Dürnsteiner Puppentanz. Bernhard Görg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernhard Görg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783990013687
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alles andere als begeistert war. Hilfe im Haushalt war nie seine Sache gewesen. Daher hatte sie einen Koch und zwei junge Studentinnen aus Spitz engagiert. Die schienen sich über den in Aussicht gestellten Verdienst aufrichtig zu freuen.

      Der Koch war schon gestern Nachmittag zu einem Bauern nach Mühldorf gefahren, um sich von einem frisch geschlachteten Kalb die schönsten Stücke auszusuchen. Und von einem Rind, das schon seit einer Woche in der Kühlkammer des Bauern hing. Mit dem Auftrag an den Landwirt, das Fleisch bis heute vierzehn Uhr bei den Strassers abzuliefern. Hatte auch bestens geklappt.

      Seit einer guten Stunde füllte sich das Haus mit den angesagten zwanzig Gästen. Obwohl das Geburtstagsfest offiziell erst um achtzehn Uhr starten sollte. Gute Freunde nahmen es mit Beginnzeiten eben nicht so genau. Die meisten Gäste waren schon mehrmals bei ihnen zu Besuch gewesen und hatten keine Mühe gehabt, das Haus zu finden. Dennoch verbrachte sie viel Zeit am Telefon, um diejenigen herzulotsen, die sich in dem verwinkelten Ort verfuhren.

      Die, die über Nacht bleiben wollten, hatten schon in ihren Quartieren eingecheckt und sich auch vorsichtshalber den Schlüssel zu ihrer Unterkunft mitgenommen, wie sie es ihnen empfohlen hatte. Der Abend würde ja sehr lang werden und die Rezeptionen der meisten kleinen ländlichen Hotels waren nachts nicht durchgehend besetzt.

      Gott sei Dank hatte sie die Mehrheit der zu früh Kommenden überreden können, noch einen kleinen Ausflug zur Ruine Hinterhaus und zum Tausendeimerberg, dem bekanntesten Weinberg der ganzen Wachau, zu machen. Keine zehn Gehminuten vom Wochenendhaus der Strassers entfernt. Jetzt waren fast alle wieder zurück.

      Das Geburtstagskind war jedoch noch immer nicht da. Sie hatte Klaus gebeten, doch ausnahmsweise am Vormittag laufen zu gehen. Aber nein. Seit der Zeit ihres Kennenlernens wusste sie, dass Klaus erstens ein Sturkopf und zweitens wenig rücksichtsvoll war. Also Joggen am Nachmittag. Heute kurz nach sechzehn Uhr. Dieses Timing hatte er bestimmt absichtlich so gewählt, um sie nervös zu machen. Langweilig würde ihr mit ihm nie werden.

      Zum Glück kannten ihn seine Freunde gut genug, um sich von seiner Sturheit und seiner Abwesenheit nicht vor den Kopf stoßen zu lassen. Anders als der Bürgermeister von Spitz, der gestern sichtlich empört von dannen gezogen war.

      Normalerweise brauchte Klaus eine Stunde zum Joggen. Bis jetzt war er immer spätestens binnen eineinhalb Stunden zurück gewesen. Diese eineinhalb Stunden waren längst vorbei.

      An seine manchmal merkwürdige Art von Humor hatte sie sich im Lauf der Jahre gewöhnt. Wollte Klaus erst im letzten Moment auf der Bildfläche erscheinen? Ohne geduscht und sich umgezogen zu haben? Um ja sicherzugehen, dass alle Gäste bereits erschienen waren? Um das Gehabe eines Königs an den Tag zu legen? Oder wollte er sie und seine Gäste in Schrecken versetzen, um ihr und allen anderen klar zu machen, welch unbeschreiblichen Verlust für die Welt ein Verschwinden von Klaus Strasser bedeuten würde?

      Sie war froh, dass ihre Gäste ihre steigende Nervosität nicht zu bemerken schienen. Jedenfalls ließen sich alle die Horsd’oeuvres und den Champagner schmecken, den die beiden Studentinnen auf ihr Geheiß fleißig ausschenkten. »Typisch Klaus!«, war ein Kommentar, den sie immer wieder aufschnappte. Bis ihr ein Kollege ihres Mannes durch die offene Küchentür zurief: »Theresa! Jetzt übertreibt dein Mann aber schön langsam. Auf diese Art wird er nie Kammerpräsident.«

      Sie bemühte sich um ein Lächeln und konterte: »Wenn er deswegen nicht Präsident wird, dann soll er von mir aus ruhig noch eine Stunde wegbleiben.« Sie hoffte dabei, dass niemand ihr Zittern bemerken würde. Diese Hoffnung währte allerdings nur eine Sekunde lang. Eine Sekunde brauchte die Porzellanplatte mit hauchdünn geschnittenem Zarenlachs, die sie eben noch in der Hand gehalten hatte, um auf dem Boden vor ihren Füßen zu zerspringen. Da wusste sie, dass sie Angst hatte. Große Angst.

