Strohöl. Hansjörg Anderegg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hansjörg Anderegg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967526967
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sich eines Tages als nützlich erweisen.

      »Also bis Freitag«, sagte der Blasse mit den roten Wangen, der ihr das Flugblatt in die Hand gedrückt hatte.

      »Mal sehen.«

      Nachdem sich die Gruppe Richtung Altstadt entfernt hatte, schickte ihr Saxofon ein paar letzte Seufzer über den jetzt fast schwarzen See. Kurz bevor sie das Instrument absetzte, klingelte es in ihrem Koffer. Zwei Fünfzig-Cent-Münzen und drei Fünfer lagen auf dem Staubtuch, das ihre Glock abdeckte. Sie rief dem einsamen Spaziergänger ein Danke nach und packte zusammen. Der Tag endete besser, als er begonnen hatte. Immerhin war sie um 1.15 Euro reicher. Das Geschenk erinnerte sie an den Vorsatz, Jamie eine Kleinigkeit mitzubringen nach ihrem Einsatz – bloß was? Das Problem würde sie noch lange beschäftigen, fürchtete sie.

      Sie hatte den Eindruck, Rappold ducke sich vor ihr, als sie am Morgen fast gleichzeitig das Präsidium betraten. Im schwarzen Gilet über der ärmellosen Bluse, Pistole gut sichtbar im Schulterhalfter, erinnerte sie ihn vielleicht noch stärker an eine zu allem entschlossene Domina. Kaum stand sie im Büro, kam Hinz aus der dunklen Ecke geschossen und haspelte den Stand der Ermittlungen herunter. Er war schnell fertig.

      »Thorsten Kramer hat niemand mehr an seiner Meldeadresse in Litzelstetten gesehen seit einem halben Jahr«, berichtete er. »Das bestätigen alle Nachbarn, sagen die Kollegen.«

      »Was sagt die KTU über den Sprengstoff?«

      »Die Analyse ist noch im Gang.«

      Mehr gab es nicht zu berichten an diesem Morgen. Rappold hatte endlich die bequemste Stellung auf dem Sessel gefunden und war dabei, seinen Kaffee aus dem Pappbecher zu kosten, als sie ihn mit der Bemerkung schockierte:

      »Wir fahren zum Tatort.«

      Um ein Haar entglitt ihm der Becher. »Was – wieso das denn? Steht doch alles im Bericht.«

      »Im Bericht steht, dass Sie gerade mal den leitenden Ingenieur und die Arbeiter der Nachtschicht vernommen haben.«

      »Das waren die einzigen potentiellen Zeugen.«

      Sie schüttelte den Kopf, beugte sich zu ihm hinunter und zeigte ihm den Drohfinger. Sofort brachte er seinen Kaffee in Sicherheit.

      »Mein lieber Kommissar Rappold. Mir scheint, Sie ermitteln allzu offensichtlich nur in eine Richtung. Wie ich gestern schon erwähnt habe, müssen alle Leute befragt werden, die irgendwie mit dem Versuchsgelände in Kontakt gekommen sind. Insbesondere sollten wir uns um entlassene oder anderweitig frustrierte Mitarbeiter kümmern. Wer sagt uns denn, dass der Anschlag kein Insider Job gewesen ist? Bis wir die Phantome der Gruppe Gaia vernehmen können, müssen wir in alle Richtungen ermitteln, einverstanden?«

      Ohne die Antwort abzuwarten, ging sie zur Tür.

      »Auf geht‘s!«

      Er betrachtete unschlüssig den Becher mit der siedend heißen Brühe.

      »Lassen Sie den Kaffee stehen, Kollege. Sie werden ihn nicht vermissen. Zu viel Säure ist nicht gut für den übersäuerten Magen.«

      Hinz versteckte sich wieder in der dunklen Ecke, wo seine Gesichtszüge weniger deutlich zu erkennen waren.

      »Hinz, Alibis!«, brüllte Rappold ihn an.

      »Ich fahre mit meinem Wagen«, sagte sie.

      ÜBERLINGEN

      Ingenieur Niklas Kolbe empfing sie im Bürocontainer. Er wischte sich mit einem öligen Putzlappen Striemen ins Gesicht und rieb die Hände am schmutzigen Tuch, bevor er sie begrüßte. Sollte heißen: Hier wird hart gearbeitet, keine Zeit für Fragen. Sie überließ Rappold die Einleitung.

