Auf der Straße traf ich ein kleines frierendes Mädchen, zitternd in einem dünnen Kleid, ohne Hoffnung, etwas Warmes zu essen zu bekommen. Ich wurde zornig und sagte zu Gott: ‚Wie kannst du das zulassen? Warum tust du nichts dagegen?‘
Eine Zeitlang sagte Gott nichts. Aber in der Nacht antwortete er ganz plötzlich: ‚Ich habe wohl etwas dagegen getan. Ich habe dich geschaffen.‘“
Zum menschlichen Leben gehört wesentlich die Spannung zwischen Ich und Du, zwischen Geben und Empfangen, in der die aggressiven Lebensenergien, die in die Auseinandersetzung, Loslösung und Distanz führen, eine entscheidende Rolle spielen. Einerseits besteht die Aufgabe, die aggressiven Energien einzusetzen, um Ich selbst zu werden und autonom zu bleiben. Das beinhaltet auch, mich nicht in symbiotischen oder abhängigen Beziehungen zu verlieren, in denen die Ich-Identität verschwimmt und eins wird mit der Identität des anderen oder wo ich meine Identität ausschließlich über die Identität des In-Beziehung-Seins mit einem Menschen oder einer Gruppe gewinne. So wird die Selbstwerdung gerade verhindert. Ebenso gehört zu einem erfüllten menschlichen Leben, dass ich meine aggressiven Lebensenergien einsetze, um auf andere Menschen zuzugehen und mich ihnen Schritt für Schritt zu öffnen und mit ihnen zu leben. Dann können gute und heilsame Beziehungen entstehen, in denen Liebe geschenkt und empfangen werden kann.
Eine heilsame Beziehung gründet zunächst in der Beziehung zu mir selbst mit einer geordneten Selbstliebe, die Selbstzerstörung ausschließt; dann in der Beziehung zu anderen Menschen und zur Umwelt mit einer geordneten Nächstenliebe, wo auch Hass und zerstörerische Aggressionen lebensfördernd aufgearbeitet und in neue Beziehungsmöglichkeiten umgewandelt werden; das gilt auch für die Beziehung zu Gott, in der eine aggressive Auseinandersetzung den Weg zu einer tieferen Gottesbeziehung eröffnet (Frielingsdorf 1993, 45 ff.).
Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen von Beziehungen sind der Selbststand und die Fähigkeit, gerade auch den zerstörerischen Aggressionen standzuhalten und sie in lebensfördernde umzuwandeln. Wenn die aggressiven Schritte auf den anderen zu beziehungsfördernd sein sollen, dann sind sie einfühlsam und differenziert zu setzen. Sie erfordern viel Geduld und Vor-Sicht beim Aufeinanderzugehen, damit die anderen nicht abgeschreckt, verletzt oder überfahren werden. Gute Beziehungen wachsen langsam heran und sind als Vorstufe von Freundschaft und Liebe sehr verletzbar und empfindlich, gerade weil sie so kostbar für das menschliche Leben sind. So können Aggressionen heilsame Beziehungen stiften und im Rahmen der Selbstliebe, der Nächstenliebe und Gottesliebe zum Gelingen des Lebens wesentlich beitragen.
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