“In Ordnung, Kriminalinspektor”, antwortete Kommissarin Rita Morgenstern.
Während ich das Gaspedal des Dienst-Porsche durchtrat, um möglichst schnell an unser nächstes Ziel zu kommen, begann Rudi bereits nacheinander mit den Kollegen des BKA-Büro Berlin und des Berlin Polizeipräsidium zu sprechen, um den bevorstehenden Einsatz einzuleiten.
37
Wir erreichten schließlich die Straße am Rande Berlins, in der sich die konspirative BKA-Wohnung befand. Den Dienst-Porsche stellte ich in einer Nebenstraße ab. Wir stiegen aus. Kommissarin Rita Morgenstern meldete sich nochmal bei uns.
“Die Lage ist unverändert”, erklärte sie. “Der Typ sitzt immer noch in seinem Wagen. Mein Kollege Kommissar Rachert ist nach unten gegangen und hat ein Foto von ihm gemacht.”
“Er soll sich im Hintergrund halten”, sagte ich.
“Das weiß er.”
“Wir greifen erst ein, wenn wir die Bestätigung haben, dass er keinen Fluchtweg mehr hat.”
“In Ordnung.”
Kommissarin Morgenstern hatte uns das Bild weitergeleitet, das Rachert geschossen hatte. Hermlin war darauf zu sehen. Er saß am Steuer des BMW und schien zu warten. Eine Hand war am Lenkrad. Der verkürzte kleine Finger war nicht zu übersehen.
“Eins muss man ihm lassen: Der Mann hat Sitzfleisch”, meinte ich.
“Ich könnte mir denken, dass sein Auftraggeber ziemlich ungemütlich wird, sollte er nochmal scheitern”, vermutete Rudi.
“So oder so möchte ich nicht in seiner Haut stecken”, gab ich zurück.
Wenig später bekamen wir die Bestätigung, dass die Zufahrtsstraßen von den Kollegen kontrolliert wurden. Außerdem hatten sich einige zusätzlich angeforderte Kollegen so postiert, dass es jederzeit möglich war, den BMW zu stoppen, falls Hermlin sich zu einer Amokfahrt entschloss.
Unterdessen näherten wir uns so unauffällig wie möglich dem BMW. Es gab hin und wieder Passanten. Die durften auf gar keinen Fall gefährdet werden.
Wir hatten den BMW schließlich erreicht. Aber Hermlin schien ein untrügliches Gespür dafür zu haben, wann er sich im Visier von Ermittlern befand. Noch bevor Rudi oder ich die Waffe gezogen hatten, startete er plötzlich den Wagen und brach aus der Parklücke aus.
Ein Lieferwagen, der mit leicht überhöhter Geschwindigkeit die Straße in gleicher Richtung entlangfuhr, musste mit quietschenden Reifen bremsen und rutschte seitwärts in ein anderes parkendes Fahrzeug hinein.
Hermlin ließ den Motor des BMW aufheulen. Er trat das Gas voll durch. Der Wagen beschleunigte. Rudi und ich hatten die Dienstwaffen in den Händen. Ich stürzte auf die Straße, stand vor dem abrupt abgebremsten Lieferwagen und riss die Waffe hoch.
Eine Kugel in die Reifen und der BMW hätte seine Fahrt kaum noch fortsetzen können. Aber zwischen mir und dem BMW befand sich eine Frau mit Kinderwagen, die gerade die Straße überquerte.
Es war ausgeschlossen, jetzt zu feuern.
Der BMW hatte beinahe die nächste Ampel erreicht. Die stand auf rot, aber das würde Hermlin wohl kaum daran hindern, einfach rücksichtslos weiterzufahren.
Da brach ein anderes Fahrzeug aus einer Parklücke aus. Es handelte sich um einen Geländewagen mit Kuhfänger.
Ein Fahrzeug aus dem Fuhrpark des BKA.
Hermlin krachte mit seinem Wagen in dessen Rückfront hinein. Da er noch versucht hatte, seitlich an dem Gelände vorbeizukommen, schrammte der BMW nun nach links und stieß gegen ein Straßenschild.