      »Wieso zum Teufel wollen Sie die Leute zum zweiten Mal befragen?«, fuhr ihn Kolbe an. »Sie halten uns von der Arbeit ab. Bei uns kostet jede Minute bares Geld, Mann!«

      Sollte wiederum heißen: Bei uns wird gearbeitet, nicht wie bei der Polizei. Rappold hatte den Ingenieur wohl bisher mit Samthandschuhen angefasst. Kolbe schien jedenfalls keine besonders hohe Meinung vom Kommissar aus Konstanz zu haben, was sie durchaus nachvollziehen konnte. Diesmal sollte er sich täuschen. Mit der Domina im Rücken lief Rappold zur Hochform auf.

      »Herr Kolbe, wir sind nicht hier, um Zeit zu vergeuden. Ich kann gerne die gesamte Belegschaft aufs Präsidium vorladen, wenn Ihnen das lieber ist. Also?«

      Kolbe traute seinen Ohren nicht. Sein Blick wanderte unschlüssig zwischen dem Kommissar, ihr und Hinz, der hinter ihrem Rücken Deckung suchte, hin und her.

      »Was wollen Sie?«, fragte er schließlich mit vor Ärger bebender Stimme.

      »Wir werden sämtliche Mitarbeiter zur Tatnacht befragen, auch die, die jetzt in ihren Wohnwagen schlafen. Dazu brauchen wir eine vollständige Liste des Personals inklusive aller Zulieferer. Wir befragen jeden, der im letzten halben Jahr Zutritt zur Versuchsanlage hatte.«

      Kolbe lachte hysterisch auf. »Sie sind verrückt!«

      »Halten Sie sich zurück, sonst sind Sie wegen Beamtenbeleidigung dran. Wir machen nur unsere Arbeit und zwar gründlich. Es sollte auch Ihnen einleuchten, dass wir alle Alibis überprüfen müssen.«

      Ihre Worte. Sie musste sich zurückhalten, um Rappold nicht auf die Schulter zu klopfen.

      »Während die Kollegen Ihre Leute befragen, möchte ich mich auf dem Areal umsehen«, sagte sie.

      Er warf ihr giftige Blicke zu und fragte mit kaum verhohlener Wut:

      »Wozu soll das gut sein?«

      »Wenn Sie gestatten, stelle ich die Fragen.« Mit einer einladenden Handbewegung wies sie nach draußen. »Bitte sehr, Herr Kolbe, nach Ihnen.«

      Er rührte sich nicht.

      »Je schneller ich mir einen Überblick über die Anlage und Abläufe verschafft habe, desto früher sind Sie mich wieder los«, fügte sie hinzu.

      Dieses Argument leuchtete ihm ein. Er gab ihr einen Schutzhelm und trat ins Freie.

      »Sie wissen, was wir hier tun?«

      »Ganz grob«, antwortete sie und spielte die Naive. »Sie suchen im Tonschiefer nach Gas. Erklären Sie es mir.«

      »Da haben wir schon das erste Missverständnis. Die Gesteinsschicht, in der das Erdgas, vor allem Methan, gebunden ist, hat nichts mit Schiefer zu tun. Es ist eine Schicht aus Tonstein. Die Bezeichnung Schiefergas ist Unsinn. Sie beruht auf einem Übersetzungsfehler.«

      »Ach so, und dieser Tonstein befindet sich hier unter unseren Füßen?«

      Er nahm ihr die wissbegierige Dilettantin ohne Weiteres ab. Die Kommissarin rückte in den Hintergrund. Es reichte gar für ein verständnisvolles Lächeln, als er antwortete:

      »Nicht direkt an dieser Stelle. Wir befinden uns am Rand des Vorkommens. Die Bohrung führt senkrecht unter die undurchlässige Schicht, über der das Grundwasser liegt. Von dort bohren wir horizontal weiter in die Tonschicht hinein.«

      »Horizontal?«, unterbrach sie mit großen Augen. »Wie geht denn das?«

      »Es ist im Grunde eine alte Technik, die wir heute natürlich mittels Sensoren und Computern wesentlich besser beherrschen. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen die Auswertungen im Überwachungswagen.«

      »Danke, später vielleicht.«

      Ihr Interesse galt im Augenblick eher dem Inhalt der vielen Tanks auf dem Gelände. Sie standen bei den Bohrtürmen.

      »Also, hier führt die Druckleitung hinunter und stößt dann horizontal in die Tonschicht vor. Das Gestein bekommt durch den Druck Risse. So gibt es das eingelagerte Gas frei, das entlang der Bohrung aufgefangen und an die Oberfläche geleitet wird. Bei den Förderköpfen dort drüben fangen wir es auf und leiten es in die Vorratstanks. Das ist nur eine Versuchsanlage mit Testbohrungen. Deshalb sind wir natürlich nicht an ein Pipelinenetz angeschlossen.«

      »Und das funktioniert einfach mit Wasser?«