Schöner sterben in Wien. Dagmar Hager. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dagmar Hager
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783839269848
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langes rotes Kleid schnürte mich ein und nahm mir die Luft zum Atmen, aber dank meiner bequemen Tanzschuhe war wenigstens an den Füßen Ruhe. Heute würde es noch lange kein Entkommen in bequeme Jeans und Sneakers geben. Denn während mein kunstsinniger Kollege Elias für die kulturellen Belange zuständig war, durfte ich mich um den »gesellschaftlichen« Teil kümmern, sprich diverse Empfänge der Hauptsponsoren abklappern und natürlich von dem Davor und Danach dieser Premiere, einmal mehr eine Mozart-Oper, berichten.

      Nach dem vormittäglichen Festakt war ich am Mittag zum Empfang des neuen Hauptsponsors der Festspiele ins direkt an der Salzach gelegene Hotel Sacher Salzburg marschiert, über den mit Tausenden Schlössern verzierten Makartsteg.

      Der Hauptsponsor war interessant, aber man hatte mir strikt verboten, über das Tuschelthema derzeit zu sprechen: darüber, dass die Festspiele mit Freuden dessen steuerschonend in der Schweiz geparktes Geld annahmen, ohne sich weiter an seiner Geschichte zu stören: Der Milliardenkonzern hatte in der NS-Zeit jede Menge jüdisches Raubgut transportiert.

      Ich schüttelte die finsteren Überlegungen ab und kehrte zu den aufgeregten Premierengästen zurück. Es waren jedes Jahr dieselben Gesichter. Gäbe es nicht die neuen Kleider, könnte ich genauso gut das Material aus dem Vorjahr nehmen. »Stell dir vor«, fragte ich meinen heutigen Kameramann Marco, der gerade sein Zeug zusammenpackte, »Mozart würde heute leben. Was, glaubst du, würde ihm zu all dem einfallen?«

      Der grinste. Er war jung und interessierte sich für Gaming-Computer und Deutschrap. Sein Smoking hing an ihm herunter wie ein Zelt. »Na, der würde wahrscheinlich das Geld dieser Säcke nehmen und mit einer Klima-Symphonie auf Welttournee gehen. ›C02 fan tutte‹ oder so, per Schiff natürlich und in lauter ausverkauften Stadien!«

      Jetzt grinste auch ich.

      Da fiel mein Blick auf einen attraktiven Mann mit grauem Haar. Groß, schlank, gebräunt, perfekt geschnittener Smoking. »Ach, da schau her«, murmelte ich erfreut, »schon wieder du!«

      Das jugendlich wirkende Gesicht, das so ansprechend mit den grauen Haaren kontrastierte, gehörte keinem Geringeren als meinem Gin-Tonic-Mann aus dem Wiener Rathaus von letzter Woche! Mit einem Mal wurde der Abend interessant. Das war aber auch ein gestanden schönes Mannsbild! Sein Alter? Schwer zu schätzen. Vielleicht Ende 40? Mr. Grey schien allein da zu sein.

      Leider ertönte gerade die Glocke zum Beginn der Premiere, und da sich die Menge daraufhin geschlossen in Bewegung setzte, verlor ich ihn aus den Augen. Mit ein wenig Glück würde ich ihn nachher auf der Premierenfeier wieder treffen und mehr erfahren. Hier kam man schnell unverbindlich ins Gespräch.

      Schon lange nicht mehr hatte ich jemanden auf den ersten Blick so attraktiv gefunden.

      Allerdings: Auch bei Georg hatte ich nur ein paar Sekunden gebraucht, um ihm zu verfallen.

      Mit schauerlichen Folgen.

      5

      MARLENA

      Prag, zur selben Zeit

      Schon am zweiten Abend hatte sie das System durchschaut, weil es im Grunde genommen weder verdeckt ablief noch jemanden sonderlich interessierte.

      Außer sie, natürlich.

      Marlena schlug ihre kurzen Beine übereinander, die in für sie ungewohnten schwarzen Hosen steckten. Normalerweise waren sie nur Jeans oder Cargos gewohnt und flache Schuhe an den Füßen. Doch dort quälte sie jetzt ihr einziges Paar High Heels. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie heute mit Blasen an den Fersen und gefühlsarm gequetschten Zehen nach Hause gehen.

      Wenigstens passte ihr das Zeug noch, zugenommen hatte sie also nicht. Auch das ebenfalls schwarze ärmellose Oberteil mit dem enganliegenden Kragen hütete sich davor, unbequem zu sein, und streckte ihre eher stämmige Figur.

      Sie nahm einen Schluck von ihrem Wasser, wobei der Lippenstift unschöne Flecken am Glas hinterließ, kratzte sich am Ohr und dachte sehnsüchtig an ihre bequeme Zweitgarderobe in der eleganten Ledertasche zu ihren Füßen. Und dass sie angemalte Lippen hasste.

