Pinzetten, Skalpell, Knochensäge, Zangen … sogar gebogene Nadeln und aufgewickeltes Rosshaar war dabei! All das war ein Vermögen wert.
»Danke«, hauchte ich.
»Du bist jetzt achtzehn Winter und eine ausgebildete Heilerin. Ich könnte nicht stolzer auf dich sein!« Sie drückte mich noch einmal. Dann schob sie mich an den Schultern weg von sich. »Steck die Schatulle gleich ein. Du solltest sie immer dabeihaben!«
Ich hob die Tasche auf meinen Schoß und schlug die Lasche zurück. Sie war randvoll mit wichtigen Dingen. Was konnte ich entbehren? Kramend entschied ich mich für den Topf.
Alraune beobachtete mich verwundert. Mit dem Kopf deutete sie auf den riesigen Haufen Taschen. »Kannst du mir sagen, was das hier soll?«
»Wir müssen fliehen, jetzt gleich!«, stammelte ich.
Eine von Alraunes Augenbrauen zog nach oben. »Wegen Ulrik, meinst du?«
»Woher weißt du das?«
»Weil Roderik zusammengebrochen ist. Ich war die ganze Nacht auf der Burg.«
Der Baron … Das machte alles nur noch schlimmer!
Ich sprang auf, meine Stimme schrill. »Und Korvinus? Ist er schon auf dem Weg hierher?«
Alraune knetete ihre Hände und schüttelte den Kopf. »Den habe ich nicht gesehen. Es hieß, er sei in der Nebelschlucht und hebe aus, was dort noch zu finden sei – solange es regnet.«
»Und Finn? Hast du den gesehen?«
»Nein. Sollte ich?«
Erleichtert atmete ich auf. Trotzdem mussten wir fliehen, bevor Frias Geschwätz größere Kreise zog. Ich half Alraune von der Bank hoch. »Komm! Alles andere erkläre ich dir auf dem Weg.«
Sie setzte an zu protestieren.
Da klopfte es.
Wir erstarrten.
Bei Mavanja, waren sie schon da? Hatten sie meinen letzten Satz gehört?
Alraune sah auf die vielen Taschen auf dem Tisch, die Augen weit.
Schnell packte ich das Gepäck und verfrachtete es so leise wie möglich in die Küche und klapperte dort mit den Töpfen, als ob ich Frühstück bereitete.
»Moment, ich komme!«, rief Alraune derweil.
Es klopfte noch einmal, dringlicher. Und schon platzte jemand herein.
Gerade noch zog ich meinen Kopf in die Küche zurück, lauschte.
»Alraune, du musst kommen!«, keuchte Finn. Er war wohl gerannt, den ganzen Weg aus dem Dorf.
»Was ist passiert?«
»Hedwig und Ida! Sie … sie … ihnen geht’s nicht gut!«
Finns Schwestern. Nun wagte ich mich doch in die Stube hinaus.
Finn sah erschöpft aus. Genauso erschöpft, wie ich mich fühlte.
»Ein Unfall?«, fragte Alraune.
»Was? Nein, Bauchweh, Erbrechen … so schlimm hab ich es noch nie gesehen. Kommt schnell, bitte!«
Alraune wandte sich mir zu, unsere Blicke trafen sich. Sie legte ihre Hand auf meine Schulter, drückte sie kurz. »Du musst gehen, nachsehen, wie ernst es ist. Nimm Magenbitter mit.«
Aber wenn es dann zu spät ist?
Tränen wallten wieder in mir hoch, doch ich schluckte sie hinunter. Finn durfte sie nicht sehen, vor allem der nicht.
Alraune aber sah sie, die Angst in meinen Augen. Sie umarmte mich, machte es mir nur noch schwieriger, nicht loszuheulen. Ich vergrub mein Gesicht in ihrem Nacken.
»Sei stark, Verbena. Eine gute Heilerin lässt niemanden im Stich«, flüsterte sie mir ins Ohr und gab mich wieder frei.
