Christa Steinberg, die Dame des Hauses, strahlte vor Begeisterung. Schon jetzt stand fest, dass die Party ein großer Erfolg werden würde, an die hundert Gäste, die sich glänzend amüsierten, waren der Einladung gefolgt. Sogar die Presse war gekommen, zwei Stadtverordnete gaben sich die Ehre, der Oberbürgermeister hatte einen riesigen Blumenstrauß geschickt und sich wegen dringender Amtsgeschäfte entschuldigt, Oberstleutnant von Neumühl strich zwar noch wie ein gereizter Tiger durch die Räume, aber seine Stimmung würde sich bessern, sobald Marga eingetroffen war.
Wenzel trennte sich von seiner Frau und steuerte eine Gruppe älterer Damen an, die offenkundig eifrig über die Veränderungen in der Villa Steinberg ratschten. Der Auftrag hatte ihn viel Schweiß gekostet, Christa Steinberg liebte es protzig, sodass er viel Zeit und Diplomatie hatte aufwenden müssen, um sie zu seinen Vorstellungen zu bekehren. In ein hypermodernes Haus mit viel Glas und Holz passten nun mal keine grüngoldenen Tapeten mit Zierkordeln, auf die sie sich so gefreut hatte. Kein falsches Biedermeier. Während er die Hausfrau bearbeitete, hatte Dorothee den Hausherrn bei guter Laune gehalten, was, wie sie klagte, ihrer Leber schwer geschadet hatte; denn Emil Steinberg beherzigte den dummen Spruch, den er einmal von einem Balten gehört hatte: »Von den leichten Tischweinen ist mir der Cognac noch der liebste.«
Weinert hatte den Wenzels eine klare Weisung erteilt: »Ihr lasst euch nicht auf politische Diskussionen ein. Wenn’s losgeht, sondert ihr ein paar markige Sprüche ab, die Gewerkschaften sind der Untergang Deutschlands, warum sollen Menschen, die sich nicht einmal selbst ernähren können, auch noch wählen dürfen, aber danach haltet ihr die Klappe, verstanden?«
Dieter und Dorothee hatten eifrig genickt. Für ihr Einrichtungsstudio D & D fanden sie Auftraggeber eher bei Arbeitgebern denn Arbeitnehmern. Den Teufel würden sie tun, sich den mühsam errungenen Zutritt zu potenziellen Kundenkreisen durch dezidierte politische Äußerungen zu verschütten.
»Steinberg ist ein Reaktionär, aber viel zu gewitzt, um aktiv zu werden. Den dürft ihr vergessen, okay?«
»Kapiert.«
Ob die Wenzels wirklich kapiert hatten, warum er sie einsetzte? Mit großen Bauchschmerzen übrigens, er traute beiden nicht. Dieter war ein Schönling, charmant und gewissenlos, gerissen, aber nicht intelligent, vor hundert Jahren hätte er als Gigolo wohl ein bequemes Leben geführt. Aus Doro wurde Weinert nicht recht schlau, sie hatte ein hübsches Gesicht mit verhangenen Augen und eine biegsame Figur, die sie gern in engen Kleidern vorführte; das Repertoire unverbindlicher Smalltalk-Sprüche beherrschte sie mit einer Geläufigkeit, die Weinert an eine Prostituierte für gehobene Ansprüche erinnerte. Vorjahren hatten sie sich dem Verfassungsschutz angedient und seitdem magere, aber korrekte Informationen geliefert, doch Weinert hätte nie und nimmer bei einer so großen Sache auf die Wenzels zurückgegriffen, wenn ihm ein anderes Paar zur Verfügung gestanden hätte. Sein Misstrauen ging so weit, dass er sie sogar über die Zielperson täuschte: »Achtet auf den Oberstleutnant von Neumühl. Aber Vorsicht, der Knabe wittert Neugierige zehn Meilen gegen den Wind.«
Doro Wenzel plauderte mit einem Weißhaarigen, der Millimeter um Millimeter näher rückte, was sie nicht zu bemerken schien, und verzückt auf ihr enges Oberteil mit dem weiten Ausschnitt schielte. Dieser Oberstleutnant könnte sie auch außerdienstlich interessieren, aber leider war vor zehn Minuten eine junge Frau hereingetrampelt, auf die er mit der Heftigkeit einer Kavallerie-Attacke losgegangen war. Rein äußerlich passten sie gut zusammen, beide groß und mager, und wenn er wirklich so gerne ritt, wie ihr Christa Steinberg anvertraut hatte, musste ihn das Pferdegesicht der strubbeligen Brünetten entzücken. Heimlich seufzte Doro und glitt ihrerseits näher an den alten Lüstling heran. Das war ein erprobter Trick; denn jetzt musste er sich entscheiden, wie weit er die Annäherung treiben wollte, und sie hatte richtig kalkuliert, er wurde nervös, stammelte etwas von alten Freunden und entfernte sich hastig.
