Dürnsteiner Puppentanz. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990013687
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bei den Touristen beliebter. Aber an Schönheit konnten es die Plätze in Stein locker mit denen in Krems aufnehmen.

      Kurz vor der Mauterner Brücke wurde er aus seinen Gedanken gerissen.

      Der Steuermann rief ihm zu: »Da schwimmt schon wieder eine Vogelscheuche! Backbord.«

      »Du meinst eine Schaufensterpuppe«, berichtigte er. Gab es entlang der Donau jemanden, der sich einen Spaß daraus machte, mannsgroße Puppen ins Wasser zu schmeißen? Er blickte hinunter auf die Wellen. Dieser erste Blick machte ihn stutzig. Schnell griff er nach dem Fernglas, das hinter ihm an der Wand hing und verließ hastig seinen Steuerstand. Keine zehn Sekunden später war er sicher, dass diesmal keine Puppe in der Donau schwamm. Noch an der Reling stehend nahm er sein Handy aus der Tasche und wählte den Polizeinotruf.

      Sonntag, 18. April 8 Uhr 55

      »Gehet hin in Frieden!«

      »Dank sei Gott dem Herrn!« Josefa Machherndl antwortete so laut, dass es in der ganzen Kirche zu hören sein musste. Trotz dieser Inbrunst musste sie sich eingestehen, dass sie in der heutigen Messe nicht bei der Sache gewesen war. Auch über deren Ende war sie froh. Ihr war klar, dass sie damit eine Sünde beging. Am kommenden Donnerstag, ihrem wöchentlichen Beichttag, würde sie dafür die Absolution erbitten müssen. So unauffällig wie möglich befühlte sie den Schorf auf ihren beiden Warzen. Noch zu früh, um ihn schon herunterzukratzen. Sie blieb noch in der Bank sitzen, wartete darauf, dass die anderen Messbesucher die Kirche verließen. Gedränge am Ausgang vom Haus Gottes konnte sie nicht leiden.

      Ihre langjährige Sitznachbarin erhob sich und nickte ihr zu. Josefa verabschiedete sie mit einem huldvollen und, wie sie innerlich hoffte, durchaus nachsichtigen Lächeln. Wie immer hatte die Gute die Messlieder mit einer Hingabe gesungen, die in einem krassen Gegensatz zu ihrer Fähigkeit stand, die richtigen Töne zu treffen. Josefa hatte sie deswegen auch schon mehr als ein dutzendmal angesprochen und ihr dringend empfohlen, entweder nicht mitzusingen oder sich in eine der hinteren Bankreihen, die bei der Frühmesse ohnehin alle leer waren, zu bequemen. Aber da hätte sie auch gegen eine Wand reden können. Die Sängerin war Gemeinderätin in Dürnstein. Aber, dem Herrn sei Dank, keine schwarze. Die fehlenden Sangeskünste waren für Josefa Machherndl ein weiterer Beweis für die bemitleidenswert dünne Personaldecke der Roten. Sie ermahnte sich aber immer, nicht zu streng zu sein. Wenigstens ging die Frau in die Kirche, was bei dieser Gottesleugner-Partei ein Wunder war. Ihr Religionslehrer hatte den Schülern seinerzeit erzählt, dass die Evangelischen nur einen Stehplatz im Himmel bekommen würden. Die Sozialisten sicher ebenso. Aber auch nur dann, wenn sie regelmäßig in die Kirche gingen.

      Seit sie sich erinnern konnte, hatte sie immer die sonntägliche Frühmesse in Dürnstein besucht. Als Kind gemeinsam mit ihren Eltern. Damals hatte es ja einen guten Grund dafür gegeben. Weil man vor dem Empfang der heiligen Kommunion, was bei den Machherndls zum sonntäglichen Pflichtprogramm gehörte, nüchtern sein musste.

      Diese sonntägliche Routine hatte sie bis heute beibehalten. Sowohl die Frühmesse als auch die Nüchternheit. Obwohl es heutzutage erlaubt war, vor der Kommunion zu frühstücken. Die Menschen taten das ohne die geringsten Gewissensbisse. Ihrer Meinung nach war das einer der Gründe, warum es mit der Kirche bergab ging. »Ein Glaube ohne Selbstdisziplin ist nichts wert.« Das hatte ihr und ihren Mitschülern vor mehr als fünfzig Jahren ihr damaliger Religionslehrer immer wieder gesagt. Nicht nur gesagt hatte es der Herr Monsignore, sondern richtig eingebläut hatte er es ihnen. Wenn es sein musste, mit einer Ohrfeige. Je älter sie wurde, umso überzeugter war sie von der Richtigkeit seines Grundsatzes. Für seine strenge Hand würde sie ewig dankbar sein.

      In Erinnerung an den hochverehrten Herrn Monsignore hatte sie vor dem heutigen Kirchgang nicht nur auf ein Frühstück, sondern auch auf das morgendliche Gläschen Schnaps verzichtet. Den Gusto auf den Schnaps Sonntag Früh niederzuringen, fiel ihr immer schwerer. Aber Gott, der Herr, liebte eben seine Kinder nicht nur, er prüfte sie auch.

