Wiener Hochzeitsmord. Michael Ritter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael Ritter
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические детективы
Год издания: 0
isbn: 9783839270127
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Champagner zu servieren. Sollten alle zuerst einmal locker anstoßen, und wenn die restlichen Gäste und vor allem der Bräutigam dann eingetroffen waren, würde er alle auf ihre Plätze bitten und den jungen Eheleuten seine speziellen Worte auf den weiteren Lebensweg mitgeben.

      Der Innenhof der Bierklinik war so klein, dass sich gerade eine größere Tafel ausging. Sie hatten also quasi ein »Chambre séparée«, überspannt von der dichten Blattkrone eines Kastanienbaumes, der das einzige Grün in dem Hof war. Der Boden war mit Kieselsteinen bedeckt, bei jedem Schritt, den man tat, knirschte es unter den Füßen.

      Der Kellner stellte ein Tischchen mit dem Sektkübel bereit, der fast randvoll mit Eis gefüllt war. Darin steckte die Champagnerflasche. Jeder würde ein Glas erhalten, zum Anstoßen und um das Brautpaar hochleben zu lassen. Danach herrschte freie Getränkewahl.

      Der Novak sah dem Kellner skeptisch zu. Er freute sich eher auf das, was danach kommen würde: ein ordentliches großes Glas Bier, die weiße Schaumkrone, das von der Kühle des Gerstensaftes außen beschlagene Glas. Sein Zeigefinger bohrte sich in den Kragen, um ihn ein wenig zu lockern.

      Noch immer keine Spur von den anderen, vor allem von Max nicht. Dr. Fried wies den Kellner an, langsam einzuschenken und die Gläser ohne Eile an die Gäste zu verteilen. Er bemühte sich, die Zeit so weit auszudehnen, um dann, wenn die Gesellschaft vollständig war, auf den Punkt genau allen ihre Gläser angeboten zu haben.

      Da kamen sie endlich: Lucia, Frau Dr. Albert Fried und Albert selbst traten fröhlich in den Hof hinaus und nahmen überrascht zur Kenntnis, dass bereits der Champagner ausgegeben wurde.

      »Holla, lieber Bruder!«, rief Dr. Albert Fried aus. »Hast du es so eilig, deine Gäste abzuspeisen und wieder nach Hause zu schicken?« Er lachte als Einziger laut auf und strich sich mit beiden Händen über den Backenbart.

      »Es fehlt noch der Bräutigam«, knurrte Dr. Otto Fried, langsam etwas verärgert. »Hast du ihn gesehen?«

      Dr. Albert Fried schüttelte den Kopf. »Er wird sich schon nicht verlaufen haben«, gab er sich immer noch humorig. »Oder sollte er sich ins falsche Lokal verirrt haben? Er kommt sicher gleich mit dem Priester nach.«

      Dr. Otto Fried verdrehte die Augen. Zwar gab es in die andere Richtung, die Kurrentgasse hinunter dem Judenplatz zu, ein paar Lokale, aber Max Becker wusste genauso Bescheid wie alle anderen. Schließlich hatte Dr. Fried nichts dem Zufall überlassen, auch nicht die genauen Informationen auf den Einladungen, die er fast jedem persönlich überbracht hatte.

      Es war nun sicher annähernd eine halbe Stunde vergangen, seitdem die Hochzeit zu Ende war und alle aufgebrochen waren. Eigentlich hätte Max gemeinsam mit seiner Braut kommen sollen, dachte sich Dr. Fried. Nein, mit seiner Frau, die Amalia nunmehr war. Frau Dr. Amalia Wilhelmina Becker.

      »Ich bin untröstlich!«, hörte Dr. Fried plötzlich Max Beckers jugendliche Stimme. »Es ist mir äußerst unangenehm!«

      Er stürzte überhastet in den Hof und wurde von allen mit »Ah«- und »Oh«-Rufen empfangen. Sein Gesicht glänzte wächsern und war bleich.

      »Ich habe mich plötzlich nicht wohl gefühlt«, erzählte Max Becker in die Runde und trat auf Dr. Fried zu. Leiser fügte er hinzu: »Da musste ich leider ziemlich viel Zeit auf dem … Ort …« – seine Hand wies fahrig auf das Lokalinnere – »zubringen …« Er lächelte beschämt.

      »Das kann vorkommen«, beruhigte ihn Dr. Fried und legte ihm kameradschaftlich die Hand auf die Schulter. In Max’ Augen lag ein wachsähnlicher Glanz. Ihm musste wirklich sehr übel gewesen sein. Hätte ich mir nicht gedacht, dass er so sensibel und nervös ist, überlegte sich Dr. Fried. Doch eigentlich war diese Empfindsamkeit ja ein sympathischer Zug. So gab er seine Tochter wenigstens nicht in die Hände eines gefühllosen Mannes.

      Jetzt musste nur noch Pater Anzelm eintreffen. Falls er überraschend seine Haushaltshilfe, die alte Frau, mitbrächte, würde sich sicher ein Stuhl finden.

