Das Komplott der Senatoren. Hansjörg Anderegg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hansjörg Anderegg
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783967526882
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ganz sicher zu gehen, kontrollierten sie in aller Eile die Etiketten der noch nicht abgeholten Güter am Kai Q6, bevor sie sich zum Schiff wandten. Sie hatten das Fallreep der Spassky noch nicht erreicht, als sich ihnen vier Männer mit versteinerten Mienen in den Weg stellten. Soweit Lee es beurteilen konnte, waren es Einheimische, die nicht danach aussahen, als ließen sie mit sich spaßen.

      »Stopp, was wollt ihr?«, schnauzte sie einer an.

      »Zum Captain. Wir wollen zum Captain«, knurrte Lee streitlustig zurück, »und wer seid ihr?« Der Anführer der Viererbande machte einen drohenden Schritt auf sie zu.

      »Der Captain ist nicht da. Ihr habt hier nichts zu suchen, verzieht euch!« Das war zuviel für ihn. Trotzig trat er näher, bereit, dem anderen jederzeit an die Gurgel zu springen, doch Sayed zerrte ihn plötzlich am Hemdsärmel zurück und flüsterte aufgeregt:

      »Goondas!«

      »Goon – was?« Sayed deutete verstohlen auf die Männer, aber Lee hatte die Messer in ihren Händen längst bemerkt. »Komm, weg hier.« Widerstrebend folgte er seinem Mitarbeiter. Kaum waren sie außer Hörweite, klärte ihn Sayed auf. Als Goondas bezeichnete man hier Mitglieder krimineller Banden, und deren gab es viele in dieser Gegend. Selbstredend gab es Gesetzte gegen das Bandenwesen, aber die nützten nicht viel, solange sie nur auf Papier standen. Es sah ganz danach aus, dass jemand mit Gewalt verhindern wollte, dass er den Frachter betrat, aber weshalb?

      Sayed musste sein ganzes diplomatisches Geschick einsetzen, um ihn vor einem Ausraster im Büro der Hafenpolizei zu bewahren. »Es ist das gute Recht des Kapitäns, jemanden nicht aufs Schiff zu lassen«, betonten die Beamten. Das wusste er auch, aber sein gutes Recht war es, Auskunft über seine teuer bezahlte und dringend benötigte Ware zu erhalten. Die nervenaufreibende Odyssee in der Hafenverwaltung brach er nach einer Stunde selbst ab. Mit konstanter Boshaftigkeit endeten sämtliche Vorstöße stets mit dem Hinweis auf die Transportfirma und die Versicherung. Allmählich begann er zu glauben, dass die für das Projekt lebenswichtigen Pumpen tatsächlich nicht angekommen waren. Eine Katastrophe, denn sie hatten keinen Plan B. Chicago würde er erst in ein paar Stunden anrufen können. Alles hatte sich gegen ihn verschworen.

      Sie fuhren wortlos zur Fabrik zurück. Ihm wurde übel beim Gedanken, das Projekt für unbestimmte Zeit auf Eis legen zu müssen.

      Die Krisensitzung mit seinen Teamleitern förderte wenigstens einen kleinen Hoffnungsschimmer zutage. Wenn sie die alten Pumpen in Reihe schalteten, könnte die Förderhöhe überwunden werden, aber sie brauchten zwei solche Konstruktionen. Das hieß für Sayeds Männer, nochmals zwei Ersatzpumpen, Ventile und Röhren zu organisieren. Trotzdem saß der Schock tief, war die Stimmung unter den Leuten bedrückt, denn diese Alternative bedeutete Zeitverlust und beträchtliche Mehrkosten.

      An diesem Abend hatte keiner Lust auf ein gemeinsames Essen, das sonst zum Tag gehörte, wie das Schrillen des Weckers am frühen Morgen. Um acht Uhr rief Lee die Transportfirma in Chicago an. Die freundliche Sachbearbeiterin bestätigte ihm nach kurzer Suche, was er im Grunde genommen schon wusste. Das Material hatte die USA auf diesem Schiff verlassen, daran gab es keinen Zweifel. Resigniert nahm er zur Kenntnis, dass die Versicherung wenigstens einen Teil des Schadens bezahlen würde. Die Sache stank zum Himmel. Mit dieser Spassky stimmte etwas ganz und gar nicht. Er kannte sich selbst gut genug, dass er gar nicht erst versuchte, die Geschichte zu verdrängen. Ohne zu wissen, was los war, fände er keine Ruhe mehr. Wenn sich die offiziellen Stellen blind und taub stellten, musste er die Sache selbst in die Hand nehmen.

