»Mein Leben, es gehört Euch. Alles tue ich, was Ihr verlangt.«
Da kokettierte das üble Weib, zierte sich spielerisch, aber gekonnt, rückte die Haube zurecht, überlegte aber mit messerscharfer Genauigkeit, was wohl die schlimmste Gemeinheit sei, die sie dem Spund jetzt antun könne: Und sie warf, weit ausholend, ihren Ring in die Isar, die an dieser fürchterlichen Stelle besonders reißend sich durch Untiefen ergoss. Für jedermann ersichtlich, ein Todesurteil.
Das hochmütige Ritterfräulein warf den Ring in die tiefsten Strudel der Isar, die sich unterhalb der Burg ergossen. (Ansicht von Grünwald nächst München, Radierung, Mitte 19. Jahrhundert); 12
»So spring hinein und hol ihn mir!« befahl sie.
Schon war er im eiskalten Flusse, mitsamt Kleidung, Schwert und Kopfbedeckung, für Überlegungen hatte er keine einzige Gehirnzelle zur Verfügung. In dem Moment, da er aufs Wasser klatschte, riß es ihn hinab und dort blieb er für immer.
Ertrunken in tiefer Sehnsucht. So wie es um ihn stand, war dieser schnelle Tod vielleicht noch eine Gnade gewesen.
Seine Leiche hat man bis heute nicht gefunden. Schade um ihn. Schade?
Hier soll angemerkt werden: Zu den klassischen Rittertugenden zählt neben Zucht, Ehre, Milde, Stete, Frömmigkeit, Mannhaftigkeit, Treue… eben, und vor allem, auch die »Maße«.
Die Mäßigung also. Und damit auch das Maßhalten mit den Gefühlen. Damit war es bei dieser besinnungslosen Hingabe des Minnerekruten natürlich nicht weit her. Maßlosigkeit ist oft eine tödliche Untugend. Schon mancher angesehene Ritter der Artusrunde hat wegen Unmäßigkeit (auch mit Frauen), also wegen des Verlustes der Mitte, eine lange und beschwerliche Aventiure-Fahrt auf sich nehmen müssen. Denken wir an Erec und Enite! Doch der Sänger war kein Erec. Für Läuterung blieb ihm keine Gelegenheit. Eines Burgfräuleins Schabernack willen in die tiefsten Untiefen der wütenden Isar zu springen, das eben war nicht Man-nheit, sondern schlicht Blödheit.
Sie aber hätte es wissen müssen. Sah sie doch von Anfang an in seinen Augen, dass er mit sich machen ließ, was sie wollte. Mag auch der übrigen Menschheit ihre Missetat verborgen geblieben sein, der höheren Macht blieb nichts verborgen.
Sofort tat sich die Erde auf, viele Klafter tief, und weg war das lose Ding.
Wer an einsamen Abenden, vor allem im Spätsommer und Frühherbst, wenn die Jahreszeit des Vergessens erste Schleier über das Land zu breiten beginnt, wer dann dort am Isarstrande spazierengeht, der vernimmt gar oft das sehnend-lockende Gesäusel des verwunschenen Fräuleins.
»Das ist der Lockvogel«, sagen die einen.
»Die verwunschene Nixe!« die anderen.
Und keiner traut der Geschichte so recht.
Wahr ist, dass die hochmütige Evastochter augenblicklich in eine Nixe verwandelt wurde, mit einem glitschigen Fischschwanz statt langer Beine, und dass sie fortan bei einem stets grantigen Wassermann leben muss in einer finsteren Wassergrotte, gleich bei Großhesselohe. Dem alten Lustgreis muss sie dauernd die hässliche Glatze kraulen, aber schlecht aufgelegt bleibt der trotzdem und hat kein gutes Wort für sie übrig. Er lässt sich nur bedienen, erachtet dies als selbstverständlich, und sie, das ehedem so hochnäsige Geschöpf, kann nichts dagegen tun.
Ihr Hass auf Männer ist dadurch nicht besser geworden. Im Gegenteil!
Da sie besser aussieht denn je (Beobachter, denen man Glauben schenken darf, berichten: strahlend hellgrüne Nixenaugen, grüne, lang wallende Nixenhaare – nur einige wenige erzählen, sie hätten rote Haare gesehen –, Traumfigur, anmutig langer Hals), da sie also nach wie vor so blendend mit Blend-Werk ausgestattet ist, nützt sie die Magie ihres Körpers, um biedere Flößer ganz gemein und hinterlistig in den Tod zu locken. Denn diese verblendeten Herren übersehen dann die Gefahren und die Stromschnellen.
