Einfluss und Kontrolle durch die Bischöfe blieben außer Zweifel. Aber sie sollten so verpackt werden, dass die Laien sich frei fühlen konnten, ohne es wirklich zu sein. Gezielte Partizipationsfiktion gehört somit zur DNA des Zentralkomitees. Damit war die Grundmelodie komponiert, die den Laien in weiteren Krisensituationen jeweils zu Gehör gebracht werden sollte.
Der Böhler-Plan ging auf: Im August 1951 beschlossen die deutschen Bischöfe, ein „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ bilden zu lassen.62 Es konstituierte sich am 30. April 1952 und gab sich auf der Vollversammlung am 2. Dezember desselben Jahres ein Statut, das am 27. März 1953 mit dem Imprimatur des Paderborner Generalvikars veröffentlicht wurde.63 Nach diesem Statut war das ZdK der „von der Autorität der Bischöfe getragene Zusammenschluss der im Laienapostolat der katholischen Kirche in Deutschland tätigen Kräfte“, um diese zu koordinieren und „die deutschen Katholiken im In- und Ausland zu vertreten“. Die „Anmaßung“, nicht nur die Mitglieder des Zusammenschlusses, sondern „die“ (= alle) Katholiken in Deutschland zu vertreten, hatten Laien verschiedentlich moniert. Sie wurde aber bewusst in Kauf genommen. Im Interesse eines geschlossenen Auftretens im gesellschaftlichen und politischen Raum wurde ein von den Bischöfen kontrolliertes und gesteuertes Organ als Stimme aller deutschen Katholiken ausgegeben.64 Die in den Statuten verankerte „Subordination der Laien“65 war erklärtermaßen auch als erzieherischer Akt gedacht, um Spannungen zwischen Episkopat und Laienapostolat vorzubeugen.66 Die in der aktuellen Selbstdarstellung des ZdK behauptete Kontinuität zwischen Vor-und Nachkriegs-Zentralkomitee67 gab es so nicht. Aus dem früheren gewählten Z. K. zur Vorbereitung der Katholikentage war ein vollkommen neues, statuarisch sehr eng an die kirchliche Hierarchie gebundenes ZdK geworden.68
Die Zusammensetzung der Vollversammlung wurde maßgeblich von den Bischöfen bestimmt: Sie benannten die Diözesanvertreter, die Leiter der Bischöflichen Hauptstellen und Referatsleiter, und konnten den Einzelpersönlichkeiten ihre Zustimmung versagen. Auch die inhaltliche Arbeit stand unter bischöflicher Aufsicht: Das Präsidium und den Geschäftsführenden Ausschuss kontrollierten die Bischöfe indirekt durch die erforderliche Bestätigung des Präsidiums und direkt durch ihren „Generalassistenten“. Mit dieser Funktion war die früher angedachte externe Kontrollzentrale in Gestalt eines von den Bischöfen beauftragten Informanten und gegebenenfalls Empfängers konkreter Anweisungen als „permanente Kontaktstelle“69 in das Innere des Zentralkomitees verlegt worden. Um den Kommunikationsfluss zu den Bischöfen noch direkter und effektiver zu machen, wurde diese Position des Episkopats-Agenten seit 1957 mit einem Diözesanbischof besetzt. Zusätzlich war in der Geschäftsstelle an der Seite des Generalsekretärs das Amt eines Geistlichen Direktors geschaffen worden.70 Grundsatzentscheidungen waren einer eigenen Bischöflichen Kommission zur Koordinierung der Kräfte im Laienapostolat zur Bestätigung vorzulegen. Und schließlich wurde bewusst und strategisch das „süße Gift“ finanzieller Zuschüsse eingesetzt: Zweckgebunden für die Sachreferate wurden relativ großzügig überdiözesane Mittel bereitgestellt, damit „diese wirklich ein sicheres Instrument in der Hand und für die Hand des Episkopats werden und bleiben“71. Mit der Umstellung von der Orts- auf die Diözesankirchensteuer hatten die Bischöfe seit 1950 „ein finanzielles Steuerungselement in der Hand, das es ihnen jederzeit erlaubte, die Konkurrenz im Organisationskatholizismus zum Gegenstand pastoraler Planungsstrategien zu machen“72.
Der Bischöfliche Generalassistent Franz Hengsbach erläuterte auf der konstituierenden Sitzung des ZdK:
„Dadurch dass dieses Instrument auf den Ruf der Bischöfe hin geschaffen wird und ihm der Dienst im Bereich der Laienarbeit als Teilnahme am hierarchischen Apostolat zugedacht ist, kommt die Einheit des Apostolates der Kirche und das Vertrauen der Hierarchie zur Mitarbeit der Laien in hervorragender Weise zum Ausdruck“73.
