Das ZdK musste nun nicht mehr einvernehmlich mit den Bischöfen handeln, und auch die Passepartout-Formel von der erforderlichen Bestätigung grundsätzlicher Beschlüsse war weggefallen. Aber ob die neu ermöglichten Beiräte zur Beratung der ZdK-Organe und der DBK mit deren Kommissionen eingerichtet würden, wurde ebenso wie ihre Zusammensetzung und ihr Vorsitz von der Zustimmung der Bischofskonferenz abhängig gemacht (§§ 2 b und 12 Abs. 4). Neu eingeführt wurde ein Generalsekretariat mit Sachreferaten. Geführt wurde es von einer eigenartigen Doppelspitze. Der Laienleiter heißt Generalsekretär und leitet in einem nicht näher konturierten „Zusammenwirken“ mit dem Geistlichen Direktor (seit 1968 Bischof Hemmerle, Aachen). Diesen leitungsbeteiligten Direktor im selben Atemzug als geistlichen und theologischen „Berater“ des ZdK zu bezeichnen (§ 11), verschleiert seine mögliche faktische Bedeutung. Beibehalten wurde der weiterhin von der Bischofskonferenz bestellte Bischöfliche Assistent (früher: Generalassistent). Als Verbindungsmann zwischen DBK und ZdK war er berechtigt, an den Sitzungen aller Organe des ZdK (Vollversammlung, Geschäftsführender Ausschuss, Präsidium) teilzunehmen (§ 10) und sicherte so den Informationsstand der Hierarchie über alle wesentlichen Vorhaben und Aktivitäten des Komitees. Eine äquivalente Vertretung des ZdK bei der Bischofskonferenz gab es nicht. Zur „institutionellen Sicherung“ der Zusammenarbeit fanden wenigstens einmal im Jahr gemeinsame Planungsgespräche zur Beratung gemeinsamer Fragen zwischen den Vorsitzenden der Kommissionen der Bischofskonferenz und dem ZdK-Präsidium sowie den Vorsitzenden der Beiräte statt.65
In enorm wortreichen grundsätzlichen Erwägungen zur Funktion des ZdK skizzierte sein Geistlicher Direktor dieses als „Gespräch“ auf mittlerer Ebene zwischen Zentrum und Peripherie. Dabei gelte:
„Gespräch ist nur dort, wo zwar jeder zu Wort kommt, aber alle, aufeinander hörend, auf das Eine hören; anders gewendet: Gespräch ist dort, wo zwar alle sich aneinander, an eine gemeinsame Ordnung im Hören aufs eine Wort binden, wo aber gerade dadurch alle dazu freigesetzt werden, ihr eigenes Wort zu sagen, an dem so freilich nicht nur das Recht und Gewicht eigener Meinung, sondern die hörende Verantwortung fürs Ganze mit hängt. Jedem Partner fällt sein Wort, sein Beitrag zu, und doch ‚gehört‘ jedem Partner nicht nur ein Teil des Gesprächs, sondern das ganze Gespräch …, in welchem sich Eigenständigkeit und Vielfalt ‚von unten‘ und Ordnung, Zusammenhang und Einheit des vielfältigen Gesamten ‚von oben‘ begegnen und befruchten“66.
Was hier tief philosophisch daherkommt, ist bei näherer Betrachtung wieder das katholisch-definierende Sprachdiktat als Vernebelung der hierarchischen Überordnung zum Zwecke ihres Erhalts. Und was hier noch undeutlich anklingt, dass nämlich die alle verpflichtende Ordnung und Einheit natürlich von jenem Oben kommt, dem der Sprecher angehört, wird im Laufe des Textes explizit, wenngleich scheinbar en passant eingespielt: Weder fehlt der Hinweis auf die Kirche als „gegliederte Gemeinschaft“67 noch auf „die eigene unverrechenbare Zuständigkeit kirchlichen Leitungsamtes“68. Entsprechend gehe es darum, „die verschiedenen Hinsichten und Weisen der allgemeinen Mitverantwortung in der Kirche … zu einem Zusammenspiel zu führen, das zugleich alle einzelnen Initiativen und das eine Leben des Ganzen fördert und entfaltet“69. Es gibt „in der gemeinsamen Verantwortung für alles verschiedene Weisen dieser Verantwortung, … dem Leitungsamt der Kirche … bleibt die Sorge fürs Ganze aufgetragen, es bleibt der Garant der Einheit des Ganzen“70. Was nottut, ist „die Wechselwirkung, die Zusammenarbeit … In ihr muß aber darauf geachtet werden, daß der eigene Stand und Rang der verschiedenen Aufgaben nicht eingeebnet wird“71.
Ohne Weisungsbefugnis koordinierte das ZdK damit die Arbeit des funktional gegliederten Verbändewesens auf der einen und die territorialen Zusammenschlüsse der Laien auf Bistumsebene auf der anderen Seite. Laut Satzung sollte es weiterhin Anliegen nicht „von“, sondern „der“ Katholiken in der deutschen Öffentlichkeit und im Ausland vertreten (§ 2). Dies erweckte wieder statuarisch den Eindruck einer Repräsentation, der faktisch nicht gedeckt war und in der eigenen Außendarstellung bestritten wurde. Gegen den Wortlaut des eigenen Statuts wurde „entschieden“ verneint, eine Gesamtvertretung der deutschen Katholiken zu sein:
„Eine Vertretung der Katholiken selbst ist es aber zweifellos nicht. Das Zentralkomitee hat nicht den Ehrgeiz, Repräsentationsorgan der deutschen Katholiken zu sein. Es geht ihm nicht um Repräsentation, etwa im Sinne von Laienparlamenten, sondern um die Zusammenfassung der Kräfte, die im Laienapostolat tätig sind“72.