      Ihr Cousin Jani schien nicht zu bemerken, wie unwohl Marlena sich fühlte. Er lungerte in seiner lässigen Freizeitkluft im Polstersessel neben ihr und war ganz in sein Smartphone vertieft. Wieder einmal Fortnite, mutmaßte Marlena. Seit ein paar 17-Jährige die WM gewonnen und Millionen von Dollars kassiert hatten, arbeitete er Tag und Nacht daran, deren Nachfolger zu werden.

      Seine ersten paar Kronen würde er sich jedenfalls heute Abend verdienen. Nicht mit Fortnite natürlich. Es gab keine bessere Tarnung als einen desinteressierten, schlampig angezogenen 14-Jährigen, deshalb hatte sie ihn gerne für seine Anwesenheit bezahlt. »Echt jetzt?«, hatte Jani erfreut gemeint. »Es gibt bar Kralle fürs Herumlungern und Gamen? Cool! Kann ich daraus ein Businessmodell machen?«

      Sie hatte ihn am Schlafittchen gepackt. »Nein. Und kein Wort zu irgendjemandem, sonst ist die Kohle futsch, verstanden?«

      Und da saßen sie nun.

      Gestern war sie nur hier gewesen, um das Terrain zu erkunden, aber das hatten ein paar Typen falsch verstanden und sie angequatscht. Weil sie weder Lust auf eine Wiederholung hatte noch auffallen wollte, hockte jetzt Jani neben ihr und machte sie quasi unsichtbar.

      Unauffällig ließ sie den Blick schweifen.

      Das war in der Tat ein nobler Schuppen. Hypermodern, mit viel grauem Glas und Holz. Der Luftraum über der Lobby zog sich bis unter die Glaskuppel in mindestens 20 Metern Höhe. Wenn sie den Kopf in den Nacken legte, konnte sie den Abendhimmel sehen.

      Die Sessel, in denen Jani und sie Platz genommen hatten, waren aus dunkelgrünem Leder und standen auf einem farblich passenden dezent gemusterten Teppich. Das Ambiente gab sich kühl, aber dennoch ansprechend. Auch viele andere Gäste schienen so zu empfinden und hatten sich – versorgt mit Bier, Wein und anderen Flüssigkeiten – ebenfalls hier niedergelassen. Ein trotz Sommertemperaturen flackernder fünf Meter breiter Kamin mit Gasflammen tat ein Übriges.

      Marlenas Blick fiel auf die junge Frau, die ihr schon gestern aufgefallen war. Sie saß sehr aufrecht etwas abseits in einem Stuhl, trug ein enges schwarzes Kleid, das knapp über dem Knie endete, und hohe silberne Schuhe. Das schwarze Haar war aufgesteckt, das Make-up dick, aber unaufdringlich. Seit gut 20 Minuten hatte sie ihr Telefon nicht aus der Hand gelegt und fest umklammert gehalten, während ihr Blick sich im Nichts verlor.

      Jetzt ging ein Ruck durch ihren üppigen Körper. Offensichtlich war eine Nachricht eingegangen. Kurz musterte sie das Display, dann stand sie auf und schlenderte zu den Aufzügen.

      Dort wartete Marlena schon, lächelte sie unverbindlich an und stieg in den Lift, der innen mit grauem Glas versehen worden war, in dem sich ihre beiden Silhouetten schmeichelhaft spiegelten.

      »Wohin?«, fragte die Frau mit leiser Stimme.

      »23, bitte«, sagte Marlena und nannte das oberste Stockwerk mit der Rooftop-Bar. Die Frau würde damit jedenfalls früher aussteigen.

      Sie drückte auf den Knopf mit der 17.

      Ein leises Ping zeigte das richtige Stockwerk an.

      Die Frau straffte sich erneut, trat aus dem Lift und wandte sich suchend nach links. Marlena folgte ihr mit etwas Abstand. Auch hier war alles in Grau und Grün gehalten, dazu Holztüren mit dezent angebrachten Nummern. Eine davon wurde eben geöffnet.

      Marlena beeilte sich. Im Vorbeigehen fiel ihr Blick auf einen dünnen Mann in Anzughose und offenem Hemd, der der Schwarzhaarigen ein Glas Sekt anbot und sie gierig anlächelte. Dann fiel die Tür ins Schloss.

      Bestätigt fuhr Marlena zurück in die Lobby und setzte sich wieder zu Jani, der ihre kurze Abwesenheit kaum bemerkt zu haben schien. »Okay, Bro, das war’s für dich!«, sagte sie leise. »Dein Geld hast du ja schon bekommen, jetzt zisch ab!«

      »Das war’s schon?«, wunderte sich ihr Cousin, trollte sich aber ohne Widerstand.

      Eine Stunde später war die junge Frau wieder da. Mittlerweile zeigte die Uhr fast Mitternacht. Ohne nach links oder rechts zu schauen,