Ihr Ehemann Cord war heute zur Ableistung seiner Dienstpflichten unterwegs und würde erst am späten Abend heimkehren.
Die Schwiegereltern lebten im Häuslingshaus auf Altenteil, nahmen aber an den gemeinsamen Mahlzeiten im großen Haus am Tisch teil. Soweit es ging, halfen sie auf dem Hof oder in der Küche.
Auf dem Hof arbeitete der Knecht und hackte bei der Scheune Holz. Die beiden jungen Mägde kümmerten sich um die Kinder und das Vieh.
Mettes Schwester Tipke schlug einen kleinen Spaziergang vor, wie sie es immer taten, wenn sie sich trafen. Das Haus hatte viele Ohren und die Schwestern hatten schon immer ein sehr inniges Verhältnis zueinander gehabt. Sie gingen aus dem Haus und schlenderten über den Hof, wobei die Holzklotschen klapperten, als sei ein ganzes Fuhrwerk unterwegs. Sie hakten sich unter und verließen den Hof Richtung Bach, der einige hundert Meter entfernt am Rand einer Wiese floss.
Am Bachlauf standen etliche alte, sehr hohe Pappeln, die im Sommer viel Schatten gaben. An einer Kurve, die der Bachlauf nahm, lag ein großer Findling. Das war der Platz, den die beiden Frauen immer aufsuchten.
Sie setzten sich und Mette erzählte ihre Sorgen, was Gretge widerfahren war in allen Einzelheiten. Sie waren sich einig, dass Claus davon nie etwas erfahren dürfte, denn sie fürchteten, er würde im Hause des Nachbarn wüten oder sonst etwas Schlimmes anstellen.
Die Sorgen konnte Tipke ihrer Schwester nicht nehmen, aber es war beiden nach den stundenlangen Gesprächen stets wohler. Wer genau hinschaute, konnte erkennen, dass die beiden Zwillinge waren. Tipke war nur zweimal bei Mette im Dorf gewesen, einmal bei der Hochzeit und danach noch einmal kurze Zeit später. Die Menschen in dem Dorf waren ihr nicht geheuer. Dass man sie dort die doppelte Hexenbrut nannte, hatte sie über drei Ecken gesteckt bekommen.
Hier in ihrem Dorf, wo sie nun lebte, waren die Nachbarn anders und es grenzte sie keiner aus, kannte man doch die Geschichten und Gerüchte über die Mutter und Groß-mutter der beiden. Wer am Moor lebte, und wer sich keinen Arzt leisten konnte, war auf die Kräuterfrauen angewiesen, und die gab es zu Hauff. Sie waren allerdings sehr vorsichtig geworden, denn wer geglaubt hatte, nun, wo man nicht mehr katholisch war, würden die Strafen der Hölle die Menschen nicht mehr erreichen, wurde eines besseren belehrt.
Auch hier im Amt, wo Tipke nun lebte, wurden, seit die Großmutter um die Jahrhundertwende verstorben war, mehrere Frauen der Zauberei angeklagt und drei lebendig verbrannt.
Mette blieb über Nacht bei ihrer Schwester Tipke und ging erst am nächsten Morgen mit Gretge wieder nach Hause.
Es hatte ihr gut getan, mit der vertrauten Verwandten zu reden und intime Sorgen besprechen zu können. Sie beneidete sie ein wenig, gönnte es ihr aber von Herzen, in Cord einen guten, fleißigen Mann gefunden zu haben, der in einem Dorf lebte, wo die Welt noch in Ordnung war, jedenfalls sah es Mette so.
Gegen Mittag waren sie wieder in Westeresch ange-kommen und der kleine Tietke lachte seine Mutter mit hellen Augen strahlend an.
Claus sah diese Ausflüge mit gemischten Gefühlen, denn die Leute im Dorf redeten darüber, warum die Frau über Nacht fortblieb und was sie wohl machte. Die Vermutungen gingen so weit, dass man offen darüber sprach, die ging in den Wald zu den Waldhexen und lehrte ihre Tochter Gretge, die sie stets mitnahm, das Hexen.
Er konnte Mette weder davon abbringen, sich vom Knecht fahren und auch abholen zu lassen, noch verstehen, warum sie dann wieder unbedingt zu Fuß gehen wollte. Darüber hatten sie häufig gestritten.
Im Grunde genommen machte er sich große Sorgen um seine Frau und seine Tochter. Claus’ Mutter hingegen verstand Mette und unterstützte sie immer wieder, wes-wegen Claus stets einlenkte, denn gegen beide Frauen kam er nicht an. Eigentlich wollte er es auch gar nicht.
XI
Gretges Mutter wurde noch dreimal schwanger und gebar noch zwei lebende Töchter, aber auch noch einen toten Knaben.
