Extra Krimi Paket Sommer 2021. A. F. Morland. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: A. F. Morland
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Зарубежные детективы
Год издания: 0
isbn: 9783956178986
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Und jetzt muss ich weiter. Tschüss.«

      Amüsiert sah ihr Rogge nach, Gertrud hatte irgendwann verlernt, langsam zu gehen, sie stürmte davon, als würde sie sonst vor Energie platzen. Doch sie kam nicht weit, ein Mann mit weiten, flatternden Hosen und einem unförmigen knielangen Umhang überquerte den Marktplatz und kreuzte ihren Kurs. Gertrud blieb stehen, der Mann redete sie an und Gertrud antwortete. Leider war sie schon zu weit weg, dass Rogge ihr Gesicht erkennen konnte, er kaute auf seinen Lippen, Gertruds Haltung verriet mehr Unbehagen als Höflichkeit. Als der Mann eine Hand nach ihr ausstreckte, wich sie zurück, rief noch etwas und raste davon. Der Mann kehrte Rogge den Rücken zu, blieb noch einen Moment stehen und schaute Gertrud nach, schlurfte dann sehr viel langsamer weiter und verschwand in einem Durchgang. Nein, kein Mann, das war eine Frau, nach den Bewegungen zu urteilen. Mit der Sympathie war das so eine Sache, dachte Rogge, wenn der eine zu viel und der andere gar keine aufbrachte.

      Auf dem Rückweg machte Rogge einen kleinen Abstecher in den Stockauer Supermarkt. An einer Kasse saß die junge Frau, die von dem Quartett mit so anzüglich-beifälligem Gelächter begrüßt worden war, als sie den Bären betrat.

      Bis neunzehn Uhr war keiner aus dem Quartett im Bären erschienen. Rogge überlegte, dass er eigentlich noch keine Lust hatte, sich schon auf sein Zimmer zu verziehen. Ein weiterer kleiner Spaziergang schien angesagt und deshalb holte er sich aus seinem Zimmer den Feldstecher und bummelte über die Feltenwiese den Hang Richtung Autobahnparkplatz hoch. Für Mitte September war es einfach zu warm und im Tal staute sich die Hitze regelrecht. Außer ihm schien kein Mensch unterwegs. Als er den Buschsaum erreichte, hörte er wieder deutlich die Autobahn und empfand sie nach der Stille unten als störend lärmig.

      Rogge wusste selbst nicht, was er hier wollte oder erwartete. Natürlich war es ein idealer Ort, um eine Frau loszuwerden, aus welchen Gründen auch immer, aber warum hatte Inge Weber sich das ohne Gegenwehr gefallen lassen? Wann hatte sich das graue Loch aufgetan? Nachdem sie aus dem Auto geschoben, geschubst, gezerrt, gestoßen worden war? Oder war ihr Gedächtnisverlust der Grund dafür gewesen, dass sich der Fahrer dieser Frau entledigt hatte?

      Rogge saß auf einer der unbequemen Bänke des Parkplatzes, rauchte und sinnierte. Nach einer halben Stunde kehrte er um.

      Vor der Einmündung des Wirtschaftsweges in die asphaltierte Straße beobachtete er ein Pärchen, das die Straße entlangging und miteinander zu streiten schien. Den jungen Mann erkannte er sofort an seinem Nackenzopf wieder, auch die junge Frau kam ihm bekannt vor, aber erst als sie zufällig den Kopf in seine Richtung drehte, schaltete er: Das war die junge Frau, die am Dienstag nach ihrer Begleiterin den Bären betreten und von dem Kraftmeier-Quartett so hämisch begrüßt worden war. Die beiden bemerkten den Kommissar nicht, ganz in ihre Auseinandersetzung vertieft, und Rogge blieb stehen, bis sie außer Sicht waren.

      Im Bären hockte sich Rogge auf seinen alten Platz und Gertrud brauste sofort heran: »Na, noch Durst, Herr Rogge?«

      »Aber immer.«

      Olli, der Wirt, gähnte. Er hatte seine Lieblingshaltung eingenommen, eine Hand auf den Tresen gestützt, mit der anderen ewig beschäftigt, sich über den Kopf zu streichen, und dabei studierte er eine Zeitung. Rogge hatte er nur einen flüchtigen Blick gegönnt, sein Vorrat an Freundlichkeit schien limitiert.

      »So, Ihr Bier.«

      »Danke, Gertrud.«

      Sie hatte Lust auf ein Schwätzchen und blieb stehen. »Wie war der Abendspaziergang?«

      »Angenehm. Ich bin über die Wiese zum Parkplatz hochgelaufen.«

      Sie nickte.

