Das ethische Postulat der »Ehrfurcht vor dem Leben« lässt sich zweiteilen. Als Erstes geht es um die Ehrfurcht vor der von Gott geschaffenen Natur, die, einem mittelalterlichen Gedankengang folgend, nicht Objekt der Ausbeutung, sondern Partnerin bei der Verherrlichung Gottes ist. Als Zweites ist der von Gott beseelte Mensch gemeint, der über die Natur erhöht ist, was aber keinen Herrschaftsanspruch gegenüber der Natur begründet.
Abschließend sei die Lebensphilosophie von Albert Schweitzer mit der Theologie des Vonwoher der Fraglichkeit verglichen. Der Skeptizismus von Weischedel hinsichtlich der Erkennbarkeit von Sein und Sinn wird von Schweitzer nicht geteilt. Während Weischedel voraussetzungslos zu denken versucht, vollzieht Schweitzer mutig den Schritt in die Lebenswirklichkeit. Dabei wird kein Gott eingeführt, auch kein »Vonwoher der Fraglichkeit «, sondern der überall und jederzeit wahrnehmbare Lebensdrang bildet die Ausgangsbasis des Denkens. Der Mensch kann aufgrund seiner inneren Freiheit die lebensbejahende Nächstenliebe entwickeln, deren Ausübung zum eigentlichen Glück verhilft. Was für ein Unterschied zum kargen Ergebnis von Weischedels philosophischer Theologie.
7. Weitere neuere Ansätze zur philosophischen Theologie
Es gibt eine ganze Reihe von Versuchen, eine zeitgemäße philosophische Theologie zu bieten, ohne auf die nihilistischen und existentialistischen Philosophien explizit einzugehen. Diese Versuche werden nachfolgend kurz vorgestellt.
Der philosophische Ansatz von Gerhard Krüger führt die zunehmende Fraglichkeit von Wirklichkeit, Dasein und Wahrheit auf das Überhandnehmen des geschichtlichen Denkens in der Neuzeit zurück. Er versucht, stattdessen Elemente der griechisch-antiken Weltsicht wiederzubeleben.
Die katholisch geprägten Ansätze führen im Allgemeinen die neuscholastische Denktradition fort, gemäß der eine zweischichtige Erkenntnisordnung besteht: Vernunftebene und Glaubensebene, natürliche Wahrheit und Offenbarungswahrheit, Philosophie und Theologie. So schlägt Edith Stein die Brücke zwischen scholastischem Denken (Thomas von Aquin) und modernem phänomenologischen Denken (Edmund Husserl). Karl Rahners »metaphysische Anthropologie« wiederum bestimmt den Raum der Offenbarungstheologie ausgehend von der Verborgenheit des reinen Seins, das sich der positiven Erkenntnis entzieht. Teilhard de Chardin verbindet Evolutionstheorie und katholischen Glauben in mystischer Schau.
Zwei protestantisch geprägte Ansätze sind zu nennen. Paul Tillich bestimmt den Einheitspunkt von Philosophie und Religion als »das Unbedingte«, das mit Gott gleichgesetzt oder sogar ihm übergeordnet ist. Angesichts von Zweifel und Sinnlosigkeit wird ein »absoluter Glaube« gefordert, der sich auf eine überpersonal aufgefasste Gottheit als Quelle von Sinnbejahung und Gewissheit richtet. Georg Picht betont die Wirklichkeit Gottes als Wahrheit des Seins gegenüber dem geglaubten Gott der christlichen Offenbarung.
Der jüdisch geprägte Ansatz von Hans Jonas weist den Weg zu einer Theologie des machtlosen mitleidenden Gottes. Nach dem Holocaust kann Gott nicht mehr zugleich als allgütig, allmächtig und verständlich aufgefasst werden. Gott hat sich aller weltlichen Machtmöglichkeiten begeben, um die Freiheit und Verantwortungsfähigkeit des Menschen zu begründen. Wohl aber begleitet er den Menschen in erfühlbarer Weise, nunmehr hoffend, dass der Mensch ihm zurückgibt. Gott ist dabei unendlich mitleidend. Der Ansatz von Jonas ist zwar spekulativ, jedoch hinsichtlich der erreichten Widerspruchsfreiheit von Vernunft und Glauben bemerkenswert. Er begründet das »Prinzip Verantwortung«.
