»Aber…«, versuchte der Köstlbacher zu intervenieren.
»Nichts aber! Es bleibt dabei! Veranlassen Sie die entsprechende Presseerklärung!«
Mit dieser strikten Anweisung hatte sich der neue Abteilungsleiter von einer anderen, einer harten Seite gezeigt. Jetzt wusste jeder im Raum, dass der Sekt und die Canapés nur einem freundlichen Start gedient hatten.
Die Cuscunà hatte sich unterdessen wieder leise zu den anderen gesellt. Ihr Makeup leicht verschmiert. Schadenfreude empfand sie keine. Aber direkt unglücklich war sie nun auch nicht mehr.
Kapitel 10
Nach diesem Auftritt verließ der Abteilungsleiter Lenz arroganten Schrittes, wie die meisten der Anwesenden hinterher gesehen zu haben glaubten, den Besprechungsraum. Natürlich stand eine gewisse Absicht dahinter. Wer die Zügel erst einmal straff annimmt, der kann sie hinterher umso leichter auch wieder lockerlassen. Das trifft auf einen Abteilungsleiter kaum weniger zu, als auf einen Reiter. Wer weiß, vielleicht haben dieses Wissen Führungskräfte sogar vom Pferdesport übernommen.
In den folgenden Minuten war das Opfer Helge Martinson der Drehund Angelpunkt. Erst wenn genug über sie in Erfahrung gebracht worden wäre, würde man erste Theorien aufstellen können.
Trotz oder gerade wegen der offensichtlichen Meinung des Abteilungsleiters, dass die SEIDENPLANTAGE aus allem rauszuhalten sei, ließ es sich der Köstlbacher nicht nehmen, die SEIDENPLANTAGE weiterhin in seine Ermittlungen einzubeziehen. Immerhin war es möglich, dass Kunden dieser ›Dayspa‹ relevante Beobachtungen gemacht haben könnten. Selbst wenn diese bereits Tage vor der Tat gewesen wären. Und sollte diesbezüglich der Lenz wieder intervenieren, so konnte sich der Köstlbacher immer noch an die Staatsanwältin wenden, zu der er einen besonderen Draht zu haben glaubte.
Die Besprechung dauerte noch an, da noch lange nicht alles organisiert war. Die Cuscunà bekam – sie persönlich empfand es zunächst als Strafe – die Aufgabe, die Angehörigen der Toten ausfindig zu machen und sie über den Mord an ihrer Tochter zu informieren. Da die Cuscunà dazu kaum eine Dienstreise nach Norwegen genehmigt bekommen würde, stellte sich dieser Auftrag letztendlich doch nicht so schlimm heraus. Das Informieren würde die norwegische Polizei übernehmen. Und die Leiche würde nach der Obduktion in der Gerichtsmedizin Erlangen umgehend nach Norwegen überführt werden.
Kapitel 11
Es waren noch keine fünf Minuten seit der Besprechung vergangen, als zwei Anrufe hintereinander beim Köstlbacher eingingen. Der erste kam von der Spusi. Hans Keller, der Laborchef im Hause, hatte die Mordwaffe abschließend untersucht. Das Blut daran stimmte mit dem der Toten überein. Was nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber was der Keller, beziehungsweise eine seiner Laborantinnen, nach dem Säubern der Waffe entdeckt hatte, erstaunte. In die Klinge war sehr dilettantisch, jedenfalls absolut unprofessionell, ein Name in großen Druckbuchstaben eingraviert: KARIN.
Der Köstlbacher ließ sich ein Bild davon zumailen, druckte es aus und befestigte es neben dem Bild des Mordopfers an der Pinnwand. Ob sich zu dieser Dreierbeziehung Opfer/Mordwaffe/Gravur ein Zusammenhang konstruieren lassen würde? Der zweite Anruf war nicht nur beunruhigend. Dadurch würden alle Ermittlungen erschwert werden. Vor allem die oben in der SEIDENPLANTAGE. Es kam, wie nicht anders zu erwarten, zu einem erneuten Lockdown wegen der Corona-Pandemie. Gewundert hat es den Köstlbacher nicht. Anstatt diszipliniert alle geforderten Auflagen zur Vermeidung einer ungebremsten Verbreitung des scheußlichen Virus einzuhalten, suchten viele nur nach Schlupflöchern, Auflagen zu umgehen, oder erfüllten sie erst gar nicht. Verschwörungstheorien grassierten, dass einem übel werden konnte. Wieso der Landesvater Markus Söder die Schuld an allem haben sollte, – eine dieser Theorien und bei weitem nicht die absurdeste –, konnte der Köstlbacher auch nicht nachvollziehen, ganz egal, ob man den Söder nun mochte oder nicht. Immerhin war COVID-19 kein bayerisches Problem. Regensburg war inzwischen, wie die meisten bayerischen Städte und Landkreise, dunkelrot. Und darum war er jetzt da, der zweite Lockdown. In zwei Tagen würde die SEIDENPLANTAGE für mindestens 4 Wochen schließen müssen. Da war nur zu hoffen, dass die Betreiber wenigstens vor Ort blieben, um die nötige Einsicht in die Kundenkartei zu ermöglichen. Und die war bitter nötig, diese Einsichtnahme. Irgendwo musste man letztendlich mit dem Ermitteln anfangen. Schließlich war außer den Betreibern und den Angestellten das Kundenklientel der ›Dayspa‹ der einzige greifbare Personenkreis, der die SEIDENPLANTAGE und damit auch die Straße davor frequentierte.