      Samstag, 17. April 18 Uhr 05

      Sie hielt ihren rechten Arm am Sicherheitsgurt und drehte ihren Kopf nur ganz vorsichtig nach links, weil Erich ihre Bewegung gar nicht bemerken sollte. Sie versuchte, in seinem Gesicht, das ganz auf die Fahrbahn konzentriert zu sein schien, zu lesen. Das Gesicht eines wahren Unschuldslamms. In der Dienststelle war sie bekannt dafür, dass ihr niemand etwas vormachen konnte. Da wäre es doch gelacht, wenn das ihrem Ehemann gelingen würde. Der ohnehin immer wie ein offenes Buch für sie war.

      Dabei glaubte er wahrscheinlich, es besonders schlau angelegt zu haben. Mit geradezu obszöner Lässigkeit hatte er dieser Femme fatale die Schürze umgebunden. Nur ein paar Zentimeter über ihrem aufreizenden Hintern. Dabei hatte er diesen verräterischen Blick in ihren Ausschnitt riskiert. Die Dame hatte das ganz sicher bemerkt. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu schließen hatte sie es auch goutiert. Danach jedoch gab es nur mehr ganz gelegentlichen und wie zufällig wirkenden Blickkontakt zwischen den beiden. Aber dafür einen umso intensiveren, wie es ihr schien. Besonders einmal. Da kam ein Augenaufschlag von ihr, als hätte sie es auf ihn abgesehen.

      Aus den Augenwinkeln sah sie, dass er seinen Blick von der Straße ab und ihr zuwandte.

      »Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass wir diesen Kurs belegt haben. Du wirst sehen, der morgige Tag wird noch besser werden. Heute warst du nicht ganz bei der Sache. Hat diese Frau Machherndl dich noch beschäftigt?«

      Diese scheinbar besorgte Frage war doch geradezu der Gipfel an Heuchelei. Sie hatte ja selbst für einen Augenblick geglaubt, dass die alte Giftspritze schuld an ihrer schlechten Stimmung war. Aber diese Erklärung erschien ihr viel zu billig. Erst recht aus seinem Mund. Kurz überlegte sie, ob sie widersprechen sollte. Hielt es dann aber für klüger, zu schweigen.

      »Gegen trübe Gedanken weiß ich ein tolles Rezept«, fuhr er fort. »Du kannst dich schon auf zuhause freuen.«

      Durfte das wahr sein?! Der Mensch konnte doch nicht ernsthaft glauben, dass sie dafür herhalten würde, seinen gestiegenen Hormonspiegel wieder auf Normalmaß zu reduzieren. Sie wusste zwar aus langjähriger Erfahrung, dass ein gutes Essen bei ihm eine anregende Wirkung hatte. Oft hatte sie das durchaus genossen. Aber sie war sicher, dass sie seinen Vorschlag diesmal dem Blick über die Schulter einer anderen zu verdanken hatte. In der Sekunde beschloss sie, ihren Ehemann zumindest für einige Zeit zappeln zu lassen und ihm fürs Erste den Blick auf ihren eigenen Busen zu verwehren.

      Samstag, 17. April 22 Uhr 05

      Die Scheinwerfer hatte Theresa Strasser abgedreht. Denn das starke Strahlen tauchte den Wald abseits des Scheinwerferkegels in umso tiefere Dunkelheit. Der Vollmond hingegen leuchtete den gesamten Waldweg gleichmäßig sanft aus. Der Nachthimmel war wolkenlos und das erst seit wenigen Tagen sprießende Laub an den Bäumen ließ noch genügend Licht durch. Im Schritttempo fuhr sie mit ihrem von Klaus so bezeichneten Einkaufswagen über den Schotter. Irgendwo in diesen Hügeln musste der dunkelblaue Porsche Cayenne doch stehen. Vor jeder Kurve stand die Hoffnung, hinter jeder Kurve stand die Enttäuschung. Immer und immer wieder. Sie kämpfte mit den Tränen. Seit mittlerweile mehr als drei Stunden fuhren sie auf Wegen dahin, die sonst wohl nur ein paar Jäger und Waldarbeiter kannten. Warum fanden sie nicht einmal diesen vermaledeiten Wagen?

      Am Beifahrersitz saß ihre Tochter Katja. Sie hatte den Kampf gegen die Tränen längst aufgegeben, schluchzte vor sich hin, schaute aber dennoch angestrengt hinaus in die Dunkelheit.

      Hinter ihr folgten noch zwei andere Autos, ebenfalls im Schritttempo und mit abgeschalteten Schweinwerfern. Denn in diesem Waldstück gingen laut Karte drei kleinere Wege von diesem Hauptweg ab. Sie suchten systematisch. Die meisten Gäste beteiligten sich an dieser Suchaktion. Die hatten sich den Abend sicher anders vorgestellt.

      Knapp nach neunzehn Uhr hatten sie es nicht mehr ausgehalten. Weil Klaus noch immer nicht aufgetaucht war, hatten sie gemeinsam beschlossen, sich an den Polizeiposten in Spitz zu wenden. Denn weder Theresa noch die Kinder hatten eine Ahnung, welche Strecken Klaus beim Joggen bevorzugte. Ihnen war nur klar, dass er mehrere Lieblingsstrecken hatte. Die meisten davon irgendwo in den umliegenden bewaldeten Hügeln.

      Für eine formelle Vermisstenanzeige war es zu früh. Dennoch schickte der diensthabende Postenkommandant sofort einen Einsatzwagen mit zwei Beamten zu ihrem Haus. Beim Eintreffen der Funkstreife waren noch sechzehn der ursprünglich