In den englischsprachigen Ländern konnte der radikale Nihilismus und Existentialismus nie Fuß fassen. Auch der radikale Atheismus ist hier durch Agnostizismus ersetzt. Der missionarisch vertretene Atheismus des Evolutionsbiologen Richard Dawkins ist eine Ausnahme neuesten Datums. Die Tradition der »natürlichen Theologie« ist in diesen Ländern ungebrochen. Der Empirismus David Humes ist eine feste Bezugsgröße. Pragmatische Argumentationen überwiegen.
Zwei der bedeutendsten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts im englischsprachigen Raum haben die philosophische Theologie in ihren Systemen integriert. Alfred N. Whitehead versteht Gott als Gott im Prozess, als werdenden Gott.5 Gottes Natur wird bipolar gesehen, auf dem Wege von einer begrifflich-idealen »ursprünglichen Natur« zu einer physikalischrealen »nachfolgenden Natur«, einmündend in den Gott der unendlichen Liebe. John L. Mackie behandelt das mit dem Theismus sich stellende Problem der Existenz Gottes auf der Grundlage der neuzeitlichen analytischen Philosophie.6 Er unternimmt es, die Tatsache der Offenbarung auf Basis der Vernunft abzusichern.
II. Weischedels Grundlegung einer zeitgemäßen philosophischen Theologie
Weischedels philosophische Theologie geht aus von der Grunderfahrung der Fraglichkeit von Weltwirklichkeit und Menschenexistenz, dem Schweben zwischen Sein und Nichtsein sowie zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Das Letzte, wohin das philosophische Fragen führt, ist das »Vonwoher« und dessen mächtiges Vorgehen. Es grenzt sich gegenüber dem herkömmlichen Gottesbegriff ab. Es begründet Freiheit, Offenheit und Loslassen.
1. Zeitgemäßes Philosophieren und Sinnproblematik
Die Ausführungen des Kapitels geben Weischedels Grundlegung einer zeitgemäßen philosophischen Theologie in Kurzform wieder.1 Es wird die Überwindung des Nihilismus verständlich gemacht, ohne an Glaubensinhalte anzuknüpfen.
Philosophieren vollzieht sich nach Weischedel als Fragen und Infragestellen. Es wird gefragt, wie es mit dem als selbstverständlich Erscheinenden in Wahrheit steht. Philosophieren ist unbegrenzt fortgesetztes Fragen. Nichts darf in »unbefragter Fraglosigkeit« stehen bleiben. Philosophieren ist demnach radikales Fragen.
Das radikale Fragen ist die Wurzel der Metaphysik ebenso wie der Kritik an derselben. In der Metaphysik wird nach dem Sein des Seienden ebenso wie nach dessen Ursprung gefragt. Aber auch der Ursprung muss hinterfragt werden. Es gibt kein Ende des Fragens. Dogmatische Behauptungen, die ein Ende herbeiführen, sind unzulässig. So gerät die Frage nach dem Sein des Seienden sowie nach dessen Ursprung vor den Abgrund des möglichen Nichts: »Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?«
Das radikale Fragen als Grundbestimmung des Philosophierens darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, als ginge es in letzter Intention ums Fragen und Infragestellen. Intendiert wird eine Antwort, auch wenn diese erneut hinterfragt wird. Damit besteht allerdings die Gefahr, einem leeren Skeptizismus zu verfallen, und somit die Versuchung, sich letztendlich doch wieder in unbefragter Gewissheit zu bergen. Letzteres wäre aber das Ende des Philosophierens.
Das radikale Fragen darf aber auch nicht vor sich selbst Halt machen. Es muss sich selbst radikal in Frage stellen. Es muss radikaler gezweifelt werden, als es Descartes getan hat, dem noch das zweifelnde Ich gewiss erschien. Diese Radikalität des Fragens und Zweifelns ist nach zweieinhalb Jahrtausenden Philosophiegeschichte unumgänglich, trotz der aufgezeigten Gefahren.
Das radikale Fragen hat zunächst die Form des »offenen Skeptizismus«. Der Skeptizismus in der Philosophiegeschichte (von den Sophisten bis zu Hume und Nietzsche) bezweifelt die Möglichkeit wahrer Erkenntnis. Nicht so der offene Skeptizismus, der die Möglichkeit von Wahrheit zulässt, jedoch jeder Wahrheitsaussage skeptisch gegenübertritt.
Das radikale Fragen hat des Weiteren die Form des »offenen Atheismus«. Dabei geht es nicht