Während Alexander unten die Küche aufräumt und sich deshalb für einen modernen Mann hält, suche ich oben auf dem Dachboden nach den Resten meiner alten Tagebücher, in der Hoffnung etwas zu finden, was mir mit meinem neuen Schreibprojekt weiterhilft. Ich glaube zwar, mich zu erinnern, dass ich sie vor langer Zeit peinlich berührt von den Ergüssen einer Heranwachsenden vernichtet hatte, auf alle Fälle noch bevor wir hier ins Haus gezogen sind, aber ganz sicher bin ich mir nicht. Vielleicht ist doch noch etwas von früher übrig.
Im Gerümpelschrank unter dem Dach stoße ich auf alte Reiseführer, Wörterbücher und Lexika. Noch weiter hinten stehen Lehrbücher der Wirtschaftswissenschaften und der Anglistik. A Handbook to English Romanticism, Mad Women in Romantic Writing. Neugierig blättere ich in den roten Taschenbüchern, Geschichte der englischen Lyrik 1 und 2, Abriß der englischen Metrik. Ungelesene Romane füllen in Zweierreihung einen Regalboden, geschenkte Gegenwartsliteratur lebender Autoren von zur jeweiligen Zeit aktuellen Bestsellerlisten, die ich nie gelesen oder nach den ersten Seiten aufgegeben habe. Es sind auch missglückte Geburtstagsgeschenke für Alexander darunter – von anderen Leuten, nicht von mir. Ich habe schon vor einem halben Leben damit aufgehört, ihm Bücher aufzunötigen.
Dann fällt mir das schwarz gebundene Büchlein in die Hand, in dem ich bereits im Gymnasium angefangen hatte, Zitate zu sammeln. Ich lächle über mein schwärmerisches Schülerinnen-Ich und schlage die erste Seite auf. Lese, blättere weiter. Jetzt staune ich doch. Natürlich sind ein paar unvermeidliche Klassiker, Song-Texte und andere kitschige Sachen dabei, auch Jans schwülstiges Gedicht. Es steht sogar sein voller Name darunter. Aber bei so manchem, was ich damals notierenswert fand, bleibe ich noch heute hängen: das Ungenügen der Sprache, die Unsagbarkeit der wahrhaft wichtigen Dinge, das Risiko, das in dem Versuch steckt, sein Leben wirklich zu leben, die Gefahr, sein Leben zu verpassen, weil man nicht lebt, um zu leben, sondern nur, um andere glauben zu machen, man hätte gelebt. Dazu der trotzige Spruch aus meiner eigenen Feder, der in der wilden Zeit entstand, als es mit meiner großen romantischen Liebe zu Ende ging: Lieber hoch hinauffliegen und abstürzen, als immer nur am Boden herumzukriechen, ohne je zu wissen, wie es ist, zu fliegen.
Kurz darauf der letzte Eintrag. Es ist ein Zitat von Umberto Eco, und ich schenkte es Friedrich zum Abschied:
Das Bedürfnis sich zu verlieben: Gewisse Dinge spürt man kommen, man verliebt sich nicht einfach, weil man sich verliebt, man verliebt sich, weil man in der betreffenden Zeit ein verzweifeltes Bedürfnis hat, sich zu verlieben. In solchen Zeiten, wenn du die Lust verspürst, dich zu verlieben, musst du gut aufpassen, wohin du die Füße setzt: Es ist, als hättest du einen Liebestrank getrunken, einen von denen, die dich in das erstbeste Wesen verliebt machen, das dir begegnet. Könnte auch ein Schnabeltier sein.
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