Die Flößer wissen dies und haben Angst. Dabei ist Angst überhaupt nicht das richtige Mittel gegenüber so einem Wesen, Vorsicht wäre besser.
Denn Angst ist letztlich das missratene Kind des Stolzes, und da ist die Neugierde gar nicht weit weg. Wer aber neugierig ist und diese Neigung, zusammen mit seiner Angst, zu einer Art Sehnsucht verbindet, der sehnt sich nach der Nixe, wird geradezu süchtig nach dem, was ihre Erscheinung verspricht und nie hält. Sucht aber kann tödlich sein.
Die Flößer bekreuzigen sich deshalb, tragen Amulette bei sich oder fromme Beigaben. Doch kaum singt die Nixe, »sind sie weg«.
Wer sollte die Nixe erlösen? Erlösung geschieht durch Liebe. Sie aber tritt Gefühle mit Füßen. Kein Wunder, dass sie nur begehrt, nie aber geliebt wird. Das macht ihren Zorn aus.
Und sie singt weiter. Drum Obacht geben, lieber Leser, nicht links und nicht rechts schauen, wenn die Nixe auftaucht. Wie immer hilft beten zu Gott am allermeisten. Denn: »Sie« verdreht sofort den Kopf.
Das ist ihr Dreh.
Das versunkene Dorf bei Riem oder: Nicht nur Flughäfen verschwinden! (Auch Omnibusse in unseren Tagen)
Bisweilen verschwinden Dinge und Einrichtungen, die uns über viele Jahre hinweg vertraut sind, mit sagenhafter Plötzlichkeit. So ist in der Umgegend von und im Luftraum über Riem im Mai 1992 von dem einen auf den anderen Tag der dröhnende Lärm der Flugzeuge verschwunden, weil die triebwerkspolternden Düsenriesen es plötzlich vorgezogen haben, den neuen Großflughafen in Erding anzusteuern beziehungsweise anzufliegen.
Jeder kann selbst raus nach Riem gehen und sich überzeugen, wie der sandsteinrote »Tower« unvergessen in den Himmel ragt, von allen Frequenzen verlassen.
Da steckt aber keine Sage im Hintergrund, sondern ein sehr detailliert vorbereiteter Umzug.
Ganz anders erging es dem nahegelegenen Ort Pachem, der, wenn man dem Stoff, aus dem die Sagen sind, Glauben schenken will, zwischen Riem und Berg am Laim gelegen haben muss.
In alten Urkunden, die aus dem 14. und dem 15. Jahrhundert stammen, wird dieses Dorf noch erwähnt, es soll Bachheim geheißen haben oder Pachem. Warum, das weiß weder der liebe Gott, die Sage noch die Urkunde, und der liebe Gott, der täte es dann am Ende vielleicht doch wissen, aber er verrät es uns nicht, damit die Sage recht geheimnisvoll bleibt und spannend.
Der Name »Bachheim« deutet darauf hin, dass ein Bach geflossen sein könnte, aber es ist da dort kein Bach gewesen, weder damals noch heute…
Oder doch! Denn wir wissen, dass das »Höllwasser«, ein unterirdischer Flusslauf, die schreckliche Buskatastrophe, nämlich das Einbrechen eines Linienbusses in den »Truderinger Krater« vor wenigen Jahren, ausgelöst hat.
Man hätte aus der Sage lernen können und sollen!
Damals nämlich ging das ganze Dorf »den Bach runter«, und davon wollen wir hören.
Denn die Sage berichtet, dass der Ort mit allem, was dazugehörte, im Erdboden versunken ist. Man stelle sich das vor: Da liegen eben noch Häuser, Ställe, Wirtshaus und natürlich die Kirche, mitsamt den dazugehörigen und in ihr Leben eingebundenen Menschen, geschäftiges Dasein breitet sich aus vor dem staunenden Betrachter und, plötzlich!
Alles ist weg! Irgendjemand muss damals zugeschaut haben, wie alles verschwand, sonst würden wir es ja nicht wissen. Oder?
So schrecklich die Mär auch sein mag, ein wahres Schreckgespenst ist so ein Verschlucktwerden eines gesamten Dorfes samt Infrastruktur aus der Sicht heutiger moderner Bodenspekulanten: Wie sollen denn die Preise stabil bleiben oder, wie viele sich ausrechnen, zusehends steigen im Raume Münchens, wenn Bauland