      Ihre heutige Unaufmerksamkeit in der Messe hatte allerdings nichts mit ihrem Gusto zu tun. Daran war einzig und allein das gestrige Telefonat mit der Chefin der Mordkommission schuld. Diese kurze Auseinandersetzung hatte ihr schon die Nacht versaut. Zum zweiten Mal hintereinander kaum Schlaf. Eine Schaufensterpuppe. Lächerlich. Ja, die Strompolizei hatte wohl zufällig eine Schaufensterpuppe in der Donau entdeckt. Aber deswegen die Suche abzubrechen, das war schon ein starkes Stück. Von Frau Lenhart hatte sie bis gestern recht viel gehalten. Wahrscheinlich stand Frau Lenhart unter dem unheilvollen Einfluss ihres Stellvertreters, diesem ungepflegten Ungetüm, den sie selbst längst und ohne falsche Sentimentalitäten in die Pension verabschiedet hätte. Naja, mit der Polizei ging es eben auch bergab. Zuerst die Kirche und jetzt auch die Polizei. Wo würde das alles noch hinführen? Irgendwie musste es doch möglich sein gegenzusteuern.

      Da nun fast alle Menschen die Kirche verlassen hatten, stand sie ebenfalls auf. Beim Ausgang der Kirche gab sie dem Pfarrer, der zu den weichen Vertretern seiner Zunft zählte und somit Teil des Problems war, nur schweigend die Hand. Sie war nicht in der Stimmung, gute Miene zu machen, mit ihm wie sonst üblich ein paar Worte zu wechseln und seine Predigt zu loben. Sie musste etwas anderes tun, etwas wirklich Effektives, um einem Sitzplatz im Himmel näher zu kommen. In der ersten Reihe selbstverständlich.

      Der barocke Innenhof des Stifts begann sich bereits mit staunenden Touristen zu füllen. Warum gingen diese Leute nicht in die Messe? Stattdessen warteten sie hier und konnten es offensichtlich kaum noch erwarten, die Kirche zu stürmen. Auch an Tagen, an denen ihre Stimmung besser war, hatte sie für diese Leute nur einen abfälligen Blick übrig. Sie war wirklich in schlechter Stimmung und wollte nur ganz schnell weg von hier. Zu ihrem Rad, das sie beim Rathaus vorschriftsmäßig an einen offiziellen Fahrradständer angekettet hatte.

      Als sie den steilen, mit jahrhundertealten Kopfsteinen gepflasterten Weg von der Kirche zum Rathaus hinaufging, kam ihr ein Mann entgegen. Den kannte sie doch. In Weißenkirchen zuhause, wenn sie sich richtig erinnerte. Der war doch Redakteur beim Niederösterreichischen Tagblatt. In diesem Augenblick durchfuhr sie die Eingebung wie ein Blitz. »Dank sei Gott dem Herrn!« entfuhr es ihr laut. Diese Begegnung konnte nur der Allmächtige höchstpersönlich eingefädelt haben. Die Polizei würde sich noch wundern.

      Sonntag, 18. April 9 Uhr 03

      Felix Frisch war in seinem Element. Eine Leiche. Und das an einem Sonntag, an dem es normalerweise für einen Strompolizisten noch weniger Höhepunkte gab als an Wochentagen. Wahrscheinlich, weil die Leute an einem Sonntag doch friedlicher waren. Nicht so eine lächerliche Schaufensterpuppe, sondern eine richtige Leiche. Obwohl er sie noch gar nicht gesehen hatte, war er sich seiner Sache sicher. Ein Kapitän eines Schiffs war ja quasi ein Kollege. Ein Mann in Uniform. Der würde eine Schaufensterpuppe sehr wohl von einem toten Menschen unterscheiden können. Gestern schon ein Glückstag für ihn und heute schon wieder. Er hoffte natürlich, dass es kein Selbstmord war. Einen Selbstmörder oder gar eine Selbstmörderin aus dem Strom fischen zu müssen, würde nur lästigen Bürokratiekram bedeuten. Ohne Aussicht darauf, weiter oben in der Polizeihierarchie positiv aufzufallen.

      Er bedauerte nur, dass er seinen heutigen Kollegen nicht wieder nach Hause schicken konnte. Einen Revierinspektor, der wohl noch lange auf seinen dritten Stern würde warten müssen. So faul und uninteressiert wie er war. Und ihm gegenüber ohne den geringsten Respekt. War ihm wohl den Rang neidig.

      Beim Einsteigen in das Polizeiboot beschloss er, dem Kollegen das Steuer zu überlassen. Wenn der das Boot steuern musste, würde es ihm schwererfallen, gleichzeitig die Donau abzusuchen. Denn die Leiche zu entdecken, war sein Vorrecht als Ranghöherer. Würde sich im Bericht sicher gut machen. Eine furchtbar zugerichtete und übel verstümmelte Leiche, entdeckt von Gruppeninspektor Felix Frisch. Hoffentlich eine Frauenleiche. Machte einfach mehr her, wie er mit seinen mehr als fünfundzwanzig Jahren Polizeierfahrung wusste. Vielleicht würde er damit sogar in die Zeitung kommen.

      Kaum hatten sein Kollege und er den Behörden-Hafen verlassen, brachte er auch schon sein Fernglas in Anschlag. Der Kapitän hatte die Leiche knapp vor der Mauterner Brücke gesichtet. Zeitpunkt des Anrufs: 8 Uhr 54. Vor zehn Minuten. Blitzschnell schätzte er die Strömungsgeschwindigkeit ein. Die Leiche musste schon