Ich bemerkte, dass die Dogge, die zu Frau Savonians Füßen lag, den Kopf gehoben hatte. Offenbar war der Hund der Ansicht, dass ich seiner Besitzerin zu nahe gekommen war.
“Es wäre nett, wenn Sie das Foto wieder an die Wand hängen und dann so gütig wären, dieses Haus zu verlassen”, sagte Frau Savonian dann mit scharfem Unterton. Wie auf ein geheimes Zeichen hin erhob sich daraufhin die Dogge und spitzte die Ohren.
“Das Bild werde ich beschlagnahmen müssen”, sagte ich. “Aber den anderen Gefallen kann ich Ihnen gerne tun.”
Rudi erhob sich. “Sie hören von uns, Frau Savonian”, kündigte mein Kollege an. “Ganz bestimmt.”
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Als wir wenig später wieder im Dienst-Porsche saßen und das Grundstück der Savonian-Villa verlassen hatten, scannte Rudi das Foto von der Yacht mit seinem Smartphone und schickte es an Lin-Tai.
Anschließend telefonierten wir mit ihr über die Freisprechanlage des Dienst-Porsche.
“Der Mann, der die Champagnerflasche hält, ist vermutlich der Killer, den wir suchen”, sagte ich. “Er könnte mal Leibwächter von Selim Savonian gewesen sein. Vermutlich ist er es immer noch. Dann würde alles zusammenpassen: Selim Savonian hatte ein gutes Motiv, um die Freilassung seines Onkels zu verhindern und so wieder die Kontrolle über dessen Geschäfte zu verlieren. Und dieser Champagnertrinker mit dem verkürzten kleinen Finger ist vermutlich das, was man so gemeinhin ein ausführendes Organ nennt.”
“Das Bild ist zumindest qualitativ so, dass ich damit schonmal was anfangen kann”, meinte Lin-Tai. “Auf jeden Fall lässt sich die Körpergröße exakt berechnen. Und wenn dann noch die Verkrüppelung des kleinen Fingers der entspricht, die bei dem falschen Elektriker auf dem Überwachungsvideo der Werner Bretzler Halle zu sehen war, haben wir es mit sehr großer Wahrscheinlichkeit mit demselben Mann zu tun.”
“Eine Adresse oder ein Aufenthaltsort wäre mir ehrlich gesagt etwas lieber”, bekannte ich.
“Vielleicht sind Sie ein bisschen anspruchsvoll, Harry!”
“Wollen Sie wirklich, dass Gerold weiterhin aus Sicherheitsgründen unter Bewachung stehen und in einer konspirativen Wohnung zum Nichtstun verurteilt ist, Lin-Tai? Das können wir ihm doch beide nicht antun.”
“Das kann ich vor allen Dingen mir nicht antun.”
“Hat er Sie wieder angerufen?”
“Und Sie haben nicht mit ihm gesprochen, wie Sie es angekündigt haben!”
“Trösten Sie sich. Sein Smartphone-Akku müsste irgendwann leer sein, wenn das so weitergeht.”
“Ich glaube, darauf werde ich lieber nicht warten.”
“Heißt das, es besteht Hoffnung, herauszubekommen, wer der Champagnertrinker ist?”
“Nichts ist unmöglich, Harry, und ich werde wie immer mein Bestes tun. Und bis jetzt war das noch immer gut genug.”
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Wir fuhren zurück nach Berlin. Unterwegs aßen wir einen Hot Dog und telefonierten später von unterwegs mit Herrn Hoch, um ihn auf den Stand der Ermittlungen zu bringen.
“Selim Savonian wird von den Kollegen der Dienststelle Börneburg seit längerer Zeit beobachtet”, sagte ich. “Die warten eigentlich nur darauf, dass er etwas tut, woraus man ihm einen Strick drehen kann.”
“Nur, dass er Ihnen den Gefallen offenbar nicht tut”, meinte Kriminaldirektor Hoch.
“Er ist mindestens so gerissen wie sein Onkel Jörn”, sagte Rudi. “Der wird sich bei nichts erwischen lassen. Aber vielleicht wäre es gut, eine Genehmigung zur kompletten Überwachung seiner Telekommunikation zu bekommen.”
