Sie schnippte mit den Fingern. »Ich mache es wie dein Durstewitz – ich bin einfach mal weg. Ohne Lebewohl und Auf Wiedersehen. Erst recht nicht dem Chef gegenüber. Der ist sowieso weniger an meiner Buchhaltung als am Inhalt meiner Bluse interessiert.«
»Werden die dich vermissen?«
»Will ich doch hoffen, aber so wichtig bin ich da nicht. Nach ein paar Wochen haben sie mich wahrscheinlich vergessen.«
Wieder einmal fiel Hans auf, wie wenig er über Tonja wusste. Er hatte keine Ahnung, wann und warum sie nach Deutschland gekommen war und was sie zuvor in ihrer Heimat getrieben hatte. Sie hatte immer abgeblockt, wenn er darauf zu sprechen kam.
Er stand auf, bereit zu einem letzten Rundgang. Er klapperte ein Zimmer nach dem anderen ab, hielt eine letzte Zwiesprache mit dem modernen Ensemble von Memphis, dann mit dem eleganten Treca-Bett im Schlafzimmer mitsamt diverser Erinnerungen, auch aus der Vor-Tonja-Zeit. Im Designerbad nahm er sich die Manschettenknöpfe aus Platin, an denen sein Herz hing. Er schnüffelte dem kalten Rauch im Kamin des Wohnzimmers nach, ein finaler Blick streichelte das handgewachste Parkett. Wer würde hier einziehen, was würde derjenige mit seinen Möbeln machen? Müßige Fragen. In einer letzten, heftigen Geste schnappte er sich die Gallé-Vase (»Teichrosen«, Nancy um 1904, signiert), wickelte sie in ein T-Shirt und quetschte sie zu den Dokumenten in der Aktentasche, die sich mittlerweile aufblähte wie ein Hebammenköfferchen.
»Fertig?« Tonja stand bereits in der Eingangstür, sie trug über Jeans und T-Shirt einen roten Leinenblazer.
Hans hatte für den Abgang eine feine Hose, ein graues Seidenjackett im Knitterlook und handgefertigte Schuhe gewählt. Wenn er sich schon ins Unbekannte stürzte, dann mit einem Minimum an Stil.
Es war dunkel geworden, aber immer noch drückend heiß.
Hans warf den Bund mit den Hausschlüsseln in den Briefkasten des Hausmeisters.
Tonja grinste. »Vorbildlich! Hast du dich auch brav vom Finanzamt verabschiedet?«
»Lach du nur. Was wird aus meiner Rente? Ich hab jahrelang freiwillig eingezahlt beim Staat, bringt später sicher einige Hundert Euro.«
»Pah! Fang endlich an, groß zu denken!«
»Im Moment denke ich kleiner als klein, zum Beispiel an die Miete.« Ein letztes Mal sah Hans die nachtstille Myliusstraße hinauf und hinunter, dann startete er den Jaguar. Er sagte zu Tonja: »Nur damit du es weißt – meine Vermieterin ist eine alte Dame, die von den Mieten lebt. Sie war immer fair zu mir. Die kriegt als Erste ihr Geld überwiesen, von Zagreb aus oder von wo auch immer.«
Tonja legte ihm besänftigend eine Hand aufs Knie. »Keine Sorge, es wird alles gut.«
5. Kapitel
Auf der Fahrt
Bald waren sie auf der Autobahn, der Wagen schnurrte Richtung Osten. Im Rückspiegel sah Hans die funkelnde Frankfurter Skyline hinter dem Horizont verschwinden. Er fuhr in die Schwärze hinein. Der Osten hatte schon immer etwas Bedrohliches für ihn. Das Gefühl hielt sich, als sie Nürnberg passierten, und es wurde stärker, als sie hinter Passau Österreich erreichten.
Würde er Deutschland je wiedersehen?
Wo fuhren sie überhaupt hin? Tonja hatte ihn gebeten, das Navigationsgerät wegzuwerfen, und wortkarg die grobe Richtung vorgegeben: Nürnberg, Passau, Salzburg, Villach, Karawankentunnel. Kurz vor dem Tunnel sollte er irgendwo anhalten und sie aufwecken.
Als Hans nun an der Grenze zu Slowenien kurz vor dem Karawankentunnel einen Parkplatz sah, fuhr er von der Autobahn ab. Tonja wachte von alleine auf und griff zu ihrem Handy. Während sie telefonierte, leerte Hans zwei Kanister Benzin in den Tank des Jaguars. Das betagte Stück hatte bisher nicht schlapp gemacht, sondern treu seine Dienste geleistet.
Tonja stieg aus und sagte: »Wir fahren nach Guguljak. Das ist mein Heimatdorf, 50 Kilometer südlich von Zagreb. Ich habe Tihomir, meinen Vater, angerufen, er erwartet uns.« Sie packte die Brötchen aus und servierte Kaffee aus der Thermoskanne.