Ich spurtete los. Rudi war mir dicht auf den Fersen und aus einer Hausnische kam Kommissar Rachert vom BKA-Büro Berlin hinzu.
Die beiden Kollegen aus dem Geländewagen sprangen ebenfalls mit gezogener Waffe aus ihrem Fahrzeug.
Ich riss Hermlins Fahrertür auf.
“BKA! Herr Sergej Hermlin, Sie sind verhaftet! Lassen Sie die Hände am Lenkrad, bis ich Ihnen die Waffe abgenommen habe und steigen Sie sehr vorsichtig aus!”
“Das muss eine Verwechslung sein”, meinte Hermlin.
“Das glaube ich kaum”, meinte ich. “Und wenn Sie jetzt sehr klug sind, dann arbeiten Sie mit uns zusammen. Denn andernfalls werden Sie kaum mit Nachsicht rechnen können.”
“Gerichte mögen Auftragskiller nicht”, ergänzte Rudi. “Und ich glaube kaum, dass Sie wollen, dass Ihr Boss mit einem blauen Auge oder vielleicht sogar völlig ungeschoren davonkommt, während man für Sie die Höchststrafe beantragen wird!”
“Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden!”, meinte er.
“Das glaube ich schon”, gab ich zurück. “Aber bevor Sie jetzt noch etwas Unüberlegtes sagen, sollten wir Sie vielleicht über Ihre Rechte aufklären.”
38
Es war bereits dunkel. Börneburg hatte sich in ein Lichtermeer verwandelt. Selim Savonian nahm bereits den zweiten Drink. Er sah nervös auf die Uhr. In der Bar herrschte Hochbetrieb. Stimmengewirr erfüllte den Raum.
Selim Savonian griff zu dem Wegwerf-Handy, das er für die Kommunikation mit Sergej Hermlin benutzte und schickte eine Nachricht, die er mit dem Daumen tippte.
Wo bleibst du?, lautete sie.
Die Antwort ließ nur wenige Augenblicke auf sich warten. Bin gleich da. Wurde aufgehalten.
Savonian trank sein Glas leer. Die Minuten krochen quälend langsam dahin. Jemand lachte ziemlich aufdringlich und übertönte die leise Musik im Hintergrund. Selim Savonian versuchte, die Tür im Auge zu behalten, was aber nicht so einfach war. Zu groß war um diese Zeit das Gedränge. Aber genau das war der Grund dafür, sich hier zu treffen. Ein belebter Ort, an dem man deswegen relativ sicher sein konnte, nicht beobachtet zu werden.
“Hallo, Selim”, sagte eine Stimme hinter ihm.
Selim Savonian drehte sich herum. Er hatte nicht bemerkt, wie Sergej Hermlin in den Raum gelangt war. Aber jetzt stand er vor ihm.
“Ich habe den ganzen Tag über die Lokalnachrichten gehört”, sagte Savonian. “Aber die haben nichts über diesen Leichen-Doc aus Bayern gebracht.”
“Fahndungstaktik”, sagte Hermlin.
“Aber ich dachte, du wolltest diesen Doc mit Sprengstoff erledigen. Und so eine Explosion kriegen viele mit. Die Nachricht darüber lässt sich nicht einfach so unterdrücken.”
“Ich habe mich umentschieden”.
“Ich hoffe nicht, dass du mich veralbern willst.”
“Nein, das würde ich niemals wagen, Selim. Ganz bestimmt nicht.”
“Was ist passiert?”
“Ich habe den Doktor relativ unauffällig umgebracht. In einer Seitenstraße. Leider war ein BKA-Kommissar zu seinem Schutz dabei, den ich ebenfalls kalt machen musste. Und das ist der Grund, warum wir uns hier treffen. Ich brauche einen finanziellen Nachschlag, um ein paar Vorkehrungen treffen zu können, damit ich untertauchen kann. Denn ich fürchte, dass die inzwischen wissen, wer ich bin.”
“Wie konnte das passieren?”
“Keine Ahnung. Vielleicht ist ihnen mein Wagen aufgefallen, vielleicht beobachten die mich schon länger… Dass braucht dich nicht weiter zu interessieren, Selim, denn dein