      »Von der Wiese aus kommt man ja direkt zur Autobahn«, heuchelte er und wieder nickte sie rasch: »Ja, der Parkplatz heißt Feltenwiese, wie die Wiese.«

      »Wenn ich heimfahre, spare ich mir den Umweg über Dreschbach.«

      »Das tun einige«, stimmte sie nervös zu und sah sich nach dem Wirt um, den es vor Gähnen zu zerreißen schien. »Dann mal zum Wohl.«

      Mit ausdrucksloser Miene sah Rogge Gertrud nach. Man absolvierte nicht fünfundzwanzig Jahre Dienst bei der Kripo, ohne zu merken, wann ein Zeuge mit sich rang, ob er lieber schweigen oder reden sollte. Drängeln nutzte dann gar nichts, da half nur Geduld und davon besaß er mehr als genug, auch für Gertrud.

      Zwei Männer brachen auf, als Rogge sein erstes Glas geleert hatte. Selbst der Wirt quälte sich ein unverständliches Brummen ab und Gertrud rief fröhlich: »Gute Nacht, Herr Doktor. Gute Nacht, Herr Wilhelms.«

      Kurz danach zahlten auch zwei andere Gäste, offenbar ein Ehepaar, das so aussah, als gehöre es nicht zu den Dorfbewohnern. Rogge zögerte, und als Gertrud in seine Nähe kam, fragte er halblaut: »Wollen Sie schließen?«

      »Nein, nein, bleiben Sie ruhig. Noch ein Bier?«

      »Ich möchte nicht, dass Sie nur meinetwegen ...«

      »Aber nein.« Zum Tresen rief sie: »Noch ein Bier.«

      Olli rülpste, schüttelte den Kopf und faltete die Zeitung zusammen; kaum war Olli verschwunden, erschien die schwarzhaarige Schönheit und nahm seine Stelle ein, sie brachte immer noch das Kunststück fertig, keinen Menschen direkt anzusehen. Gertrud störte es nicht, Rogge gewann sogar den Eindruck, dass sich die beiden Frauen gut verstanden, und die Gäste riefen nur halblaut: »Hei, Angi« oder »’n Abend«.

      Erst jetzt bemerkte Rogge den Großen, der rechts an der Wand saß, offenbar auf den Stammplätzen der jungen Dorfwilden. Zwar drehte der sofort den Kopf zur Seite, aber Rogge hatte den gehässigen Ausdruck mitbekommen, und danach beobachtete er unauffällig, wie der Hinkende Gertrud mit den Blicken verschlang und jedes Mal, wenn sie zu ihm an den Tisch kam, vergeblich versuchte, sie in ein Gespräch zu verwickeln. So nett sie war, es steckte doch ein kleines Biest in ihr, denn sobald sie ihn kurz und schnippisch abgefertigt hatte, tänzelte sie hüftschwenkend davon. Du meine Güte, da zappelte einer aber gewaltig an einem Haken. Die Wut, die der Große nicht verbergen konnte, wenn er ihr nachblickte, alarmierte Rogge.

      Gut eine Stunde später erschien Olli und löste seine Frau wieder ab. Sie wollte noch etwas sagen oder fragen, aber er winkte so herrisch ab, dass sie furchtsam von ihm abließ und verschwand. Olli goss sich einen fünffachen Schnaps ein, den er in einem Zug kippte. Den anschließenden Durst löschte er mit so viel Bier, dass Rogge der Nachruf auf viele Wirte einfiel: Er war sein bester Kunde. Auch Gertrud zeigte sich besorgt, aber noch zapfte Olli wie ein Automat. Wenn er so weitersoff, musste er in zwei Stunden umkippen wie ein nasser Sack.

      Der letzte Rogge bekannte Gast kam kurz nach zehn, die junge, stark angemalte Frau aus dem Supermarkt. Der Hinkende verzog das Gesicht zu einer verächtlichen Grimasse, was ihr nicht entging, sie blieb stehen, stützte beide Hände auf den Tisch und beugte sich vor, um ihm etwas zuzuflüstern. Eine Liebeserklärung war es sicherlich nicht. Denn als sie sich aufrichtete und zum Tresen ging, glühte ihr Gesicht vor Zorn hochrot. Olli beachtete sie nicht und der Hinkende schnitt eine Fratze, als plagten ihn Zahnschmerzen.

      Mit einem flüchtigen Winken verschwand der Wirt durch die Tür, die zur Küche und den Privaträumen führte, Gertrud füllte das Glas auf, schaltete im hinteren Teil das Licht aus und kam dann so langsam auf Rogge zu, dass er ein leises Lächeln nicht unterdrücken konnte. Gertrud die Eilige hatte etwas auf dem Herzen und deshalb fragte er sie freundlich: »Wollen Sie sich einen Moment zu mir setzen?«

      »Darf ich? - Ja, gerne.«

      Ihre Verlegenheit war jetzt mit Händen zu greifen. »Sie möchten mir etwas sagen, nicht wahr?«

      »Woher wissen Sie das?«

      »Es ist mein Beruf, Gertrud.«

      »Ja, sicher ... weil Sie mir in Herlingen ...« Sie verhaspelte sich, schluckte und nahm allen Mut zusammen: »Sind Sie — sind Sie - wegen Monika hier?«

      »Wegen Monika? - Nein, ich kenne keine Monika.«

      Er sah, wie sie sich entspannte und anzulehnen wagte. Offensichtlich war ihr ein Stein vom