Der Todeswind der blauen Zipfel oder Die missliche Wahl der Miss Grafeneckart. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429062729
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dass einige Ratsherren die Entscheidung bis zur 750-Jahr-Feier vertagen wollten. Wohl in der Hoffnung, dass sie dann wegen natürlicher Fluktuation nicht mehr die schwere Bürde des Amtes zu tragen haben würden. Selbst als eine kleine Anzahl Bürgervertreter diese Problematik zum Anlass genommen hatten, wieder einmal aus Gewissensgründen, wie sie es nannten, Parteienhopping zu praktizieren, also die Partei zu wechseln, veränderten sich die Mehrheitsverhältnisse nicht signifikant.

      Schließlich hatte OB Schluckthardt ein Machtwort gesprochen und konnte damit den gordischen Knoten durchschlagen. Man einigte sich in offener Abstimmung, ohne Fraktionszwang, auf einen Losentscheid. Jede Fraktion reichte ihren Vorschlag schriftlich im verschlossenen Umschlag ein. Zweiter Bürgermeister Andy Farmer stellte aus seinem Dienstzimmer ein absolut gewaltfrei getöpfertes Aborigine-Tongefäß, das er von seinem letzten Abnehmurlaub im australischen Outback als Souvenir mitgebracht hatte, zur Verfügung, in dem dann die Vorschläge eingelegt wurden. Es hatte einer weiteren Nachtsitzung bedurft, bis man sich in der dritten Abstimmung auf die deutsche Weinkönigin als Glücksfee für die Auslosung einigte. Da die derzeit Regierende aus terminlichen Gründen keine Zeit hatte, an den Main zu kommen, wurde die emeritierte Sommeracher Weinhoheit Nikki Feen aus dem Jahre 1981 um Hilfe gebeten. Als sie erfuhr, dass die spätere Krönungszeremonie vom Bayerischen Fernsehen übertragen würde und man ihr die Moderation anvertrauen wolle, war sie gerne bereit gewesen, ihr schlankes Händchen in den Lostopf zu versenken. Sie zog den Vorschlag der Freudigen Wähler.

      Der Einsendeschluss für die Bewerbungsfotos der Misswahl war seit drei Tagen vorüber und nun oblag es einem eigens hierfür gegründeten Arbeitskreis, bestehend aus Schluckthardt und den Fraktionsvorsitzenden der im Stadtrat vertretenen Parteien, eine Vorauswahl zu treffen. Eine höchst schwierige und undankbare Aufgabe, bei der man eigentlich nichts richtig machen konnte. In zehn Minuten würden sich die Fraktionsvorsitzenden bei ihm einfinden, um das Prozedere der Vorauswahl zu besprechen.

      Da klopfte es auch schon an der Tür. Der OB wurde aus seinen grüblerischen Gedanken gerissen. Auf sein „Herein“ betrat Sepp Steinklopfer, der Fraktionsvorsitzende der Freudigen Wähler, beschwingt das Büro.

      „Sorry, ich bin etwas zu früh“, warf er mit einem freundlichen Winken in den Raum. „Aber wie sag ich immer, man kommt besser zu früh als gar nicht.“ Sein schallendes Gelächter brach sich an den Wänden der Amtsstube. Steinklopfer war bekannt für seine scharfe Zunge und seinen skurrilen Humor, Eigenschaften, die in schwierigen Stadtratssitzungen immer wieder für Auflockerung sorgten, weil sie nicht von jedem verstanden wurden.

      „Zunächst einmal einen wunderschönen Nachmittag, Herr Oberbürgermeister, wie ich sehe, befassen Sie sich bereits intensiv mit den Schönsten der Stadt.“

      „Grüß Gott, Kollege Steinklopfer, da haben wir uns ja was Tolles eingebrockt, das kann ich Ihnen sagen!“ Er gab Steinklopfer die Hand und wies dabei mit der anderen Hand auf die Bilder.

      „Da kann ich Ihnen nur beipflichten, da sind ja ein paar echte Sahneschnitten dabei, wenn ich das so sagen darf.“ Steinklopfers Augen bekamen einen ganz feuchten Glanz.

      „Aber Herr Kollege …!“ Der OB kam nicht weiter, weil es in diesem Augenblick erneut klopfte und mehrere Personen das Dienstzimmer betraten. Es handelte sich um sämtliche Fraktionsvorsitzenden der zehn vertretenen Parteien des Stadtrats von Würzburg. Der OB gab allen die Hand, dabei erklärte er entschuldigend: „Es tut mir leid, es ist hier etwas ungemütlich, aber ich wollte die Bilder nicht in einem anderen Raum auslegen lassen, da ich vermeiden wollte, dass Unbefugte sie zu sehen bekommen.“

      Unter allgemeinem Volksgemurmel verteilten sich die Damen – als zweite Frau für den verhinderten Rochus Hirschruf war seine Stellvertreterin Aisha Ludmilla Brandner erschienen – und Herren im ganzen Raum rund um den Tisch und musterten konzentriert die Fotos.

      Die beiden Damen, die sich natürlich deutlich in der Unterzahl befanden, warfen ihren männlichen Kollegen kritische Blicke zu. Unter Berücksichtigung der teilweise sehr freizügigen Badebekleidung, die die Bewerberinnen auf den Bildern trugen, waren sie sich insgeheim darin einig, dass in dieser Frage aus hormonellen Gründen nur von den wenigsten Herren eine objektive Beurteilung zu erwarten war. Da würde selbst die ältesten Semester ein Frühlingsahnen ereilen.

