war die Seele und Gott beansprucht die Seele.
3. Mose. 17/11.
Auf dass ihr euch Gott wieder nähern könnt.“
In einer Ecke des Raumes stand ein Eimer, neben dem auf einem Hocker ein Schächtmesser lag, dessen blitzende Klinge der Form eines Lineals glich. Der Entführer drehte die Liege um 180 Grad, sodass Denis, an der Liege fixiert, nur noch zu Boden blicken konnte. Er erwachte kurz aus dem Dämmerschlaf, den Metalleimer direkt unter seinem Kopfbereich sehend. Als er das Schächtmesser im Augenwinkel blitzen sah, fühlte er, wie warmes Urin an seinen Innenbeinen herunterlief. Der Täter nahm das Messer und flüsterte mit eisiger Stimme: „Ich will deine Stimme nicht mehr hören. Du wirst still sein. Für immer.“
Er setzte das Messer an der Halsunterseite an und durchtrennte mit einem Schnitt die Luft- und Speiseröhre. Denis riss in Todesangst die Augen auf. Er verfolgte mit seinen Augen die an ihm vorbeifahrenden gold lackierten 22-Zoll-Felgen seines roten Mercedes Benz AMG Coupé, die sich immer schneller drehten, bis er das Bewusstsein verlor und das Leben aus seinem ausgebluteten Körper wich.
Kapitel 8
3. Mose 17/11
Nora bog mit ihrem Rad knirschend in den weißen Kieselweg ein, der zu ihrem neuen Zuhause in Niendorf führte. Verschwitzt betrat sie ihre frisch renovierte Einliegerwohnung im Souterrain. Wie immer drapierte sie ihren Wohnungsschlüssel so auf dem Tisch, dass er über dem Haustürschlüssel zum Liegen kam. Dann kontrollierte sie die Jacken an der Garderobe, ob sie den richtigen Abstand zueinander hatten. Hierbei ging sie immer gleich vor. Sie legte ihre Hand als Maßband an die Garderobenstange und richtete danach ihre Jacken aus. Jetzt konnte sie endlich Isa begrüßen, die schwanzwedelnd darauf wartete, gestreichelt zu werden. In einer Viertelstunde würde ihr über ihr wohnender Vermieter kommen. Sie waren verabredet. Nora sprang schnell unter die Dusche, ließ „Always on my mind“ von Elvis Presley durch die Boxen dröhnen und dachte über ihren Fall und Melzer nach, während sie leise mitsang.
In Hamburg hatte er es bereits auf die Liste der Hamburger Persönlichkeiten geschafft, denn sein Name war mit dem Bau der Elbphilharmonie und somit eng mit Hamburg verbunden. Allerdings war seine prominente Stellung durch den derzeit durch die Gazetten jagenden Bauskandal um die Elbphilharmonie beschattet.
Nun war er verdächtig, den Baubehördenmitarbeiter Bülow bestochen zu haben, um den Zuschlag für das Bauvorhaben der Elbphilharmonie zu erhalten, was einen erheblichen Imageschaden nach sich ziehen würde, sollte sich dieser Verdacht bewahrheiten. Eine Pressewelle von unglaublicher