Der Schoppenfetzer und die Satansrebe. Günter Huth. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günter Huth
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783429063993
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das ihn erfüllte.

      Nachdem er den Vollstrecker versorgt hatte, ging er ins Wohnzimmer und goss sich einen doppelten Whisky ein. Dann öffnete er in einem Schrank zwei kleine Flügeltüren aus Metall, welche die Stärke eines Tresors hatten und durch eine Zahlenkombination geschützt waren. Als er sie auseinanderzog, ging im Innern ein gelbliches Licht an und beleuchtete eine Steintafel von etwa zwanzig Zentimetern Höhe und fünfzehn Zentimetern Breite.

      Der Rächer setzte sich dem Schrein gegenüber in einen Sessel, nippte an seinem Whisky und versank in der Betrachtung der Tafel und der reliefartigen Darstellung, die aus ihrer Fläche herausgearbeitet war. Trotz ihrer Schlichtheit war deutlich zu erkennen, was der Künstler hatte ausdrücken wollen. Mit geschlossenen Augen konzentrierte er sich. Er spürte die starken Schwingungen, die von dem Stein magisch auf ihn einwirkten. Sie ergriffen Besitz von seiner Persönlichkeit und weckten sein tief verborgenes zweites Ich. Der Rächer begann ihn immer stärker zu beherrschen. Bereitwillig gab er sich den Gewaltfantasien hin, die ihn wie eine Woge überschwemmten. Es war reiner Hass, der wie ein Seeungeheuer an die Meeresoberfläche kam, um zu rauben und zu zerstören. Ihm wurde gar nicht bewusst, wie er am ganzen Körper zitterte. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.

      Irgendwann ließ dieser Zustand nach und der Rächer kehrte langsam in die Wirklichkeit zurück. Wie nach jedem dieser Anfälle verspürte er so starke Kopfschmerzen, als würde ihm jeden Moment der Schädel platzen.

      „Dein Vermächtnis wird erfüllt werden, Meister“, murmelte er leise vor sich hin. Nach dem zweiten Whisky wurde er ruhiger. Der Kopfschmerz allerdings blieb.

      Wenig später erhob er sich, schloss den Schrein und begab sich ins Bad. Dort nahm er eine starke Kopfschmerztablette und stellte sich unter die Dusche. Draußen begann es bereits zu dämmern. Der Mann ging ins Schlafzimmer und stellte den Wecker, denn er wollte rechtzeitig vor Ort sein. Dann legte er sich hin. Nur eine Minute später war er eingeschlafen. Sein Schlaf wurde von quälenden Träumen begleitet.

      Ein neuer Tag

      Erich Rottmann war an diesem Morgen ausgesprochen gut gelaunt. Endlich waren die für ihn lästigen Dreharbeiten im Maulaffenbäck beendet. Höchste Zeit, dass er mit Öchsle an die frische Luft kam. „Auf geht’s, du fauler Stinker“, forderte der Exkommissar seinen vierbeinigen Freund temperamentvoll auf, der sofort freudig erregt zur Wohnungstür rannte. Rottmann war froh, dass am Abend wieder ein ganz normaler Stammtisch stattfand, ohne die Störung durch einen nervigen Regisseur. Rottmann fiel ein, dass sich ein neues Stammtischmitglied, ein gewisser Theodor Friedrich Seibold, ehemaliger Rechtsanwalt für Strafrecht, zum Stammtisch gesellen würde. Die Schoppenfetzer waren bestimmt kein abgehobener, elitärer Club, der spezielle Aufnahmerituale hatte. Im Prinzip konnte jeder im Ruhestand befindliche Kriminalist oder Jurist am runden Tisch platznehmen. Allerdings legten die Stammtischbrüder schon Wert darauf, dass ein Neuer auch zu ihnen passte. Bei Theodor Seibold sollte dies allerdings kein Problem sein. Es handelte sich bei ihm um einen erfahrenen Strafjuristen, der in jungen Jahren in einer großen Frankfurter Kanzlei gearbeitet und sich später in einer Sozietät in Würzburg niedergelassen hatte. Die Empfehlung war von Ron Schneider gekommen. Da musste es eigentlich passen.

      Als der Rächer sich um acht Uhr erhob, fühlte er sich wenig erholt. Zum Frühstück gab es nur eine starke Tasse Kaffee. Dann packte er seinen Rucksack mit einigen Fruchtriegeln und Getränken und verließ das Haus. Als er die Trautenauer Straße wieder erreicht hatte, parkte er ein Stück unterhalb der Stelle, an der er in der Nacht gestanden hatte. Von hier aus konnte er den Eingang von Seibolds Grundstück mit dem Fernglas überwachen. Der Rächer war sich nicht sicher, wann sein Opfer wieder erwachen würde, da er nicht wusste, wie lange das Betäubungsmittel vorhielt, das er ihm gespritzt hatte. Er öffnete das Fenster und ließ frische Luft herein. Er musste aufpassen, dass er nicht im Wagen einschlief. Sein Schlafmangel machte sich langsam bemerkbar, er wollte sich aber der Früchte seiner nächtlichen Aktion auf keinen Fall berauben lassen. Um die Mittagszeit nahm er eine Kleinigkeit zu sich. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt.