      Der Oberbürgermeister räusperte sich, um sich Gehör zu verschaffen. Nachdem etwas Ruhe eingetreten war, erklärte er: „Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, nachdem unser Aufruf unter der weiblichen Bevölkerung von Würzburg eine derartig erfreuliche Resonanz gefunden hat, aber natürlich nur eine der Damen den Titel erringen kann, müssen wir uns nun dem undankbaren Geschäft der Vorauswahl unterziehen. Ich habe mir daher folgendes Prozedere überlegt: Jede der im Stadtrat vertretenen zehn Parteien schließt in einem ersten Auswahlverfahren jeweils zehn Bewerberinnen aus. Damit sind dann schon mal hundert Damen ausgeschieden. Die dann verbleibenden fünf Kandidatinnen müssen sich dann einem noch näher zu beschließenden Auswahlverfahren durch dieses Gremium stellen. Das sollte dann, etwa vergleichbar mit der Wahl der Weinkönigin, öffentlich geschehen.“

      Der Oberbürgermeister suchte in den Gesichtern der Bürgervertreter nach einer Reaktion. Meist vergeblich. Zumindest die männlichen Volksvertreter hatten überwiegend nicht zugehört, weil sie sich immer noch intensiv mit den Bildern beschäftigten. Der OB wiederholte noch einmal seinen Vorschlag, diesmal lauter.

      Jetzt begann eine heftige Diskussion. Ging es am Anfang noch recht sachlich und gesittet zu, änderte sich das Verhalten schlagartig, als erste Fraktionsvorsitzende sich Fotos schnappten und lauthals Ausscheidungsmerkmale verkündeten. Es konnte natürlich nicht ausbleiben, dass die Kandidatin, die von dem einen Stadtrat abgelehnt, sofort von einem anderen als einzig wahre Favoritin bezeichnet wurde. Rufe wie „Du hast doch kei Ahnung, die sieht doch echt super aus!“ oder „Lass mich halt aa amal guck!“ oder „Ich habs gsenn, du hast des Bild eigsteckt! Tu‘s sofort widder raus!“ schallten von den Wänden des Büros wider.

      Sehr schnell kam der Oberbürgermeister zu der Erkenntnis, dass er mit dieser Vorgehensweise gewissermaßen die Büchse der Pandora geöffnet hatte. Nur unter Aufbietung seiner gesamten Stimmgewalt schaffte er es, die Herren wieder in zivilisatorische Bahnen zu lenken.

      „Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich denke, auf diesem Wege kommen wir zu keinem Ergebnis. Wir müssen das vereinfachen! Mir schwebt vor, dass die Fraktionen in einem ersten Wahlgang aus allen Bildern zunächst eine optische Auswahl treffen. Dazu wird jede Fraktion eine Fotomontage aller Bilder auf einer großen Tafel erhalten und kann jeweils zehn Bewerberinnen herausstreichen. Die Kandidatinnen, die bei einer anschließenden Gegenüberstellung von allen Fraktionen abgelehnt wurden, scheiden aus. Danach werden die verbliebenen Bilder mit den noch im Rennen befindlichen Bewerberinnen wiederum auf die Fraktionen verteilt und es kann eine bestimmte Anzahl, die dann noch zu bestimmen ist, herausgestrichen werden. Wieder werden die übereinstimmend Abgewählten gestrichen. Dies setzen wir so lange fort, bis noch fünf Kandidatinnen übrig sind. Wie Sie sehen, sind auf den Rückseiten der Fotos fortlaufende Nummern notiert, anhand derer man später die einzelne Kandidatin identifizieren kann. Die genauen Persönlichkeitsdaten sind auf einer eigenen externen Liste erfasst, die im Tresor der Verwaltungsgeschäftsstelle eingeschlossen ist. Diese Vorgehensweise halte ich für sinnvoll, um bei der ersten Auswahl primär das Aussehen der Kandidatinnen bewerten zu lassen.“

      „Das ist doch wieder typisch Mann“, flüsterte Melinda Burgfried der neben ihr stehenden Aisha Ludmilla Brandner ins Ohr. Stadträtin Brandner vertrat bei diesem Termin Rochus Hirschruf, weil er in seiner Eigenschaft als Mitglied des Aufsichtsrats der WBB, Würzburger Bahnund Bus bGmH (beschränkte Gesellschaft mit Haftung), verhindert war. „Es geht wieder nur um BuBeiPo, Busen, Beine, Po! Neandertaler allesamt!“

      „Na ja, liebe Kollegin Burgfried, sie sollten nicht so streng sein, irgendwie kann ich unsere männlichen Kollegen schon ein bisschen verstehen. Da sind wirklich einige ganz leckere Mädchen dabei.“ Wie beiläufig ließ sie etwas verträumt ihre Finger sanft über ein Hochglanzfoto gleiten, auf dem eine blonde Schönheit im knappen Bikini abgelichtet war.

      Melinda Burgfried warf ihr von der Seite einen schrägen Blick zu. Anscheinend war an den Gerüchten, die schon seit Monaten im Haus hinter vorgehaltener Hand über ihre