Weil mit der Geschichte vom Johann Schwarz und vom Benno Sailler auch meine anfängt, habe ich seine Erzählung auch ganz an den Anfang gestellt.
Das Viechfieber
Bericht von Johann Schwarz (12), aus Oberpfaffing. Redigiert und umgeschrieben von Joseph Kiener
An das genaue Datum kann ich mich nicht mehr erinnern. Aber es war im Frühjahr und es muss ein Sonntag gewesen sein. Weil die Felder schon gemacht waren und ich im Stall fast nichts zu tun hatte. Nur einstreuen und die Hühner füttern.
Ich bin dann runter ins Dorf. Die Kirchenglocken haben schon geläutet. Ich habe mich zu den anderen vor das Kirchentor gestellt, mich aber davongeschlichen, als alle rein gegangen sind. Das mache ich fast immer so. Sollen doch die anderen in die Kirche gehen. Das merkt sowieso keiner, wenn einer fehlt.
Es ist schön ganz alleine im Dorf. Wenn kein Mensch auf der Straße ist. Nur die paar Viecher sind zu hören und ganz dumpf das Gesinge aus der Kirche.
Ich gehe normalerweise immer an die Pfaffl runter, setze mich auf die Brücke, schaue mir die Fische an und schmeiße Steine ins Wasser. Von da aus kann ich dann hören, wenn in der Kirche Wandlung ist, und kann langsam wieder rauf gehen. Oder ich sitze unter der Pfafflbrücke und lese die Schmierereien auf den Steinen und den Brückenpfeilern. »Alle Unterpfaffinger sind Zipfelklatscher« oder »Erika hat Riesenduttn« steht da. Und ab und zu finde ich auch eine neue Schmiererei.
An dem Tag aber wollte ich statt an die Pfaffl lieber zum Wirt, weil ich geglaubt habe, dass ich da noch eine Semmel abstauben kann. Oder ein Radl Wurst. Oder einen kalten Knödel. Oder manchmal, wenn die gerade ein neues Fass anzapfen, steht da noch ein Rest des Probierseidels da. Ehrlich gesagt, habe ich auf das Bier spekuliert.
Es war schon recht warm für kurz nach Ostern und die Fenster vom Wirt waren auf. Das weiß ich noch, weil ich so einen Durst hatte. Ich habe mich vor dem Fenster auf der Rückseite vom Haus rumgedrückt und wollte schon reinklettern und nach dem Bier schauen. Aber dann habe ich die Stimmen gehört. Das waren der Gendarm Voigt und noch ein Mann, den ich nicht gekannt habe. Zumindest habe ich seine Stimme nicht erkannt. Die haben sich unterhalten. So halblaut. Ich wollte mich wieder davon machen, habe aber Angst gehabt, dass die mich durch die Türe sehen können, wenn ich vorne rum gehe. Also habe ich das sozusagen mit anhören müssen.
Zuerst habe ich den Gendarm gehört: »Ihr müsst den jetzt mitnehmen in die Stadt. Wir können hier nichts mit dem anfangen.«
Dann eine andere Stimme, die ich nicht erkannt habe: »Bis nächste Woche wirst du ihn schon noch behalten müssen.«
Dann wieder der Gendarm: »Der isst fast nichts und trinkt nur Wasser. Nicht dass mir der verreckt! Am Anfang hat er noch geschrien. Ich habe geglaubt, dass der mir das ganze Dorf zusammenbrüllt. Verstanden habe ich aber nichts. Ich habe dann so schnell wie möglich in die Stadt geschickt.« Der Gendarm Voigt hatte einen Heidenrespekt vor dem anderen Mann. Das habe ich in seiner Stimme gehört.
»Aber jetzt ist er ja still, der Gefangene.« Die andere Stimme hat ganz ruhig und gelassen geklungen. Das Gegenteil vom Voigt.
Der Gendarm wieder: »Ich kann nicht garantieren, dass der Saillerbenno, der Bub, sein Maul hält.«
Dann wieder die andere Stimme: »Die Woche schick ich einen Wagen und der holt den Gefangenen dann ab. Und das mit dem Saillerbuben regeln wir auch. Zur Not geht der ab nach München! Bevor wir da Probleme kriegen.«
Der Mann mit der fremden Stimme war jetzt etwas gereizt. Wegen dem Voigt und seiner Angst. Aber das mit München war ein Schock für den Schandi. Er hat gleich angefangen, ganz beruhigend auf den anderen einzureden.