Dieter Wenzel erreichte endlich unauffällig die Gruppe um den Hausherrn. Steinbergs Nase glänzte schon rötlich, er hatte sie mit einer halben Flasche Cognac begossen und den Zustand erreicht, alle Welt zu lieben, ausgenommen jene Mitmenschen, die ihm seinen geschäftlichen Erfolg nicht gönnten. Wenn er glücklich schwieg, war Steinberg zu ertragen.
»Nein, davon habe ich auch einmal geträumt, Herr Nehrling. Aber wie sieht es denn in Wirklichkeit aus? Sie fangen klein in einem Ortsverein an, müssen Kassierer und Schriftführer spielen, die Parteisporen verdienen, bis Sie sich zur Wahl des Ortsvereinsvorsitzenden stellen dürfen. Dann ackern Sie wieder mehrere Jahre, bis Sie den Kreis Vorsitz erreicht haben. Wohlgemerkt, mit viel Glück, denn nebenbei verdienen Sie als anständiger Mensch Ihre Brötchen, während die Pfiffigeren, die schon in der Schule mit ihrer Parteikarriere begonnen haben, die Funktionärsposten besetzen und über viel Zeit verfügen, sich bei den Parteifreunden lieb Kind zu machen.«
»Gut, das alles bestreite ich nicht, aber Sie geben doch zu, dass wir Unternehmer uns engagieren müssen. Sonst sitzen in den Parlamenten nur noch Berufspolitiker, die keine Ahnung
von der Wirtschaft haben und unsere Sorgen und Nöte gar nicht kennen.«
»Engagieren? - Ja, natürlich. Aber müssen es die Parteien sein?«
»An denen führt nun mal kein Weg vorbei, Herr Schönborn«, warf ein kleiner Brillenträger ein.
»Das eben bezweifele ich mittlerweile. Es gibt Verbände, Vereine, Presse und Organisationen. Man muss nicht unbedingt die Parteileiter erklimmen, um oben erschöpft festzustellen, dass der Misthaufen noch höher ist.«
Das beifällige Gelächter ließ Wenzel aufhorchen. Auch Nehrling stimmte ein.
»Wissen Sie, was ich manchmal denke?« Schönborn schaute in die erheiterte Runde. »Diese Flut von Gesetzen und Vorschriften, Regelungen und Ausnahmebestimmungen, alle am grünen Tisch entworfen, signalisieren Angst. Angst unserer Staatsdiener vor der Freiheit, vor individueller Tüchtigkeit. Diesen Sesselhockern fehlt es an Initiative, Selbstbewusstsein, Vertrauen in das, was sie ständig predigen, deshalb wollen sie möglichst alles kontrollieren. Ängstliche Demokraten - ist das nicht ein Widerspruch in sich?«
Wenzel lächelte zustimmend. Auf sein Gedächtnis war Verlass, er konnte ganze Unterhaltungen wörtlich wiederholen, und was dieser Schönborn da äußerte, würde Weinert interessieren.
»Manchmal erlaube ich mir den ketzerischen Gedanken, dass wir bald die Demokratie vor denen schützen müssen, die sich zu ihren Gralshütern aufgeschwungen haben.«
»Oho!« - »Hört, hört!« - »Sie lassen aber auch nichts aus!« Lautes Lachen, aber auch leiser Protest, Schönborn blinzelte siegesgewiss in die Runde. Seine unbändige Lust am Provozieren war allgemein bekannt, aber Schönborn registrierte auch zwei, drei forschende Blicke. Steinberg winkte aufgekratzt einer der hübschen jungen Damen, die sich mit vollen Tabletts durch die Reihen seiner Gäste schoben.
»Und das, meine Herren, nicht nur in Deutschland, sondern im ganzen demokratischen Europa! Nicht der Euro wird regieren, sondern Paraneuroa.« Schönborns harter Ton wurde durch sein charmantes Grinsen abgemildert.
Dieses zweibeinige Pferd!, dachte Doro erbost. Nicht die geringste Hoffnung, den Oberstleutnant in ein Gespräch zu verwickeln; er marschierte draußen im Garten auf und ab, diese Marga an seiner Seite und das Ganze im militärischen Gleichschritt. Es fehlte nur noch, dass sie die Hacken zusammenschlugen, wenn sie kehrtmachten!
»Sie passen gut zusammen, nicht wahr?«
Doro fuhr herum, sie hatte die Frau nicht kommen hören, die sich neben sie gestellt hatte und stillvergnügt das Paar betrachtete. »Er reitet und sie züchtet Pferde.«
»Wirklich?« Wenn Doro schon mit ihm nicht reden konnte, sollte sie wenigstens Informationen sammeln.
»O ja. Mit viel Erfolg übrigens.«
»Es sieht aber nicht so aus, als unterhielten sie sich ausschließlich über Pferde.«
»Gut möglich. Georg - der Oberstleutnant