Traumafolge(störung) DISsoziation. Zora Kauz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Zora Kauz
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783969405482
Скачать книгу
fehlen, um auf schlaue Säugetier-Art damit umgehen und somit das Erleben integrieren zu können. Die Auswirkungen von vorgeburtlichen Traumata und frühkindlichen Belastungen, die auch durch problematische oder kontroverse Bindungserfahrungen entstehen, sind schon länger bekannt, allerdings nur selten offensichtlich, da zu solch frühen Erlebnissen schließlich auch ohne dissoziative Amnesie oft die bewussten Erinnerungen fehlen. Solche Erfahrungen manifestieren sich im Erwachsenenalter aber nicht unbedingt in Traumafolgestörungen, sondern sind oft auch Ursache von anderen psychischen oder körperlichen Krankheiten wie allgemeine Immunschwächen. Somit können auch Vernachlässigung oder Beziehungsabbrüche, besonders von wichtigen Bindungspersonen im Kindesalter, welche nicht direkt lebensbedrohlich sind, durch die entstehende Todesangst traumatisch werden. Als deutliches Beispiel das Bild eines Säuglings, welcher vor Angst/Unruhe oder Hunger schreit und nicht erhört wird, wodurch eine lebensgefährliche Situation für das Wesen entsteht, denn ein Säugling hat keine andere Möglichkeit, sich Hilfe zu holen, Nahrung zu erlangen, und auch keine Fähigkeiten, um sich selbst zu beruhigen, Zustände allein zu regulieren. Wenn in dieser Stresssituation keine Beruhigung oder Befriedigung des Bedürfnisses erfolgt, ist der Säugling der Situation ausgeliefert und kann sie lediglich überstehen (oder auch nicht, s. unten), denn er hat keine andere Chance, um den Stress zu bewältigen. Genauso kann Vernachlässigung durch Menschen, die eigentlich die Verantwortung für ein Kind tragen und in anderen Momenten doch Zuneigung zeigen, das Verständnis und die Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten.

       „Ein Trauma ist ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, welches mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis bewirkt.“ (Fischer und Riedesser)

      Das ist nun ein bisschen verrückt von unserer Alltagssprache, beschreibt aber den grundlegenden Faktor des schutzlosen Ausgeliefertseins und die Todesangst, um die es beim Trauma geht, da unser Verstand und Rationalität einfach nichts mehr zu melden haben. Das „Diskrepanzerlebnis“ besagt, dass wir keine Möglichkeiten mehr haben, die Gefahr im Säugetier-Modus bewältigen zu können.

      Was mich immer wieder verunsichert hat, ist diese „Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis“. Fast überall, wo Traumata besprochen oder beschrieben werden, wird diese „Erschütterung“ genannt. Das verunsicherte mich, weil ich nicht erschüttert war. Ich kann mich an kein Ereignis erinnern, dass zu einer Erschütterung von meinem Selbst- oder Weltbild geführt hat, und ich glaube, dass das nicht nur an den Amnesien liegt. Es ist vielmehr so, dass, wenn wir chronisch (und früh) traumatische Erfahrungen machen müssen, sich unser Selbst- und Weltverständnis an diese Erschütterungen anpasst, damit wir die wiederkehrende Gefahr überstehen können und nicht jedes Mal wieder erschüttert werden. Das bedeutet, dass das, was andere erschüttert, unsere Richtigkeit, unsere Realität wird, die in sich dann wieder logisch ist. Auch die Frage von therapeutischer Seite, ob „ich“ noch wüsste, wie es vorher war (damals wusste noch niemand, dass sehr viel mehr Lücken in unserer Biografie sind), konnte ich nicht beantworten. Es gibt kein Vorher und kein Nachher, wenn da für manche nichts war und dieses Selbst- und Weltverständnis schon immer so besteht, denn da, wo ich angefangen habe, haben wir schon so funktioniert. Das, was mein Selbst- und Weltbild erschüttert, ist die Therapie. Denn sie greift genau dieses Schema an, in dem all die Gewalt richtig ist.