»Vielleicht kann sich der Herr Oberamtsrat den erst noch einmal ansehen, wenn er bei euch in Rieding ist. Wir müssen den Buben ja nicht gleich nach München schicken. Lieber abwarten.«
Ich weiß das alles so genau, weil der Benno mein Freund ist und ich mich eh schon gewundert habe, wo der seit ein paar Tagen war. Und als die beiden Herrschaften über ihn gesprochen haben, habe ich gehofft, dass ich so vielleicht herausfinden kann, wo der Benno steckt. Und als die gesagt haben, sie würden ihn nach München schicken, ist mir ganz schlecht geworden. Was konnte der Benno angestellt haben, dass die den nach München schicken wollten. Da muss der ja fast einen umgebracht haben. Wenn die den sogar nach München schicken wollten. Habe ich damals gedacht. Aber der Benno bringt keinen um. Ich kenne nur den Dobler, den die nach München geschickt haben. Aber auch der hat keinen umgebracht. Der war nur so gut in der Schule, dass die gesagt haben, der lernt jetzt Latein und wird Pfarrer oder Amtmann oder sowas. Aber wenn einer wie wir nach München muss, heißt das nichts Gutes.
Der Gendarm dann: »Die Mutter vom Benno, die Saillerin, fragt auch schon, wie lange ihr Bub noch beim Doktor bleiben muss. Gar nicht auszudenken, was die Saillerburgl im Dorf rumerzählt, wenn ihr Bub plötzlich ganz weg ist. Wir müssen schon aufpassen.«
Der fremde Mann: »Beruhig dich, Voigt. Der Doktor hat dem Benno einen Saft gegeben. Der schläft jetzt seit Freitag und danach weiß er eh nichts mehr. Sag der Saillerburgl halt, dass der Bub ein Fieber hat und sich auskurieren muss und wir sicher sein müssen, dass sich das Fieber nicht auf die Viecher ausbreitet. So sind die Bauern doch. Wenns um ihre Viecher geht, machen die alles, was wir ihnen anschaffen, oder?«
Dann haben der Gendarm und der andere Mann dreckig gelacht. Wegen der Idee von dem Fremden. Und ich glaube, dass die dem Wirt nicht gesagt haben, dass sie seinen Schnaps getrunken haben.
Ich habe versucht, durch das Fenster zu schauen, ob ich vorbei kann, denn oben haben die schon zur Wandlung geläutet und die Mutter hätte mir schön eine mitgegeben, wenn ich nicht in der Kirche gewesen wäre. Als ich also reingelurt habe, waren die beiden Männer schon am Gehen und ich habe nur den Gendarmen an seinem Tschako und seiner Uniform erkannt. Der andere Mann war von hinten zu sehen und hatte einen feinen Gehrock an. Und einen steifen Hut. So einen Hut hat niemand in Oberpfaffing. Nicht einmal in Rieding. Ich kenne solche Hüte nur aus der Stadt. Bei der Firmung von meinem Vetter Ludwig habe ich so einen schon einmal gesehen.
Am Abend habe ich den Vater gefragt, ob er etwas von einem Viechfieber gehört hat. Aber er nicht und auch der Knecht nicht. Die Mutter hat sich natürlich gleich Sorgen gemacht und gesagt, dass man besser den Pfarrer holen muss, damit er den Stall aussegnet. Und sie hat sofort ein Perchtllicht ins Fenster gestellt. Vorsichtshalber, hat sie gesagt.
In der Nacht ist mein Bruder zu mir ins Bett gekommen, weil er es mit der Angst bekommen hat. Wahrscheinlich hat ihn die ganze Geschichte vom Viechfieber beschäftigt. Er hat mich gefragt, ob ich auch Angst vor dem Teufel habe. Weil er gehört hat, wie die Mädchen aus der Schule gesagt haben, dass ein roter Teufel erschienen ist. Und dass er deshalb viel mehr Angst vor dem Teufel hat als vor dem Viechfieber. Gegen den Teufel sind so ein paar Perchtln mit ihrem Viechfieber gar nichts.
Aber ich bin der große Bruder und natürlich hatte ich keine Angst vor dem Teufel. Also habe ich ihm gesagt, dass alle Mädchen Teufelinnen sind und da hat er gelacht. Und dann haben wir beide auch schlafen können. Jeder in seinem Bett.
Am Tag darauf war Schule und der Benno war immer noch nicht da. Ich habe in der großen Pause die Traublingergeschwister gefragt, ob sie wissen, was mit dem Benno ist. Der Hof vom Traublinger ist direkt neben dem Saillerhof vom Benno. Der Traublinger hat gesagt, dass der Benno beim Doktor ist, weil er das Viechfieber hat und der Saillerbauer Angst hat, dass das Fieber auf seine Kühe übergeht. Deshalb lässt er ihn noch ein paar Tage beim Doktor. Aber der Traublingervater hat keine Angst gehabt.
Als ich den Benno zum ersten Mal wieder gesehen habe, war das ein paar Tage später. Er war blass und ganz zittrig. Aber in der Pause hat er einen kalten Semmelknödel gegessen und schon wieder gelacht und wollte mit uns und den Kleinen Fangen spielen. Aber die anderen haben gesagt,