Dass sich die Eltern im Laufe der Jahre immer weniger verstanden, bemerkten die Kinder kaum. Der Vater arbeitete den ganzen Tag, schob Probleme auf die schweren Zeiten, und auch die Großeltern sprachen nicht darüber. Die alte Margarethe fand auch kein Mittel, hier gütlich Einfluss zu nehmen.
Gretges Vaterbruder Peter lebte mit seiner Familie auf ihres Vaters Hof und hatte drei Kinder, Anna, Johann und Tietke. Sie spielten kaum mit ihrer Cousine Gretge. Meist heckten sie nur Dummheiten aus und neckten Gretges kleinen Bruder Tietke, der einst den Hof erben sollte. Er war ja der älteste und einzige Sohn von Claus. Dass alles anders kam, erlebte sein Großvater, der alte Tietke, nicht mehr.
So wurde Gretge älter und übernahm als älteste Tochter immer mehr Pflichten auf dem Hof. Sie musste der alten Großmutter, die immer kümmerlicher wurde, und der Mutter im Haushalt helfen, aber auch auf die kleineren Geschwister achtgeben. Mit den Nachbarkindern durfte sie nicht spielen. Das hatte ihr die Mutter verboten, und sie passte auf, dass Gretge sich an das Verbot hielt.
Gretge wuchs zu einem ansehnlichen Mädchen heran, welches lange, schön geflochtene dunkelblonde Zöpfe trug wie die meisten anderen Mädchen auch.
Am Ende waren sie mit einer blauen Schleife zusammen-gebunden. Ihre Großmutter trug einen Dutt, wie es viele ältere Frauen taten und darüber meist ein Kopftuch. Das hielt die Haare zusammen und die Ohren warm, schützte sie zugleich vor Zugluft.
Sie war sehr zurückhaltend, hatte keine Freundinnen und wurde von den Nachbarkindern häufig als „Hexenbrut“ gehänselt, wenn kein Erwachsener dabei war. Es wurde auch hinter vorgehaltener Hand über sie getuschelt und gekichert. Das schmerzte Gretge sehr. Sie sah die Mutter auch oft leise weinen, wenn der Vater und die Großeltern nicht im Hause waren. Dann ging sie zu ihr und sie nahm sie in die Arme, wie es sonst die Mutter bei ihr oder die Tante bei Gretges Mutter tat.
Gretges Familie stand vor und nach dem Kirchgang meist alleine und abseits vor der Kirche und fuhr häufig schnell wieder heim.
Mette hatte sich einst der Frau von Pastor Dornemann, wegen der Geschichte mit dem zerrissenen Kleidchen anvertraut. Sie wurde eher hinaus komplimentiert als angehört. Mette hatte auf Zuspruch und Hilfe gehofft, fand sie aber nicht. Die Pastorenfrau sprach von Missverständ-nissen und falschen Deutungen, denn das würde der beschuldigte Nachbar nie im Leben machen und strafte somit Mette Lügen.
Da von ihr kein Verständnis oder gar Hilfe zu erwarten war, sprach sie die Frau nicht mehr an. Selbst die Beichte unterließ sie, denn nun traute sie auch dem Pastor nicht mehr.
Gretge war nun in dem Alter, in die Kirchengemeinde aufgenommen zu werden und besuchte den Unterricht aller Konfirmanden. Die Unterrichtung nahmen der Pastor und der Küster, der zugleich der Schulmeister war, vor.
Auswendiglernen von Psalmen und Gebeten war hier an der Tagesordnung. Die Geschichte von Moses und Noah fand Gretge sehr interessant. In den Konfirmationsstunden wollte kaum jemand aus Gretges Dorf neben ihr sitzen. Sie würde sich später an einige von ihnen erinnern und diese der Hexerei beschuldigen.
Am Tag ihrer Konfirmation zog Gretge ein aus schwarzem Tuch gefertigtes Ehrenkleid an, wie es alle Mädchen im Kirchspiel Scheeßel trugen.
Ihre Großmutter Margarethe schenkte ihr zur Konfir-mation eine reich verzierte Brustspange, wie sie auch ihre Mutter eine hatte, die den unteren Kragen zusammenhielt, und über der Schulter ein mit feiner Stickerei verziertes weißes Tuch. Eines mit Spitzenvolant konnte sich die Familie nicht leisten. Sie sollte das Kleid weiterhin tragen, bis sie eine Braut sein würde. Dass es aber dazu nicht kommen sollte, konnte zu dieser Zeit kein Mensch ahnen.
Kapitel 2
Die Jahre 1660-1663
I
Nach der Konfirmation war es an der Zeit, dass sich Gretge, wie die meisten jungen Mädchen auch, auf das Leben als Ehefrau vorzubereiten hatte. So wurde sie in