      Ähnlich verunsichernd wie die „Erschütterung“ war es mit der Fachbeschreibung von Flashbacks. Dies sei „ein filmhaftes Wiedererleben traumatischer Situationen“ oder ähnliches. Hatte ich aber nie. Das war für mich auch der Beweis, nicht traumatisiert sein zu können, weil Flashbacks anfangs für mich lediglich körperlich auftraten; es waren nur Schmerzen und Übelkeit, später auch Gerüche und Geräusche, aber das war ja alles echt für mich. Ich konnte all das nicht als Flashback einordnen (noch heute sind bestimmte Empfindungen eine große Herausforderung oder es ist mir in manchen Situationen auch gar nicht möglich zu differenzieren, ob etwas tatsächlich Hier-und-Jetzt einen Reizauslöser hat oder „alt“ ist), weil ich dachte, „echte“ Flashbacks sind so hundertprozentig mit Allem zurück, und Bildern und Szenen und all so was. Ist halt nicht unbedingt so. Und es ist auch kein Wieder, wenn es doch für uns neu ist. Inzwischen gibt es Bilder, aber das sind mehr Schnipsel, keine Szenen. Mal sind bestimmte Schmerzen da, ein anderes Mal ein Geruch, ob oder was und wie das zusammengehört, müssen wir noch herausfinden. Aber das scheinbare Fehlen von so „richtig echten“ Flaschbacks war eine von mehreren Theorien, die ich ordentlich ausarbeitete, um zu „beweisen“, dass das mit dem Trauma eigentlich nicht sein kann. Unsere Therapeutin hat meist einige Belege widerlegt. Aber ja, Vermeidung und Verleugnung können sehr zeit- und energieaufwändige Beschäftigungen sein. In der Therapie wird unsere Schuld, ebenso wie die Selbstzerstörung, infrage gestellt, jedoch nicht, ohne ihre Wichtigkeit zu Zeiten der Gewalt anzuerkennen. Die Scham wird eingeladen, ausgehalten und ihre Überzeugungen hinterfragt, unsere Daseinsberechtigung und unser Wert als Mensch wird einfach so als Fakt dargestellt. Das ist Erschütterung! Immer wieder. Denn was über lange Zeit und Wiederholung ausgebildet, gelernt oder auch antrainiert wurde, braucht auch Zeit und Wiederholung, um umgelernt zu werden.

       1.2 Unser Nervensystem im Trauma

      Die erste Gefahren-Abwehr-Stufe, die bei Bedrohung betreten wird, ist fightflight (kämpfen oder flüchten), für das wir alle ausgelegt sind. Das ist ein aktives Tun, welches aber ohne Überlegung, sondern automatisiert im Bruchteil einer Sekunde von sich geht und uns aus einer Situation retten kann. Allerdings können wir, wenn wir zwar aus Geschwindigkeitsersparnis die Rationalität umgehen, auch umgekehrt nicht überlegt handeln, sondern nur impulsiv. Dabei stellt unser Körper uns für den Überlebenskampf oder eben die Flucht eine enorme Energie zur Verfügung. Dann kann es sein, dass z. B. ein Unfall, dessen Folgen ein Mensch durch die „Alarm-Energie“ und reflexartiges Handeln verhindern kann, immer noch sehr belastend ist, aber da daraus gelernt wurde, wie und vor allem dass solch eine Situation gut überstanden werden kann, schenkt das Gehirn sogar ein Hochgefühl durch körpereigene Glücksgefühle. Essentiell ist hierbei, dass diese Reaktion stattfinden konnte und der Körper die restliche Energie wieder „runter fahren“ darf, nachdem er sie sinnvoll gebraucht hat. Dass also nicht im Alarmzustand haften geblieben wird. Wenn wir aber mit aktivem Tun nichts ändern können, wir also hilflos sind, um dem Tod zu entgehen, dann kommt es zu dem weiteren Überlebensreflex bzw. dem nächsten Mechanismus in der Überlebens-Kettenreaktion: Freeze and Fragment (einfrieren und fragmentieren): Wir erstarren im Schockzustand, sind handlungsunfähig und gelähmt, wobei wir innerlich zunächst noch in einem sehr hohen Erregungszustand sind, da alle Energie für einen möglichen Kampf oder die Flucht bereits bereitgestellt wurde. Wir sind also wie erfroren, meist auch tatsächlich kalt, atmen sehr flach, aber schnell, sind innerlich für alles bereit. Die durch die Todesangst übermäßig produzierten Stresshormone blockieren die normale Integration dessen, was wir wahrnehmen. Wir sind also nicht bei vollem Bewusstsein, wenn wir Bewusstsein als integrativen Prozess betrachten. Die Informationen, die sonst eine beschreibbare Erinnerung bilden, zerbrechen in Einzelteile und bleiben ohne Beschriftung im limbischen System als akute Empfindung hängen, weil, vereinfacht geschrieben, der Austausch zwischen Amygdala und Hippocampus blockiert ist. So erreichen die einzelnen Wahrnehmungsaspekte keine passenden Orte in der Großhirnrinde, wo sie als Erinnerung erkennbar wären. Wenn die Bedrohung weiter da ist, schaltet sich der Parasympathikus zunehmend ein und wir fallen gänzlich in die Selbstaufgabe und Unterwerfung – submit. Wir werden unfähig, uns zu bewegen, weil die Angst uns lähmt, wobei manche ohnmächtig werden. Es gibt diesen Punkt, da schaltet der Körper ab. Dann ist alles tot. Dann ist da nur noch Kälte. Sonst nichts. Ich kann nichts mehr spüren, aber auch nichts bewegen. Abgesehen vom Ausgeliefertsein, durch die Lähmung, ist es aber kein schlimmer Zustand. Dieses Erleben ist für mich etwas, das in der standardisierten Aufreihung von „fight-flight-freeze“ vergessen wird. Darum schreiben wir auch immer von fight-flight-freeze-submit (siehe Grafik unten). Weil es etwas gibt, dass viel kälter ist, als das freeze. Es mag von außen sehr ähnlich aussehen; wir sind unbewegt und eher kalt und ggf. mit starrendem Blick. Aber das Erleben ist ein gänzlich anderes.