      Ein paar Minuten später saß er wieder im Auto und ließ sich, mit einer Taschenlampe bewaffnet, zum Hafen fahren. Diesmal schlich er sich vorsichtig an den Frachter heran. Der Kai lag verlassen im Dunkeln. Auf dem Schiff brannten nur die Positionslichter, und einige Fenster des Deckhauses waren erleuchtet. Er blieb stehen, horchte, schaute sich angestrengt nach allen Seiten um, dann näherte er sich dem Fallreep. Kein Mensch war zu sehen, nur das gleichmäßige Plätschern des Wassers und das verhaltene Brummen der Generatoren waren zu hören. Er setzte einen Fuß auf die Treppe. Das Metall ächzte leise und er hielt erschreckt inne. Als alles ruhig blieb, wagte er den nächsten Schritt. Unendlich langsam stieg er die Treppe entlang der Schiffshülle hinauf. Wieder horchte er angestrengt, bevor er einen Blick aufs Deck wagte. Schwarz und verlassen lag die Ladeluke vor ihm und ein erleichtertes Grinsen huschte über sein Gesicht, denn trotz der Dunkelheit konnte er deutlich erkennen, dass sie noch offen war. Er schwang sich über die Reling, als ihn plötzlich ein heller Lichtstrahl traf. Eine Tür am Deckhaus flog auf und Stimmen ertönten. Blitzschnell sprang er aufs Fallreep zurück und kauerte sich in der Dunkelheit an die Schiffshülle. Niemand rief nach ihm. Gott sei Dank, sie hatten ihn nicht gesehen. Schon atmete er auf, doch kurz danach näherten sich schwere Schritte. Wenn das die verfluchten Goondas waren, hatte er ganz schlechte Karten. Seine Muskeln spannten sich. Mit jeder Faser seines Körpers bereitete er sich auf den unvermeidlichen Angriff vor. Das dumpfe Geräusch der Schritte war jetzt unmittelbar über seinem Kopf, aber es verstummte nicht wie erwartet. Der Unbekannte ging weiter. Ein Matrose vielleicht, der seine gewohnte Runde machte. Erst als er ihn nicht mehr hörte, wagte sich Lee aus seinem Versteck. Noch vorsichtiger als bisher huschte er, jede Deckung ausnützend, zur Luke und glitt geräuschlos wie eine Schlange die eiserne Leiter hinunter in den nachtschwarzen Laderaum.

      Er verkroch sich in die hinterste Ecke, setzte sich auf den rauen Holzboden und lauschte. Eine Weile hockte er bewegungslos im Dunkeln, bevor er es wagte, die Lampe einzuschalten. Dann begann er seine Suche. Auf den ersten Blick fiel ihm auf, dass der Laderaum keineswegs leer war, und er schöpfte wieder Hoffnung. Vielleicht fand er die vermisste Palette doch noch auf diesem verhexten Frachter. Er wollte sich systematisch an den Wänden entlang arbeiten und anschließend gegen die Mitte der riesigen Ladeluke vordringen. Aber wo sollte er beginnen? Der Lichtkegel seiner Lampe schweifte langsam durch den Raum, bis er an einer leer geräumten Stelle stehen blieb. Dort hatten wohl die übrigen DT-Paletten gestanden. Aufgeregt sprang er auf die Lücke zu. Zu spät sah er den Stahlträger, der hinter einem mannshohen Stapel Kisten den Weg versperrte. Mit voller Wucht prallte seine Stirn gegen das Metall. Er ging lautlos zu Boden, nur der dumpfe Aufprall auf den Planken war zu hören.

      Lee hörte und spürte nichts, als das Fallreep hochgezogen, die Taue eingeholt, die Dieselmotoren angelassen wurden und die Spassky mitten in der Nacht in See stach.

       Spassky

      Das aufdringliche Piepsen wollte nicht aufhören, genauso wie der unerträgliche Druck in seinem Kopf. Das Geräusch schien näher zu kommen, wurde lauter. Jeder Ton versetzte ihm einen neuen Stich ins Gehirn. Ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte, brach das Piepsen ab, doch nach einer Weile begann es von neuem. Leise zuerst, dann immer lauter bis zur Unerträglichkeit. Lee schlug die Augen auf und starrte verwirrt in die Finsternis. Endlich realisierte er, woher das schmerzhafte Geräusch kam: sein Handy weckte ihn. Sechs Uhr früh, Kochi Time. Er setzte sich abrupt auf und fiel gleich wieder hin, als bestünde sein Kopf aus Blei. Stöhnend krümmte er sich, hielt sich den Schädel, versuchte sich zu erinnern. Seine Stirn glühte, die Schläfen pochten wie ein Zweitakter, er atmete flach und schnell, glaubte zu ersticken. Ihm war speiübel und gleichzeitig fühlte er sich seltsam abgehoben, berauscht, als hätte er einen besonders krassen Joint geraucht. Er versuchte aufzustehen, doch seine Knie knickten wieder ein. Mühsam setzte er sich auf und begann die gefühllosen Beine zu massieren.

      Wie von fern hörte er das Stampfen der Schiffsdiesel, da traf ihn die Erkenntnis wie ein Blitz. Die Spassky war in See gestochen, und er saß kraftlos als blinder Passagier im verschlossenen Laderaum. Nach seinem Handy zu urteilen konnten sie schon neun Stunden unterwegs und somit dreihundert oder mehr Kilometer von der Küste entfernt sein. Er war mit größter Wahrscheinlichkeit auf hoher See, auf dem Kahn einer Mannschaft, der er keine Sekunde über den Weg traute. Und es gab keine Möglichkeit, mit seinen Leuten zu kommunizieren. Eines Tages wirst du dich gründlich in die Scheiße reiten, hatte ihm Anna einmal wütend ins Gesicht geschleudert. Es sah ganz danach aus, als wäre dieser Tag jetzt gekommen.

      Die Luft war zum Schneiden. Es stank nach Dieselöl und das Atmen fiel ihm immer schwerer. Zudem wirkte der halb leere Frachtraum wie ein gigantischer Resonanzkörper, der den Lärm der stampfenden