Sie waren allein auf dem Parkplatz. Hans sog die Nachtkühle ein. Über ihnen ein halber Mond, den immer wieder Wolkenbüschel verdeckten.
Tonja hob ihren Kaffeebecher. »Einen Toast auf Durstewitz!«
»Wie bitte?«
Tonja biss in ein Schinkenbrötchen und meinte: »Wir haben ein Riesenglück gehabt. Ohne dieses Konto, das du mit ihm gemeinsam hast, hätte die Sache nie geklappt.«
»Ich verstehe kein Wort.«
»Es ist gar nicht so einfach, online schnell mal ein paar Hundert Millionen zu überweisen – das gibt es nur im Fernsehen. Heute arbeiten die Banken mit einem Online-Limit. Die meisten Kunden dürfen pro Tag maximal 5.000 überweisen. Firmen natürlich mehr, je nach Umsatz.«
Hans begann es zu dämmern. »Durstewitz hatte das Konto schon, als wir zusammenkamen und uns gegenseitig Vollmachten für alle Konten erteilten. Er hat darüber früher einen Teil seiner Geschäfte abgewickelt. Export/Import im großen Stil. Daneben hat er ein bisschen spekuliert, klang alles sehr kompliziert, mit Derivaten und Optionen, mit Long and Short. Das war nicht unbedingt meine Welt.«
Tonja nickte. »Und es lief offenbar lange recht gut für deinen Durstewitz, mit unglaublich hohen Umsätzen, da flipperten die Millionen nur so hin und her. Genau das konnte ich jetzt ausnutzen, ohne auf den ersten Blick aufzufallen. Wir waren ja kräftig im Plus, der Concom-Computer sah keinen Anlass, Alarm zu schlagen.«
Auch Hans nahm sich ein Brötchen. »Wenn ich mich recht erinnere, sind noch 200.000 auf dem Konto. Warum?«
Tonja machte eine generöse Geste. »Ich hätte es peinlich gefunden, alles bis auf den letzten Cent abzuräumen.«
Das gefiel Hans. »Ja, das hat Stil.«
Tonja fuhr fort: »Ich habe die knapp 200 Millionen in drei Tranchen unterteilt, jede mit einer schön unrunden Summe. So wollte es auch Drago.«
»Wofür ist der eigentlich bei der Zagorska Banka zuständig?«
»Für den Zahlungsverkehr mit dem Ausland. Es hat alles gepasst.« Sie lachte.
»Darf ich teilhaben?«
»Ich stelle mir gerade Durstewitz vor, sollte er durch irgendein Wunder davon erfahren, was sich auf seinem alten Konto getan hat. Der würde glotzen wie ein bosnischer Ochse. Was meinst du, wo er sich aufhält?«
Hans dachte kurz nach. »Keine Ahnung, hängt von seiner Kassenlage ab. Entweder logiert er in einem Fünf-Sterne-Hotel in Paris oder er schlürft Muckefuck in einem Männerwohnheim in Offenbach.«
Ach, Durstewitz, der Charmante, der Umtriebige. Fünf Jahre hatten sie zusammengearbeitet, Durstewitz hatte viele Kunden beigebracht und die Finanzen im Antiquitätengeschäft geregelt. Das Trüffelschwein hatte auch den prächtigen Nachlass auf einem Schloss in Oberhessen ausfindig gemacht. Einzigartige Renaissancemöbel, ein paar Schwergewichte aus dem Barock, dazu einige erlesene Stücke von David Roentgen und eine hübsche Sammlung Aquarelle von Picasso. Für manche dieser Objekte hatte Hans schon Interessenten gehabt, es wäre der Coup schlechthin gewesen. Die Concom-Bank hatte den Kauf des ganzen Nachlasses vorfinanziert, und nun wollte sie ihr Geld zurück. Von ihm, der so treuherzig gewesen war, Friedbert Durstewitz blind zu vertrauen. Friedbert, das klang anheimelnd, fast ein wenig doof. Aber im Gegenteil: Der Gute war alles andere als das.
Tonja drängte zum Aufbruch. Sie übernahm das Steuer, wofür Hans dankbar war, der Tag hatte ihn erschöpft. Er machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem. Tonja fuhr schnell und sicher. Er musterte sie von der Seite, ihr volles Haar, ihre schimmernden Wangen, die Schenkel, die sich unter den eng sitzenden Jeans abzeichneten. Er war süchtig nach ihr, da war nichts zu machen.
Bevor Hans wegdämmerte, zogen die Gedanken in Schwaden durch sein überspanntes Hirn. Heute Morgen hatten ihm noch 200 Millionen