Dürnsteiner Puppentanz. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990013687
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war wohl übertrieben, aber sie bildete sich ein, die Blumen schon mehr als hundert Meter vom ersten Blumenstand entfernt riechen zu können.

      Er nickte in Richtung der dreifaltigen Pestsäule, deren goldener Strahlenkranz an der Spitze im Licht der tiefstehenden Sonne funkelte. »So ein Strahlenkranz würde dir auch gebühren. Allerdings stammst du nicht aus der Barockzeit. Gott sei Dank.«

      »Wenn du weiter so Süßholz raspelst, trage ich mir meine Blumen allein zum Auto.« Sie gab ihm einen Knuff auf den Oberarm.

      Der Markt war noch immer voll mit Besuchern. Um den steinernen Mittelpunkt des Platzes herum war das Gedränge groß.

      »Klaus wünscht sich besonders königliche Rosen«, raunte sie ihm mit einem Lächeln zu. Mit dieser Aussage wollte sie ihn amüsieren, allerdings verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck einmal mehr. War zwischen Klaus und Roman etwas vorgefallen, von dem sie nichts wusste? Sollte sie ihn darauf ansprechen? Nein. Klaus und Roman waren erwachsen und durchaus in der Lage, ihre Probleme selbst zu klären. Sie schlenderten von Stand zu Stand. Roman lächelte schon wieder. Konnte also nicht so schlimm sein.

      Mehrere Blumenverkäuferinnen grüßten sie freundlich. Von ihren vielen früheren Einkäufen war sie hier bekannt. Sie erntete auch einige überraschte Blicke. Zweifelsohne deshalb, weil sie zum ersten Mal in Begleitung eines Mannes hier war.

      Eine sagte sogar: »Sie sollten Ihren Mann öfter mitbringen, so fesch, wie er ist.«

      Sie hoffte, nicht verlegen zu werden, und erwiderte mit einem Lachen, das ihr eine Spur zu forciert erschien: »Das ist aber gar nicht mein Mann, sondern ein guter Freund von ihm.«

      Irrte sie sich, oder sah sie da ein verschwörerisches Zwinkern der Blumenverkäuferin? Schnell wandte sie sich ganz den Blumen zu. Wäre es nach ihr gegangen, hätte sie für den Tischschmuck weiße und gelbe Narzissen mit ein paar violetten und roten Tulpen genommen. Märzenbecher wären auch schön gewesen. Oder gleich Topfpflanzen? Es gab Krokusse in allen Farben. Sie beugte sich zu einem prächtigen Exemplar. Der Geruch der feuchten Erde war stärker als der der Blüten. Sie überlegte. Am schönsten wäre es doch, jeden Tisch mit einem ganz eigenen Blumenschmuck auszustatten. Ja, warum eigentlich nicht? Klaus würde seine königlichen Rosen bekommen. Aber er hatte nicht gesagt, dass er nur Rosen wollte. Sie schlenderte mit Roman weiter, wollte zunächst nur ihre Augen und auch ihre Nase verwöhnen. Dabei würde sie entscheiden, wo sie welche Blumen kaufen würde. Natürlich würde sie für den morgigen Festtag vor allem heimische Frühlingsblumen erstehen. Die Rosen waren Mitte April bestimmt Importware. Egal. Sie kaufte dreißig Stück mit besonders langen Stielen und prächtigen dunkelroten Blüten. Die würden Klaus sicher gefallen. Ein paar lachsfarbene, die noch mehr nach ihrem Geschmack waren, mussten auch sein. Dann ging sie mit Roman ein zweites Mal über den Markt und verteilte ihre weiteren Aufträge. Sie achtete darauf, dass sie an jedem Stand in etwa gleich viel kaufte, weil sie keine der Verkäuferinnen enttäuschen wollte.

      Beim Stand mit besonders schönen Narzissen stand ein halbwüchsiges Mädchen vor ihr, das zwei Töpfe mit weißen Krokussen kaufen wollte, aber eineinhalb Euro zu wenig Geld dabeihatte. Als sie die Enttäuschung im Gesicht der Kleinen sah, bedeutete sie der Marktfrau mit einem leichten Wink, das fehlende Geld ihr in Rechnung zu stellen. Der freudige Blick und der dankbare Knicks des Mädchens waren die eineinhalb Euro mehr als wert.

      »Das macht dir so schnell niemand nach. Toll«, flüsterte Roman ihr ins Ohr.

      Sie drehte sich zu ihm um. Was für ein Unterschied zu Klaus. Der hätte sie in dieser Situation wohl wie üblich abfällig als Mutter Teresa von Spitz bezeichnet.

      Bald waren Romans Arme schwer beladen mit Sträußen von Märzenbechern, Narzissen und Tulpen in allen Farben, gekrönt von den roten und lachsfarbenen Rosen. Sie ging mit ihm zum Auto. Während er die Blumen auf der Ladefläche ihres Autos ablegte, nahm sie eine gelbe Narzisse und steckte sie ihm in den Ausschnitt seines dunkelblauen T-Shirts.

      »Danke. Und bitte überlege es dir noch einmal wegen morgen.« Dann küsste sie ihn auf beide Wangen und stieg ein.