Den Blick zu Boden gerichtet, stürmte ich in die Heilerei und steckte den Magenbitter in meine schon viel zu volle Tasche.
»Gehen wir«, sagte ich zu Finn und zog mir die Kapuze über den Kopf.
Alraune stand beim Tisch, winkte mir. »Ich warte auf dich.«
Schnellen Schrittes stapften Finn und ich durch den Regen.
»Was habt ihr vor?«, fragte er.
Weg von hier! Weg von dir! Und von Korvinus.
Konnte Finn sich das nicht zusammenreimen, nach dem, was Fria ihm gestern erzählt hatte? Oder gab es noch Hoffnung? Einen Versuch war es wert.
»Nach Arnbruck. Alraune will mir die neue Heilerin dort vorstellen …«
Meine Güte, fiel mir das Lügen inzwischen leicht. Wie sehr ich mich selbst dafür verabscheute, mich und Korvinus und die Hüter, die mich dazu zwangen.
»… als Geburtstagsgeschenk«, fügte ich hinzu.
»Zum Henker!« Er schlug sich auf die Stirn. »Das habe ich in der Aufregung vergessen. Alles Gute!« Schon war sein Arm um meine Schulter. Er zog mich zu sich heran und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
»Danke«, murmelte ich. Am liebsten hätte ich den feuchten Abdruck gleich wieder weggewischt. Ich wand mich unter seinem Arm heraus. »Deine Schwestern …«
Sofort wurde er wieder ernst und ging schneller. Er führte mich zu dem mir wohlbekannten Haus am Dorfplatz, gleich neben dem Tempel. Drinnen rannte er die steile Treppe hinauf und wies mir den Weg in eine der Kammern.
Es roch erbärmlich – nach Erbrochenem und Durchfall. Die armen Mädchen.
Finns Mutter kam mir entgegen. »Verbena, endlich! Escha sei Dank.«
»Erika, was ist passiert?«
Sie zog mich in die Kammer, in der unter der Dachschräge drei Betten standen. In zweien davon lagen die Mädchen, gekrümmt und wimmernd. Nur durch ein kleines, offenes Fenster in einer Gaube drang ein wenig Licht. Ich stellte mich daneben, um frische Luft zu haben.
»In der Nacht hat es angefangen. Hedwig zuerst, sie erbricht in einem durch. Ida nicht, aber sie hat Schmerzen, das sehe ich ihr an.« Erika setzte sich auf die Bettkante und strich ihrer kleineren Tochter über die Stirn.
Ida wälzte sich umher, die Augen geschlossen. Sie hustete und rang nach Atem.
Bei Escha, war es das, was ich vermutete?
Erika sah ratlos zu mir auf.
»Was haben die beiden gegessen?«, fragte ich sie.
»War nicht zu Hause gestern … auf Anprobe bei der Wirtin. Am Herd hing irgendeine Suppe.«
Ich rannte an Finn vorbei hinunter in die Küche. Über der kalten Feuerstelle war ein Kessel. Ich streckte die Nase hinein. Knoblauch?
Finn kam mir hinterher.
Ich sah zu ihm auf. »Wer hat das gesammelt?«
»Den Bärlauch?« Er hob die Schultern. »Die beiden waren gestern allein daheim.«
Während du in der Gaststube gesessen bist?!
»Schütt das weg! Am besten in eine Grube. Achte darauf, dass es niemand isst. Nicht einmal die Schweine«, fauchte ich ihn an. Dann schob ich ihn beiseite und rannte wieder hinauf.
»Erika, der Durchfall … ist er blutig?«
Sie sah mich entgeistert an. Dann nickte sie.
»Escha stehe uns bei!« Der Magenbitter würde in diesem Fall nicht helfen. Ich sank neben ihr auf die Knie und nahm ihre Hände für ein gemeinsames Gebet. »Escha, wir bitten dich, schenke