      Als der Nachmittag fortschritt, machte sich der Rächer langsam Gedanken. Vielleicht hatte sein Opfer die Wirkung des Elektroschocks und der Betäubungsspritze nicht vertragen. Womöglich lag Seibold tot in der Wohnung. Darüber wäre der Rächer sehr enttäuscht gewesen. Bestandteil seiner Racheaktion war, dass das Opfer leiden musste und er dieses Leid sehen konnte.

      Es war kurz nach siebzehn Uhr, als plötzlich die Haustür aufging, Seibold heraustrat und sich in Richtung Innenstadt bewegte. Der Rächer beobachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Über sein Gesicht glitt ein freudloses Lächeln. Lange würden die ersten Anzeichen sicher nicht mehr auf sich warten lassen. Er folgte seinem Opfer in einigem Abstand. Wenn es losging, wollte er dabei sein.

      ❖

      Es war fast achtzehn Uhr, als sich Rottmann dem Maulaffenbäck näherte. Schon von draußen vernahm er das typische Stimmengemurmel. Die Weinstube war wieder einmal gerammelt voll. Wahrscheinlich lag dies nicht zuletzt daran, dass der Bericht von den Filmaufnahmen im Maulaffenbäck in der Zeitung gestanden hatte und auch dem Regionalfernsehen einen Beitrag wert gewesen war. Das lockte Neugierige an.

      Mit dem gewohnten Einkehrschwenk betrat Rottmann die Weinstube. Das draußen noch dezent wirkende Stimmengemurmel entwickelte sich drinnen zu einem lauten Gesprächswirrwarr.

      Anni, die Bedienung, huschte mit rotem Kopf zwischen den Tischen hin und her und hatte für ihren Stammgast nur ein kurzes Nicken übrig.

      Rottmann wusste jedoch, dass sie ihm umgehend seinen üblichen Silvanerschoppen bringen würde.

      Am runden Tisch saßen bereits einige Stammtischbrüder und begrüßten Rottmann freundlich. Öchsle strebte zügig zu seinem Stammplatz unter der Bank. Rottmann ließ sich auf seinen Platz plumpsen. Zur Begrüßung klopfte er auf den Tisch.

      „Na, Erich, heute mal ungeschminkt?“, stichelte Xaver Marschmann.

      „Ja, ich habe auch den Eindruck, dass unser Hauptdarsteller heute etwas blässlich aussieht.“ Ron Schneider ließ keine Gelegenheit aus, wenn er einen Schoppenfetzer aufziehen konnte.

      Rottmann blieb ihm nichts schuldig: „Nur kein Neid, Jungs, nur kein Neid. Bei euch würde ja nicht einmal mehr eine Schönheitsoperation was retten. Also bleibt gelassen.“

      Dr. Horst Ritter, ehemaliger Leiter der Würzburger Staatsanwaltschaft, hatte das Begrüßungsgeplänkel abgewartet, jetzt meinte er: „Heute kommt ja der Neue. Ron hat ihn vorsorglich eine Viertelstunde später bestellt, damit wir dann auch wirklich alle beisammen sind. Ich denke, es ist sinnvoll, dass wir uns alle ein Bild von ihm machen.“ Zustimmendes Gemurmel in der Runde.

      Rottmann, dem Anni bereits seinen Silvanerschoppen serviert hatte, nahm einen kräftigen Schluck und ließ den Wein mit seinen Geschmacksknospen spielen.

      In diesem Augenblick ging die Tür der Weinstube auf und ein hochgewachsener, schlanker Mann trat ein. Ron Schneiders Mimik war zu entnehmen, dass es sich bei dem neuen Gast um den Erwarteten handelte. Schneider erhob sich auch gleich und ging Seibold einige Schritte entgegen. Er schüttelte ihm die Hand, dann wandte er sich seinen Stammtischbrüdern zu: „Freunde, das ist Theodor Friedrich Seibold, Rechtsanwalt, wie ich euch bereits gesagt habe, und seit einem Vierteljahr im Ruhestand.“

      Rottmann musterte den Neuankömmling mit dem geübten Blick des Kriminalisten und verschaffte sich einen ersten Eindruck. Er kannte ihn nicht, weil Seibold während seiner aktiven Zeit als Kommissar noch nicht in Würzburg war. Aber so wie es aussah, war der Typ nicht unsympathisch. Was Rottmann jedoch sofort auffiel, war Seibolds ausgesprochen blasser Teint. Er lächelte zwar in die Runde, aber irgendwie hatte dies etwas Gezwungenes. Erich Rottmann glaubte zu spüren, dass es dem Mann in diesem Moment nicht sonderlich gutging.

      Während Seibold jedem Schoppenfetzer die Hand schüttelte, registrierte der Exkriminalbeamte, dass der neue Gast eine feuchte Handfläche hatte. Rottmann wunderte sich. Dass ein Mann dieses Formats, der als Anwalt unzählige Male stressigen Situationen ausgesetzt gewesen war, bei der Begegnung mit den Schoppenfetzern nervös wurde, konnte er fast nicht glauben.

      Nachdem sich Seibold auf einem freien Stuhl