“Die liegt noch nicht vor?”
“Es gab keinen Verdacht, der konkret genug war. Und da bisher alle Ermittlungen gegen Savonian ins Leere gelaufen sind, haben die Kollegen aus Börneburg etwas mit dem Unwillen der Richter zu kämpfen.”
“Ich werde versuchen, mich da einzuschalten”, versprach Kriminaldirektor Hoch. “Vorausgesetzt Sie bekommen die Identität dieses Killers mit dem Finger heraus, wie aussichtsreich können Sie danach eine Verbindung zu Selim Savonian beweisen?”
“Das wird noch ein Problem”, gab ich zu. “Ein gemeinsames Foto auf einer Segelyacht wird dazu kaum ausreichen.”
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Wir hatten die Außenbezirke von Berlin gerade erreicht, als Lin-Tai sich meldete. “Wir haben ihn”, verkündete sie. “Er heißt Sergej Hermlin und die Adresse habe ich Ihnen bereits gemailt.”
“Wie haben Sie das so schnell geschafft?”, fragte ich.
“Ich hätte es schon viel früher herausfinden können, wie ich zugeben muss. Aber ich war betriebsblind. Wie wir alle wahrscheinlich. Ich habe zunächstmal festgestellt, dass Körpergröße und die Art der Verstümmelung des kleinen Fingers offenbar mit der Person übereinstimmen, die wir als falschen Elektriker auf der Aufnahme der Überwachungskamera am Eingang der Werner Bretzler Halle von Wismar gesehen haben. Und dann habe ich diese Merkmale noch einmal in unsere Datenbanken eingegeben. Aber diesmal habe ich nicht bei den Straftätern gesucht, die erkennungsdienstlich behandelt wurden.”
“Sondern?”
“Bei den Opfern. Vor ein paar Jahren gab es einen Überfall. Das Ganze hat sich hier in Berlin vor einem Club abgespielt. Ein Betrunkener hat Selim Savonian mit einem Messer versucht anzugreifen. Sein Leibwächter ist dazwischen gegangen und hat sich dabei am kleinen Finger verletzt. Es gab eine bakterielle Infektion, die es nötig machte, einen Teil des Fingers zu entfernen.”
“Sie haben anscheinend nichtmal Respekt vor den Datenbanken von Krankenhäusern und Ärzten”, meinte Rudi.
“Das steht in dem veröffentlichten Urteil des Prozesses, den es anschließend gegen den Täter gab und der dann wohl auch noch Grundlage einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung war. Die Adresse von damals war übrigens nicht mehr aktuell. Die aktuelle habe ich durch eine zugegebenermaßen etwas abgekürzte Anfrage bezüglich einer Fahrzeugzulassung. Er fährt einen BMW. Kennzeichen habe ich Ihnen auch zugeschickt.”
“Dann steuern wir jetzt am Besten seine Adresse in Berlin an und statten ihm einen ungebetenen Besuch ab”, meinte ich.
“Nein, das tun Sie besser nicht”, widersprach Lin-Tai.
“Aber…”
“Sie werden ihn dort nicht finden und es hat auch keinen Sinn, da auf ihn zu warten.”
“Und was schlagen Sie stattdessen vor, Lin-Tai?”
“Fahren Sie zu der konspirativen Wohnung, von der aus Gerold mich angerufen hat. Hermlin ist nämlich auch dort. Ich habe das GPS-Signal seines Wagens und außerdem langweilt er sich wohl ein bisschen und spielt gerade ein Online-Spiel mit seinem regulären Vertrags-Smartphone. Wenn Sie mich fragen, dann sitzt er zur Zeit einfach in seinem Wagen und wartet darauf, dass Wildenbacher irgendwann die Wohnung verlässt. Übrigens benutzt er anscheinend dasselbe Programm, um Handys zu tracken wie ich.”
“Wildenbacher hätte tatsächlich nicht so oft bei Ihnen anrufen sollen.”
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Wir warnten als Erstes die beiden Kommissars vor, die zurzeit mit der Bewachung von Dr. Wildenbacher betraut waren. Wildenbacher selbst kontaktierten wir nicht. Schließlich wussten wir nicht, wie weit die Überwachung seines Smartphones tatsächlich ging.
“Ein