      Sie musste sich beeilen. In einer halben Stunde würde der Bürgermeister von Spitz kommen, um zu gratulieren. Diesen Wunsch hatte sie ihm nicht abschlagen wollen, obwohl sich Klaus schon vor der gestrigen Abfahrt aus Wien darüber beschwert hatte. Was sollte er mit einem kleinen Provinzpolitiker, den er nicht einmal kannte? Ihren Einwand, dass man auch den Bürgermeister eines kleinen Orts nicht ohne Not vor den Kopf stoßen sollte, ließ er mit einigem Murren letztlich gelten.

      Keine zwanzig Minuten später war sie wieder in Spitz. Beim Abstellen des Wagens hupte sie kurz, um ihre Rückkehr zu signalisieren. Sie tat es auch in der Hoffnung, ihren Mann dazu zu bewegen, ihr beim Tragen der Blumen zu helfen. In dieser Hoffnung sah sie sich bald enttäuscht. Aber sein demonstratives Desinteresse wollte sie nicht auch noch unterstützen. Ohne ein einziges Blumenbukett in die Hand zu nehmen, stieg sie aus, um ihn zu holen. Eigenartig. Die Tür war versperrt. Konnte nur bedeuten, dass er joggen war. Was für ein Affront dem Gast gegenüber, der nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Wenn Klaus nicht in den nächsten Minuten kam, würde für eine Dusche gar keine Zeit mehr bleiben.

      Einigermaßen verärgert trug sie die Blumen ins Haus. Danach machte sie sich frisch. Kurz überlegte sie, ob sie sich umziehen sollte, entschied sich dann aber dagegen, nachdem ihr eine kurze Kontrolle im Spiegel zeigte, dass ihre Dirndlbluse weder vom Kaffee noch von der Cremeschnitte einen sichtbaren Schaden davongetragen hatte.

      Da hörte sie auch schon die Geräusche eines einparkenden Autos. Konnte nur der Bürgermeister sein. Sieben Minuten zu früh. War ihr schon öfter aufgefallen, dass die Leute auf dem Land – ganz im Unterschied zu Wien – immer eher zu früh als zu spät dran waren. Sie wollte den Bürgermeister dennoch nicht warten lassen und ging ihm entgegen. Als er aus seinem Auto stieg, sah sie, dass er eine Flasche Wein mitgebracht hatte.

      »Ich muss meinen Mann noch für ein paar Minuten entschuldigen. Er wird aber gleich da sein.«

      »Soll ich solange im Auto warten?«

      »Kommt doch überhaupt nicht in Frage. Bitte, kommen Sie weiter.«

      Kaum zwei Minuten später tauchte Klaus auf. Pünktlich. Allerdings in dem dunkelblauen Trainingsanzug von Adidas, den er sich im Winter gekauft hatte. Total verschwitzt und ausgepumpt. Völlig unmöglich. Sie würde ihm später ernsthaft ins Gewissen reden müssen. Breitbeinig stellte er sich vor den Bürgermeister hin, ohne ihm die Hand zum Gruß entgegenzustrecken. »Ach, Sie sind offensichtlich der angekündigte Bürgermeister. Soll ich mich noch umziehen oder bringen wir die Zeremonie gleich hinter uns? Würde uns beiden Zeit sparen.«

      Freitag, 16. April 16 Uhr 50

      Der Tag hatte für Josefa Machherndl ganz mies begonnen. Eigentlich schon die Nacht davor. Offenbar half nicht einmal mehr ihr heißgeliebter Marillenschnaps, mit dem sie sonst jeden Ärger zuverlässig hinunterspülen konnte. Sechs Stamperl zwischen neun und elf Uhr abends und keines davon hatte auch nur eine Spur von Trost geboten. Sie legte die Kuppe ihres linken Zeigefingers ganz vorsichtig auf die grau-schwarze Warze an ihrem Kinn, die heute eher eine grau-rote Tönung hatte. Wegen des getrockneten Bluts. Wieso musste sie auch nach so einer Nacht auf die Idee kommen, die beiden Haare zu kürzen, die aus der Warze herauswuchsen? Hätte wohl auch noch bis morgen Zeit gehabt. An diesem katastrophalen Fehl-Schnitt mit dem Rasiermesser, das zu allem Unglück erst vor einer Woche von einem Messerschmied in Krems geschärft worden war, konnte nur diese vermaledeite Maria Magdalena schuld sein. Als angebliche Heilige geradezu eine Provokation für alle treuen Dienerinnen der Kirche, die sich ihr ganzes Leben lang bemühten, den Versuchungen des Teufels zu widerstehen. In Josefas Fall selbstverständlich erfolgreich.

      In aller Herrgotts Früh war sie schon mit dem alten Fahrrad von ihrem Haus in Oberloiben zur Stiftskirche gefahren. Auf der Fahrt hatte sie nicht einmal einen kurzen Blick auf die Marillenbäume geworfen, die links und rechts der alten Wachaustraße blühten. Denn auf dieser Fahrt war ihr, der pensionierten Dürnsteiner Gemeindesekretärin, klar geworden, dass sie unbedingt etwas unternehmen musste. Kneifen war ja so gar nicht ihre Art. Geradezu eine Frechheit, was sich diese deutschen Fernsehsender