Die engen Grenzen dieses Vertrauens zeigt das Statut in aller Deutlichkeit. Denn damit waren „Koordination, Information, Inspiration und Repräsentation“ im Laienapostolat „unter den maßgeblichen Einfluß der Bischöfe gestellt worden“74. Und es war klar:
„Der deutsche Katholizismus wird im letzten selbstverständlich durch den Episkopat repräsentiert. Wir sind Hierarchisten. Aber wenn es echte Laienarbeit im Volk gibt, dann müssen Formen gefunden werden, daß auch die Laien in einer bestimmten relativen Weise das Volk Gottes – den Laos – repräsentieren können“75.
Der episkopale Einfluss war auch insofern konsequent, als die Organisation des katholischen Laienapostolats nie reine Laiensache war, sondern immer schon Kleriker in Führungspositionen kannte. Entsprechend waren 35 % der ZdK-Gründungsmitglieder Kleriker76, erster Generalsekretär wurde der Paderborner Hilfsbischof Franz Hengsbach. Bezeichnenderweise sah der zweite Generalsekretär des ZdK, Heinrich Köppler, in diesem Gremium eine Art „überdiözesanen Katholikenausschuss“77. Die Domestizierung des deutschen Nachkriegskatholizismus war damit gelungen.78 Der Versuch der Laien, loyale Unterordnung und Selbstbewusstsein miteinander in Einklang zu bringen, kann treffend mit der paradoxalen Devise beschrieben werden: „Selbständig, aber nie gegen den Willen der Bischöfe“79.
1972–1975
Abb. 3: Synodenversammlung im Dom zu Würzburg im November 1975, der Bischofsblock vor dem Präsidium. (© KNA)
Druckablass und Beruhigung: die Würzburger Synode
Das ZdK blieb zunächst das ungeliebte Kind des Episkopats und organisatorisch schwach. Erst in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre fand es, vor allem unter der Führung des Geistlichen Direktors Bernhard Hanssler, zu einer Geschlossenheit als Repräsentanz des organisierten Mehrheitskatholizismus gegen einen ausgegrenzten oppositionellen oder linken Minderheitskatholizismus in freien Laieninitiativen. Einiges spricht dafür, dass diese Geschlossenheit und der Konformitätsdruck die innerkirchlichen oppositionellen Kräfte kontraproduktiv fester zusammenschloss und den eigentlich bekämpften Pluralisierungsprozess in der Kirche seit 1960 eher noch förderte.1
Die Wahrnehmung des ZdK durch die Bischöfe ist nicht hoch anzusetzen. Noch im Jahr 1967 konnte der inzwischen zum ersten Essener Diözesanbischof avancierte Generalassistent Hengsbach gegenüber dem ZdK-Generalsekretariat feststellen, „von der konkreten Arbeit des Zentralkomitees“ wüssten „die meisten Bischöfe wenig“2. Das sollte sich ändern, als eine Krisensituation entstand, bei deren Bewältigung das ZdK sich zu einem wichtigen Helfer des Episkopats entwickelte.
Pluralisierung und Reformerwartung
Der Katholizismus der 1960er-Jahre war ein tektonisch aktives Gelände. Vielfältige gesellschaftliche Veränderungsimpulse verstärkten sich gegenseitig.3 Der massiven Wiederherstellung von Autorität und Geltung des Nachkriegschristentums entsprach nicht zwingend eine Renaissance des christlichen Glaubens.4 Schon seit dem Ende der 1940er-Jahre und in den 1950ern erodierte die „Gnadenanstalt“5. Unter Katholiken vollzog sich eine „‚sexuelle Revolution‘ im Stillen“6. Auch katholische Frauen nutzten seit deren Zulassung 1961 zunehmend die Pille und bestimmten gegen die kirchliche Lehre selbst über die Folgen ihrer Sexualität. Zusätzliche Bewegungsfreiheit und Durchsetzungsfähigkeit gewann die weibliche Normalbiografie durch die vermehrte Erwerbstätigkeit der Frauen im Gefolge des Wirtschaftsaufschwungs.7 Ihren Kampf gegen die Gleichberechtigung der Frau in der Ehe nach staatlichem Familienrecht hatten die katholischen Hierarchen bereits zuvor verloren.8
Innerkirchlich