      »Dann schlage ich vor, wir stoßen an!«, eröffnete Dr. Fried den zweiten Teil der Feierlichkeiten und reichte Max das letzte verbliebene Glas Champagner. Auch noch auf Pater Anzelms Eintreffen zu warten, bis er den Mittagstisch eröffnete, erschien ihm nun doch zu viel des Guten.

      »Ich hoffe, es wird dir nicht schaden«, flüsterte er ihm zu.

      »Gewiss nicht«, entgegnete Max. »Ich fühle mich schon deutlich besser.« Langsam knirschten seine Schritte über den Kies zu Amalia hinüber, die ihn überglücklich anhimmelte.

      Alle bezogen ihre Plätze. Tante Lucia machte eine unglückliche Miene über den leeren Stuhl neben sich und lächelte verlegen zu Amalia hinüber, die gemeinsam mit Max Becker schräg gegenüber in der Mitte der Tafel saß. Das Paar wurde eingerahmt von den Eltern, danach ging es in lockerer Aufteilung der Verwandtschaft weiter. Lediglich der Novak unterbrach diese Logik.

      Dr. Frieds Ansprache war nicht gefühlsbetont. Dazu war er nicht der richtige Mann. Sie beinhaltete eher einen nüchternen Plan für eine langwährende Ehe. Ein Rezept. Georg schien Dr. Frieds Worte nicht zu goutieren, denn er flüsterte immer wieder zu seiner Frau hinüber, verzog das Gesicht und schüttelte sogar einmal den Kopf. Dr. Fried ließ sich davon nicht irritieren. Am Ende seiner Rede nahm er höflichen Applaus entgegen, eine kräftige Umarmung seiner Tochter und eine respektvollen Händedruck seines Schwiegersohnes.

      Also konnte es mit dem vorbestellten Menü losgehen. Der Novak ließ sich ein Seidel Bier kommen und schien sofort wesentlich entspannter, als der Kellner es vor ihm auf den Tisch stellte. Während die Vorspeisen aufgetragen wurden, entspannen sich die ersten Tischgespräche kreuz und quer über alle Köpfe und Plätze hinweg. Ein gutes, geselliges Chaos, wie es sich Dr. Fried gewünscht hatte.

      Tante Lucia warf immer wieder einen Blick auf den freien Stuhl zu ihrer Rechten. Es schien sie zu irritieren, dass Pater Anzelm immer noch nicht zu ihnen gestoßen war. Er müsste doch längst alles in seiner Kapelle in Ordnung gebracht haben.

      Dr. Fried bemerkte die Unruhe seiner Schwägerin. Eigentlich hätte es ihm nichts ausgemacht, wenn Pater Anzelm trotz Zusage der Feier ferngeblieben wäre, aber Tante Lucia strömte eine Nervosität aus, die auch ihm Unbehagen verursachte.

      »Du solltest nach ihm sehen und ihn zu uns herüberholen«, meinte sie schließlich. »Und wenn es nur für ein paar Minuten ist. Das gehört sich einfach so.«

      Dr. Fried gab sich geschlagen. Während sich alle an der Vorspeise delektierten, stand er langsam auf und legte die Serviette auf dem Stuhl ab.

      »Verhindern Sie doch bitte, dass der Kellner meinen Teller abserviert«, wandte er sich an den Novak, der sich Bierschaum von der Oberlippe wischte. »Ich bin gleich wieder da.«

      Der Novak nickte stumm und säbelte an einer hauchdünnen Schnitte kalten Rindsbratens herum. Das Fleisch war exzellent. Wenigstens konnte Dr. Frieds Essen nicht kalt werden.

      Während sein Chef über den Kies schlurfte, schien der Novak so richtig Freude an diesem Teil des Hochzeitsfestes zu haben. Er kannte den Menüplan bereits, Dr. Fried hatte ihm alles ausführlich erzählt und auch von den harten Verhandlungen mit dem Inhaber der Bierklinik berichtet, bei denen es um jede einzelnen Krone gegangen war. Dr. Fried war noch nie ein Mensch gewesen, der sein Geld leichtfertig ausgab.

      Das alte Paar saß immer noch wortlos und blickintensiv an seinem Tisch. Der Teller mit Suppe war inzwischen abserviert und durch einen anderen mit einem herzhaften Schweinsbraten ersetzt worden. Dieser würde wohl ebenfalls mit wenig Beachtung bedacht werden und erkalten, befürchtete Dr. Fried, während er dem Ausgang zustrebte.

      »Ich bin gleich wieder da«, rief er einem der Kellner zu, der in seiner Geschäftigkeit jedoch keine Notiz von ihm nahm.

      Dr. Fried bog von der Steindlgasse in die Kurrentgasse ein und stand vor dem Eingang zu Haus Nummer 2. Die Tür war nicht abgeschlossen, sondern nur angelehnt. Er trat ein. Sofort hatte er das Gefühl, völlig allein in dem Gebäude zu sein. Akustisch wirkte es leer. Er stieg die abgetretenen Stufen hinauf. Der Zugang zur Kapelle stand noch so weit offen wie zuvor, als er die Hochzeitsgesellschaft als Erster verlassen hatte. Auch die