Forderungen nach Demokratisierung lehnte die ZdK-Führung strikt und systemgerecht mit dem Hinweis auf den Stiftungscharakter der Kirche ab und diffamierte sie als „Verspätungserscheinung der Emanzipation des Laien in der vorkonziliaren Phase“73.
Hoch- und Überdruck
Dennoch erhöhte sich der innerkirchliche Druck. Denn die universalkirchlichen Autoritäten glaubten weiterhin an hierarchische Steuerung und Entscheidung als Integrationsinstrumente. Schon Mitte 1966 hatte die Kongregation für die Glaubenslehre die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen ermahnt, den konziliaren Erneuerungsprozess auch zu überwachen. Irrtümer, wie vor allem das ordentliche Lehramt des Papstes zu vernachlässigen oder gar zu missachten, als sei ihm gegenüber eine freie Meinungsäußerung möglich, seien zu unterdrücken.74
Diese Ermahnung kam nicht von ungefähr. Denn zu dem Druck der Reformerwartungen, für die das Konzil als Katalysator wirkte, kam ein weiterer akut sehr verstärkend hinzu. Seit Längerem war bekannt, dass die Kommission zur Beratung des Papstes in der Frage, ob die ablehnende kirchliche Haltung zur Empfängnisverhütung geändert werden könnte, ihre Arbeit abgeschlossen hatte. Zudem war der Beratungsstand (Mehrheit pro Veränderung, Minderheit pro Beharrung) geleakt und der öffentlichen Diskussion ausgeliefert worden.75 Die nun anstehende Entscheidung des Papstes ließ aber weiterhin auf sich warten und erhöhte, je länger je mehr, die Enttäuschungsfurcht der Katholiken.
Der Episkopat befürchtete vor allem eine unkontrollierbare Situation. Kardinal Frings bat im Frühjahr 1967 den Papst, „baldmöglichst eine autoritative Entscheidung“ zur Geburtenregelung zu treffen. Andernfalls werde „es kaum noch möglich sein, einer Erklärung der Kirche Nachdruck zu verleihen“76. Am 22. September 1967 gaben die deutschen Bischöfe ein „Schreiben an alle, die von der Kirche mit der Glaubensverkündigung beauftragt sind“77, heraus, mit dem sie der römischen Mahnung in ambivalenter Manier nachkamen: „Wir haben dem Konzil gegenüber immer eine doppelte Aufgabe: Wir müssen vorbehaltslos anerkennen, was es Neues bringt; das gleiche Gewicht aber hat die andere Aufgabe, das Neue als Entfaltung des überlieferten Glaubensbestandes zu begreifen und aufzuzeigen“78. In präventiv-abfedernder Absicht gegen die befürchtete Lehrbeharrung79 wurde zudem einerseits die Autorität des kirchlichen Lehramts betont, andererseits aber ungewöhnlich ausführlich die, wenngleich durch viele Einschränkungen marginalisierte, grundsätzliche Möglichkeit eines Irrtums des ordentlichen nicht-unfehlbaren Lehramts ventiliert sowie zugleich der Eindruck erweckt, als sei eine Gewissensentscheidung in Abweichung von diesem Lehramt als grundsätzlich legitim vorstellbar.80
Damit waren jedoch die Erschütterungen nicht zu verhindern, die von der Enzyklika „Humanae Vitae“ vom 25. Juli 1968 ausgelöst wurden. Viele Laien wie Priester lehnten die Entscheidung des Papstes rundweg ab. Die einen sammelten sich zu Protestaktionen oder richteten öffentliche Appelle an die Bischöfe, den Papst umzustimmen. Andere emanzipierten sich gänzlich von einer Gewissensjustierung durch die kirchliche Autorität. Manche Priester waren froh, dass ihre mühsame Treue zur Lehre im Beichtstuhl nicht vergebens gewesen war, sondern bestätigt wurde. Die anderen hatten schon bisher den Gläubigen die Entscheidung überlassen und sahen sich außerstande, der Enzyklika zu folgen und bei der geistlichen Führung der Eheleute ein Vorbild des Gehorsams zu sein. Versetzt formierten sich auch Gruppen zur Unterstützung des Papstes und seiner Lehre.81
Der Katholikentag in Essen vom 4. bis 8. September 196882 zeigte, dass der aufgestaute Hochdruck zum gefährlichen Überdruck zu werden drohte. Die Enzyklika wurde zum Katalysator der innerkirchlichen Kritik, in der die allgemeine Infragestellung von Autoritäten auch vor den kirchlichen nicht mehr haltmachte. Statt der gewohnten bischofsergebenen Laiengroßveranstaltung, die sich aus Kircheninterna heraushielt, waren jetzt durch die Studentenbewegung geschulte junge Leute zu