Der Kommissar Pirzer bekam den Auftrag, sich um die Kundenkartei zu kümmern. Wie fast immer, wenn der Pirzer einen Einsatz hatte, begleitete ihn die Kommissarin Dirmeier. Bei der Kripo in Regensburg ist es ungeschriebenes Gesetz, dass immer zwei Beamte zusammen ermitteln. Nach Möglichkeit, leider aus personellen Gründen nicht immer machbar, eine Beamtin zusammen mit einem Beamten. Es hatte sich gezeigt, dass immer wieder Situationen auftreten, wo es Sinn macht, wenn eine Frau mit an Bord ist und nicht eigens im Nachhinein eine Frau hinzugezogen werden musste. Da vermutlich das Klientel oben auf der Seidenplantage überwiegend weiblich sein würde, achtete der Köstlbacher schon im Vorfeld sehr darauf, kein reines Männerteam hinzubeordern.
»Hat sich ganz schön gemausert, dieses Anwesen«, bemerkte der Pirzer, als er mit seiner Kollegin Dirmeier den Dienstwagen ungefähr dort, wo es zu dem tödlichen Überfall gekommen war, abgestellt hatte, um den Betreibern der ›Dayspa‹ einen Besuch abzustatten. »Ich kann mich noch erinnern, dass hier ein heruntergekommenes, mehr oder weniger baufälliges Gebäude gestanden hat.«
»Das war vermutlich vor meiner Zeit. Aber wie es auch früher hier ausgesehen haben mag, jetzt ist es mit Sicherheit eine der schönsten Villen der Stadt. Von der traumhaften Lage ganz zu schweigen.«
»Du spielst auf das Krematorium an?«, scherzte der Pirzer.
»Natürlich nicht! Die Aussicht! Der Blick über die Stadt!«, antwortete die Dirmeier, die den Spaß, den sich der Pirzer mit ihr machen wollte, erst mit Verspätung realisierte.
Kaum hatte der Pirzer den Klingelknopf gedrückt, öffnete sich das Tor automatisch. Auf der Treppe zum Haupteingang erschien fast zeitgleich Frau Herrmann.
»Haben Sie uns erwartet?«, fragte der Kommissar erstaunt, weil sie über die Sprechanlage noch kein Wort gewechselt hatten.
»In gewisser Weise ja. Ihr Chef war so nett, mich vorzuwarnen, damit ihr Besuch ›so effektiv wie möglich‹ wird, wie er sich ausdrückte«, erwiderte Frau Herrmann.
»Typisch Köstlbacher!«, brummte der Pirzer, was die Frau Herrmann aber nicht hören konnte.
»Darf ich Sie hereinbitten?«, fragte die Chefin der ›Dayspa‹ und ging den beiden von der Kripo mit einer einladenden Handbewegung voraus.
Der Kommissar Pirzer ist ja eher ein cooler Typ. Er sah sich alles mehr oder weniger unbeeindruckt an. ›Nicht schlecht!‹, dachte er sich, vertiefte diesen Gedanken aber nicht weiter. Ganz anders seine Kollegin Dirmeier. Der verschlug es erst einmal die Sprache und sie bückte sich dementsprechend spontan und unaufgefordert, um sich ihre Schuhe auszuziehen.
Frau Herrmann, die dies bemerkte, meinte: »Lassen Sie, ich habe Überschuhe für Sie herausgelegt!«
Versehen mit diesen blauen Plastiküberziehern, wie man sie auch in einigen Abteilungen der Uniklinik tragen muss, um Verunreinigungen vorzubeugen, folgten sie der Hausherrin ins Büro, wo die entsprechenden Unterlagen schon zur Durchsicht bereitlagen. Sogar zwei Tassen heißer Kaffee standen daneben.
»Ich vermutete, den könnten Sie gebrauchen!«, lächelte Frau Herrmann und deutete dabei auf den Kaffee.